Mike Flanagan und Stephen King sind ein weiteres Mal eine für beide Seiten gewinnbringende Angelegenheit. Leider nicht für Warner Brothers, das Studio mit den großen Erwartungen, zeichnet sich doch bereits kein großer finanzieller Kino-Erfolg für die neue King-Verfilmung ab.
King schätzt - so sagte er bereits des öfteren - Flanagans Art und Weise, aus seinen Roman-Vorlagen den Geist und die Absichten des Autors heraus zu kanalisieren und in eine höchst ansprechende filmische Sprache umzuwandeln.
Und Flanagan ist seit seiner Jugend ein großer Fan des auflagenstarken Autors und dessen erstaunlicher Fähigkeit, grandiose Figuren und einprägsame Charaktere mit ihren eigenen und den Ängsten des Lesers zu konfrontieren.
Die Netflix-Produktion "Das Spiel" war der erste Beweis, wie gut diese beiden Herren zusammenpassen und nun zeigt auch "Doctor Sleep", dass beide die Sprache des jeweils anderen verstehen - in diesem Falle wieder einmal mehr Flanagan.
Um eines vorweg zu nehmen, das leider die Verfilmung der Roman-Fortsetzung zu "Shining" bereits vor seiner offiziellen Veröffentlichung mit Schmach behaftete (und das aus meiner Sicht vollkommen ungerechtfertigt): Vergleicht man "Doctor Sleep" direkt mit dem Stanley Kubrick-Film "Shining" von 1980, kann er den Vergleich nicht gewinnen!
Das ist aber keinesfalls negativ zu betrachten, schuf Kubrick von jeher ja eher visuell ausgefeilte filmische Kunstwerke als eine schlüssige und nachvollziehbare Story zu erzählen. Mike Flanagan geht eher den umgekehrten Weg und übertrifft damit doch die eine oder andere Erwartung.
Zunächst hält er sich dichter an die Roman-Vorlage als Kubrick, bindet dessen Film mit all seinen Gimmicks und Verweisen aber kongenial in seine Erzählung mit ein, was schon alleine beeindruckt, da der Roman "Doctor Sleep" ja das Buch "Shining" fortsetzt und nicht die Verfilmung von Kubrick.
Wir sehen wieder das Overlook mit all seinen, in der Filmgeschichte verhafteten, Stilmitteln und Schauplätzen wie den psychedelischen Teppich-Mustern in den langen Fluren, dem edlen Ballsaal, dem berüchtigten Badezimmer in Raum 237 und dem ikonischen Irrgarten im Außenbereich.
Alles wirkt natürlich nicht mehr so edel und großzügig wie noch im Film "Shining" - nein, eher kommt einem alles nun etwas enger, kleiner und weniger spektakulär vor. Damit wird natürlich die Rolle, welche das Hotel sowohl im Roman "Shining" als auch im darauf folgenden Film einnimmt, in den Hintergrund gerückt.
Im Roman und im Film "Doctor Sleep" stehen eindeutig die Charaktere im Vordergrund und damit wird eine Entwicklung übernommen, welche Stephen King in den vergangenen 20 Jahren immer mehr selbst in seinen Erzählungen wirken liess und damit den Fokus mehr denn je auf das Innenleben seiner Figuren verlagerte als er das noch zu Beginn seiner Karriere getan hat.
Dem Film "Doctor Sleep" kommt das extrem zu Gute, denn gerade die Darsteller sind hier die wichtigen Orientierungs-Punkte, durch deren Augen man die über 150 Minuten andauernde und trotzdem an keiner Stelle zähe Verfilmung des Romans "Doctor Sleep" erlebt.
Neben der beeindruckend diabolisch agierenden Rebecca Ferguson und dem als Sympathieträger eigentlich immer glänzenden Ewan McGregor ist es daher vor allem die junge Kyliegh Curran, die den Zuschauer als leuchtende Leitfigur begleitet.
Sie übernimmt ab etwa der Hälfte den Stab von Ewan McGregor, der bis dahin - zugegeben etwas routiniert agierend - als tragischer Held und erwachsener Danny Torrance die schwierige Rolle hat, als Jack Nicholson-Ersatz herzuhalten aber diese Aufgabe trotzdem mit Bravour meistert. Er ist eher der leise Typ von Nebenan, dem man zwar den Downpour-Alki niemals so ganz abnehmen will, der aber stets nachvollziehbar bleibt und auch agiert. Im Roman kommt er wesentlich unsympathischer rüber.
Ferguson ist eine Figur zum Fürchten und das nicht nur, da sie skrupellos und rücksichtslos ihre Interessen durchsetzt, sondern auch weil sie niemals als böse Tante aus dem nahen Wohnmobil erkennbar ist, wenn man ihr unbefangen über den Weg laufen würde.
Subtil und äußerst intensiv ist ihr Spiel mit den esoterisch angehauchten Anlagen Ihrer Rolle und sie hat nicht zuletzt als das große Highlight des Filmes die Leuchtfackel getragen.
Die Neuentdeckung Kyliegh Curran ist es aber in meinen Augen, die als der große Star des Filmes gelten muss. Eine Nebenrolle, die eine Kinderdarstellerin dermassen gut ausfüllt, dass man sie irgendwann als unverzichtbare Hauptdarstellerin empfindet, ist der dankbar gute Job des Drehbuchautors Mike Flanagan und natürlich der starken Präsenz der jungen Dame zu verdanken. Vergleichbar ist ihre Funktion in etwa mit der Figur von Hailee Steinfeld in "True Grit".
Standhaft, mutig und stets nachvollziehbar bleibend, meistert Curran jede Situation, in die das Mädchen Abra kommt, ob lebensbedrohlich oder alltäglich. Nach "Before I Wake" (hier war es der großartige Jacob Trembley, der auch in "Doctor Sleep" wieder auftreten darf) hat Flanagan hier wieder einen guten Casting-Coup abgeliefert.
Als Horror-Film ist "Doctor Sleep" immer dann am besten, wenn er keine gewollt unheimlichen Situationen oder Jump-Scares einsetzt, sondern das Grauen schleichend in die Handlung einfließen lässt. Die "Nahrungs"-Szenen des Knotens zum Beispiel oder die Konfrontation im Overlook-Hotel sind hier zu nennen. Der Einbruch des Grauens ins Alltägliche, etwas, das sowohl Stephen King als auch Regisseur John Carpenter beide auf mehr oder weniger ausgeprägte Weise als Thema ihres Gesamtwerkes gewählt haben, das hat auch Flanagan als Autor und Regisseur extrem gut drauf.
Er besitzt dabei zwar nicht die visuelle Brillanz eines Stanley Kubrick, dafür ist sein Film jederzeit zugänglich und goutierbar auf sehr hohem Niveau. Durch ihn ist das Jahrzehnt um eine gelungene Stephen King-Adaption reicher geworden und auch wenn ich dem Werk einen ordentlichen Erfolg an den Kinokassen gewünscht hätte, bin ich davon überzeugt, dass er trotzdem genau sein Publikum erreicht und begeistern kann, das sich nicht zu sehr an seinem überschätzten Vorgänger entlang hangelt.
Fazit: Mike Flanagan wird von Film zu Film besser - sowohl in seiner Erzählweise als auch in seiner visuellen Bildsprache. Zwar wirkt sein "Doctor Sleep" im direkten Vergleich mit dem Film "Shining" erschreckend konventionell in der Optik, dafür nimmt er seinen Zuschauer aber mit auf eine sehr gut erzählte Spirale des dramatischen Horrors, der sich jederzeit in unserer alltäglichen Welt manifestieren kann und dank brillanter Darsteller-Leistungen und netten kleinen Bezügen zum filmischen Vorgänger ist hier ein fantastisches kleines Meisterwerk entstanden, das man als King-Fan und auch als Anhänger des "großen schönen Autos ohne Motor" durchaus schätzen lernen kann.