Der Auf-Allen-Hochzeiten-Tänzer und Trotzdem-Sein-Eigenes-Ding-Durchzieher
Mit „Doctor Sleep“ hatte Mike Flanagan einige heftige Aufgaben zu erfüllen, ein riesiges Erbe anzugehen und er musste viele Bälle zur selben Zeit in der Luft halten. Eine Quasi-Fortsetzung zu Kubricks „Shining“, eine Verfilmung, die Kings Buch gerecht wird, zudem noch seine eigene, verdammt starke, in den letzten Jahren aufgebaute Reputation nicht zerstören und „Doctor Sleep“ zu einem eigenständigen Film machen - all das abzuhaken und unter einen Hut zu bringen, von den kaum zufrieden zu stellenden Hardcore-Fans ganz zu schweigen, klang nicht nur für mich nahezu unmöglich. Und er hat auch nicht alles von dem geschafft, was ich genannt habe bzw. er sich wohl auch selbst vorgestellt hat. Zumindest nicht durchgehend. Und dennoch ist ihm mit „Doctor Sleep“ ein ziemlich guter Film gelungen, der sooo viel schlimmer und schlechter hätte werden können. Ja fast sein müssen. Einen besseren Mann als Flanagan, das habe ich vorher gesagt und der Meinung bin ich immer noch, hätte man für das prestigeträchtige Projekt wohl nicht finden können. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es wohl einer der größeren finanziellen Kinoflops des Jahres bleibt... Erzählt wird von dem nun erwachsenen Danny Torrence, der gegen innere Dämonen kämpft und der einer kleinen „Mitshinerin“ namens Abra helfen muss, gegen einen teuflischen, unheimlichen Kult zu bestehen, der begabten Kindern wie ihr ans „Shining“ will...
„Doctor Sleep“ macht lange Zeit sein eigenes Ding, was ich besonders toll finde. Er zollt Respekt, spielt ein paar Hommagen aus, weiß, wohin er gehört und was sein Erbe ist - doch er wird nie zu einer blinden Kopie oder einem Hutzieh-Dauerfeuer. Er erstarrt selten bis nie vor Ehrfurcht. Tja, bis zum meiner Meinung nach richtig schwachen Finale im Overlook Hotel, wo er dann doch seine eigene Identität viel zu weit aufgibt und was ganz klar der schwächste Part des Films ist. Beeindruckend ist das schon und nostalgisch macht das definitiv, nur hat mich hier zu viel herausgerissen und von seinem eigenen Flair und Charakter abgelenkt. Denn bis dahin ist „Doctor Sleep“ eine vielleicht etwas lange, aber für mich nie langweilige Mysteryreise und eine starke Staffelstabübergabe. Die Darsteller spielen hervorragend, egal ob jung oder alt, Rebecca Fergusons Kult hat wirklich etwas Beängstigendes, der Film sieht schnieke aus und atmet den Geist von King sowie (!) Kubrick, ohne sich selbst vom Weg und eigenen Charakter allzu weit abbringen zu lassen. Bis zum enttäuschenden Schluss wie gesagt, der als Höhepunkt für mich nicht gezündet hat. Trotz aller verbundenen Knoten und beantworteten Fragen. Insgesamt ist „Doctor Sleep“ daher nach meinem Geschmack ein interessanter Film, ein gelungenes Experiment, eine sinnvolle Erweiterung - bis zu einem gewissen Punkt. Und mit darüber hinaus nur einer gravierenden, sich durchziehenden Schwäche: es stellt sich kein wahrer Horror, keine echte Angst ein. Und das dürfte man doch erwarten, egal ob als eigenständiges Werk, „Shining“-Sequel oder King-Verfilmung, oder?! Erstaunliches geleistet hat Flanagan dennoch.
Fazit: ein Spagat, der (überraschend?) ziemlich gut funktioniert. Vernachlässigt weder seine literarische Vorlage noch Kubricks unerreichbaren Meilenstein. Aber was vor allem wichtig ist und lange Zeit gelingt: er ist sein ganz eigenes Biest. Zwar selten allzu spannend und viel weniger „Horror“, als man erwarten könnte, doch für sich genommen ein fesselndes, enorm hochwertiges Mystery-Abenteuer. Scheint nicht, aber schimmert. Und kann für viel Gesprächsstoff sorgen. Ist ja auch was. Selbst wenn beispielsweise die verwesende Frau mindestens dreimal zu oft aus der Badewanne aussteigt...