Scheidungsmeisterwerk
Man muss kein Scheidungskind sein, um zu wissen, wie schmerzhaft und zeichnend eine solche "offizielle" Trennung für alle Beteiligten, Seiten, Familien meist ist. Ergiebiger Stoff für Filme, oft aber derart deprimierend und nah an der Realität, dass man sich Filme darüber nicht viel öfters als einmal anguckt. Manchmal können diese auch etwas trocken und steif wirken. Noah Baumbachs "Marriage Story", über eine zerbrechende Ehe inklusive kleinem Sohn, ist alles andere als staubige Dramakost oder berechnetes Oscarfutter. Das Netflix-Highlight ist schlicht ganz großes Kino. Gefühlvoll, nachvollziehbar, klar und deutlich. Das tut weh, das tut gut. Kein Schönreden, kein Schwarzmalen. Einfach bewegend und mitreißend. Direkt ins Herz und die Seele. Nachhaltig.
Über Scheidungen gibt es einige tolle Filme, viele davon nahezu Meisterwerke. Von "Kramer vs. Kramer" über "A Separation" bis zu "Scenes From a Marriage". Baumbachs Oscartipp ist allerdings meine neue Benchmark. Selbst wenn man natürlich noch etwas abwarten sollte, ob der Zahn der Zeit freundlich zu ihm ist. Für mich spricht allerdings viel dafür, dass auch in Jahrzenten noch "Marriage Story" genannt wird, wenn es um die Messlatte in dieser oft zermürbenden und sensiblen Katregorie geht. Erst recht wenn er nächstes Jahr ein paar Goldjungen abholt...
Was hat mich an "Marriage Story" derart umgehauen? Kurz gesagt: seine komplette Art. Dazu gehören Driver und Johansson mit den besten Leistungen ihrer Karriere, aber noch mehr. Beide Elternseiten werden nuanciert betrachtet, Frustration und Wut werden genauso gandenlos transportiert wie Liebe und Trauer. Das Drehbuch ist exzellent, die Gefühle kommen ungefiltert über einen und mehrfach (!) kann man Tränen kaum verhindern. Vor allem ein Streitgespräch, wo es heftig aus den Figuren herausplatzt, wird definitiv in die Annalen des Kinos eingehen. Ich musste danach nichts mehr trinken, weil, während meine Kinnlade auf dem Boden hing, derart viele Tränen gelaufen sind, dass man das schon nicht mehr ugly cry nennen kann. Da war ich froh, dass ich da zuhause und nicht im Kino war. Obwohl ich auch "Marraige Story" natürlich gerne auf der Leinwand gesehen hätte, man dies in manchen Städten auch konnte. Zu gut und fein sieht er dazu aus, um ihm die Leinwand zu verwehren.
Der Junge der beiden ist zwar etwas nervig, aber so können Kinder nunmal sein. Und in einer solchen Extremsituation mag man ihm das noch weniger verübeln. Obwohl es sicher bessere Kinderdarsteller gibt. Dafür adelt der Rest des Casts die Prestigeproduktion - vor allem Ray Liotta (!) und Laura Dern als jeweilige Anwälte der Parteien glänzen, überzeugen, bleiben im Gedächtnis. Insgesamt ist "Marriage Story" der "Woody Allen"-Film, den Woody Allen momentan wohl gerne machen würde, davon aber kaum weiter entfernt sein könnte. "Marriage Story" ist das komplette Paket und Pflichtprogramm. Punkt. Nicht nur für alle Cineasten, sondern für alle Menschen - und sei es nur als Warnung und Lehre, falls man in seinem Leben mal in eine solche unangenehme Situation kommt. Und bei 50% Scheidungsrate heutzutage, ist das leider nicht allzu unwahrscheinlich... :(
Fazit: der mit Abstand beste und wichtigste Film von Noah Baumbach. Sprachlos machende Leistungen der beiden Leads. Schmerzhaft emotional, echt, real. Frustrierend, traurig, runterziehend. Aber gut. Verdammt gut. Puh... Der beste Film über Scheidung (oder gar Trennung?) aller Zeiten? Ja, würde ich sagen und "Kramer gegen Kramer" hinten anstellen. Beeindruckend. Nahezu perfekt. Mein Oscarfavorit. Bravo!