"Er ist ein außergewöhnliches Beispiel für die Überlegenheit des Menschen gegenüber dem Tier."
Während einer Forschungsreise nach Afrika verunglücken Lord John Clayton (Paul Geoffrey) und seine schwangere Frau Alice (Cheryl Campbell). Im Dschungel finden sie zunächst Unterschlupf. Nach der Geburt des Sohnes erkrankt Alice allerdings an Fieber und erliegt diesem schließlich. Wenig später fällt Lord Clayton einem Angriff eines Menschenaffen zum Opfer. Der Säugling indessen wird von den Menschenaffen aufgenommen und wächst fortan unter ihnen heran, bis er sich schließlich sogar als Oberhaupt etablieren kann.
Jahre später landet erneut ein Schiff an der Küste. Ein weiteres Forschungsteam tritt seine Expedition an und erliegt bereits nach kurzer Zeit einem Angriff von Eingeborenen. Einzig der Belgier Phillippe D'Arnot (Ian Holm) kann sich trotz einer Verwundung vor den Eingeborenen verstecken. Der verwilderte Sohn der Claytons (Christopher Lambert) findet ihn und bietet ihm Schutz in seinem Stamm der Affen. Mit der Zeit erkennt Phillippe die Herkunft des sonderbaren Mannes, lehrt ihm die Sprache und überzeugt ihn seine eigentliche Herkunft anzunehmen und mit ihm zurück nach England zu reisen. Der verlorene Sohn und dessen Eigenarten werden allerdings nicht von allen Adligen aktzeptiert.
Die Geschichten um den im Dschungel aufgewachsenen Tarzan waren vor allem in den 30er / 40er Jahren außergewöhnlich populär und zogen unzählige Leinwandverfilmungen nach sich. Allerdings entfernten sich sämtliche Filme von den Romanen Edgar Rice Burroughs' und wurden zu Unterhaltungsfilmen für die gesamte Familie. Im Gegensatz zu diesen richtet sich "Greystoke – Die Legende von Tarzan, Herr der Affen" an ein reifes, erwachsenes Publikum.
Fernab der inhaltsleeren und rein kommerziellen Vorgänger kommt "Greystoke" sehr episch und düster daher. Über die stolze Laufzeit von mehr als 2 Stunden bekommt der Zuschauer ein emotionsgeladenes Drama zu sehen, noch dazu verpackt in eindringliche Bilder und besetzt mit vorzüglich aufspielenden Darstellern.
Das Abenteuerdrama spielt an zwei völligst unterschiedlichen, großräumigen Schauplätzen. Die erste Hälfte beschränkt sich auf das aufwachsen und überleben des Helden im Dschungel. Relativ authentisch ist dabei die Sippenkultur der Affen dokumentiert. Um dies zu gewährleisten zwängten sich Schauspieler in Affenkostüme und erlernten die Bewegungen von Menschenaffen. Nicht alle Kostüme und Masken prägen die Illusion echte Affen vor sich zu haben, allerdings ist die Kommunikation zwischen ihnen trotz mangelnder Sprache verständlich.
Die zweite Hälfte präsentiert einen Einblick in die Adelswelt und den damit verbundenen Vergleich dieser mit den nicht kontrollierbaren Ausbrüchen der Natur. Gesellschaftskritische Aspekte sind vorprogrammiert, wenn der im Dschungel aufgewachsene Lord auf die von Ritualen und Bräuchen erstickte Zivilisation trifft. Dabei geht der bislang erhaltene, authentische Blick etwas verloren. Der verwilderte Lord Clayton wird zwar als außerordentlich begabter Nachahmer präsentiert, dürfte allerdings nicht das Verständnis von Worten und Gegenständen haben, die er nicht kennt oder erfassen kann.
Nebenbei weist auch das komplexe Drehbuch in der späteren Hälfte Lücken oder gar Handlungssprünge auf, stellt zwar nun spitze Dialoge in den Vordergrund, lässt aber den bisherigen Einfalls- und Ereignisreichtum missen.
Beide Schauplätze protzen durch schwelgerische Bilder und üppige Ausstattung. "Greystoke" bietet eine hinreißend fotografierte Abwandlung des Kino-Mythos ohne die beschönigenden Effekte seiner Vorgänger, engagiert realistisch sowohl in den Dschungel-Szenen als auch in der Darstellung der britischen Adelsgesellschaft.
Der bombastische Soundtrack fügt sich nahtlos in das Gesamtbild und dient als opulente und stimmige Untermalung der starken Bilder.
Besonders auffällig ist Christopher Lambert's ("Highlander"-Reihe, "Mortal Kombat") hervorragende schauspielerische Leistung. Seine Darstellung des im Film namentlich nie erwähnten Tarzan trifft die innerliche Zerrissenheit des Charakters.
Das Debüt von Andie MacDowell ("Und täglich grüßt das Murmeltier") fällt recht adäquat, die meiste Zeit aber unauffällig aus. Ian Holm ("From Hell", "Der Herr der Ringe"-Reihe) glänzt mit einer ordentlichen Präsenz, Richard Griffiths ("Sleepy Hollow", "Harry Potter"-Reihe) bietet den obligatorischen Edel-Support am Rande.
Trotz einiger Längen in der zweiten Hälfte bleibt "Greystoke" die meiste Zeit unterhaltsam und bietet insbesonders eine bildgewaltige Optik. Die inhaltliche Tiefe ist ungewöhnlich für den bislang eher familientauglich verfilmten Stoff, bringt aber durch die gesellschaftskritischen Aspekte frischen Wind ins Genre. Sehr gut besetzt und herausragend ausgestattet ist das Abenteuerdrama die bisher naheliegendste und authentischste Verfilmung um den Helden aus dem Dschungel.
8 / 10