Der Werdegang des Mafia-Killers Frank Sheeran (Robert De Niro) ist Thema dieses fast dreieinhalbstündigen Film-Epos von Altmeister Martin Scorsese, der damit - 24 Jahre nach dem glänzenden Casino - noch einmal den (drehtechnisch durchaus vielbeschäftigten) De Niro als Hauptdarsteller auf die Leinwand bringt. Rechtzeitig zu den Oscar-Verleihungen 2020 und mit Netflix als Rechteinhaber ging der Film bei Ersterem zwar enttäuschenderweise leer aus, dürfte sich aber dafür dank Streaming einem wohl größeren Publikum präsentieren.
In langen, überzeugend detailreich ausgestatteten Szenen wird Sheerans Leben, beginnend im Nachkriegsamerika der 1950er Jahre, in charakteristischen Szenen dargestellt, wobei die Darsteller im Gesicht zum Teil digital jünger gemacht wurden, um die Jahrzehnte dauernde Geschichte authentischer wirken zu lassen. Was De Niro betrifft, so wirkt dessen Antlitz in jüngeren Jahren allerdings eher grobschlächtig. Aber dies passt auch zu seiner dargestellten Vita: Er führt zuhause ein wenig liebevolles Familienleben, arbeitet als LKW-Fahrer und verhökert die Ladung an die örtliche Mafia. Solchermaßen aufgeflogen, erwirkt ein zur Familie gehörender Anwalt vor Gericht einen Freispruch für den sich dumm stellenden Fleischtransporteur - der erste Schritt in seiner Karriere ist vollbracht: Den Mund halten zu können (absolute Loyalität) und Anweisungen zu befolgen, auch wenn diese vielleicht "merkwürdig" sind - das hatte Sheeran schon als Kriegteilnehmer in Italien gelernt, als er nämlich gefangene Wehrmachtssoldaten "in den Wald bringen" sollte und sie dann einfach erschoß, auch wenn dies nicht wörtlich befohlen war. Einen wie Sheeran, der die Klappe hält und sich unterordnet kann man in der Mafia immer gebrauchen, und so wird er vom örtlichen Mafiosi weiterempfohlen und dient sich in weiterer Folge einem weit oben stehenden Don an. Dieser Russell Bufalino (Joe Pesci) wird ihn in den nächsten Jahrzehnten unter seine Fittiche nehmen, und da sich Sheeran auch bei Mordaufträgen bewährt, wird er eines Tages als Leibwächter an den korrupten Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa (Al Pacino) verliehen, mit dem er sich im Lauf der Zeit ebenfalls anfreundet. Als Letzterer der Mafia irgendwann zu eigenständig wird, ergeht an Sheeran das bereits bekannte und meistens durch den Euphemismus "Wände zu streichen" beschönigte Kommando, auch diesen Mitspieler zu eliminieren...
Neben De Niro glänzt The Irishman vor allem durch eine Reihe hochkarätiger Stars, die zum Teil zwar nur kleine Nebenrollen haben (so hat Harvey Keitel als arrogantes Familien-Oberhaupt insgesamt kaum 5 Minuten Screentime, und auch Kathrine Narducci als Bufalinos nikotinsüchtige Ehefrau ist fast nur im Hintergrund zu sehen) aber dennoch hervorragend besetzt sind - am meisten aber beeindruckt doch Joe Pesci, der als seelenruhiges Bufalino-Familienoberhaupt stets im Hintergrund die Fäden zieht und somit das Geschehen stets zu seinen Gunsten zu beeinflussen weiß - ganz im Gegensatz zu den cholerischen Charaktären in Goodfellas oder Casino, für die er seinerzeit bekannt und berühmt wurde.
Man könnte über die vielen liebevollen Details des Irishman noch seitenweise schreiben, aber der Genuß stellt sich beim (vielleicht wiederholten) Sehen ein. Um einen Vergleich mit dem Meisterwerk Casino zu ziehen: Auch hier sind De Niro und (vor allem) Pesci wieder in Hochform zu sehen, wenngleich ich auf die geriatrischen Schlußszenen gerne verzichtet hätte - aber diese gehören nun einmal dazu, wenn das auf einer Art Biographie beruhende Drehbuch auch das (biologische) Ende des Irishman darstellen will. Statt des glänzenden Sam „Ace“ Rothstein im weißen Frack diesmal also ein eher wenig intelligenter Befehlsempfänger, dennoch ein weitgehend unterhaltsames Mafia-Epos: 7,49 Punkte.