Review

Die Jungs altern wie guter Wein


Jahrelang erwartet, sagenumwoben, gehyped, verflucht, ersehnt, willkommen, gezittert. Nun endlich im Kino und dann Ende des Monats auf Netflix - Martin Scorseses „The Irishman“. Hält das über 200-minütige (!) Gangster-Mammutwerk was es ewig versprach bzw. wir Fans uns erhoffen? Oh ja, und wie :)))... Erzählt wird von einem, nein DEM irischen Auftragskiller der New Yorker Mafia, von seinem Leben, seinen Sünden, seinen Freunden, seiner Familie, seinen Morden, Parties, Dämonen. Und mittendrin Jimmy Hoffa, sein guter Freund, Mentor und vielleicht traurigstes, berühmtestes Opfer... Was. Für. Ein. Brocken. Ich habe jede Minute geliebt! Wenn man bei einem dreieinhalbstündigen Film nach dem Abspann am liebsten sofort nochmal von vorne starten würde, sagt das denke ich einiges über dieses (wenn auch nicht ganz tadellose) Meisterwerk aus. Scorsese liefert mit „The Irishman“ ab - und zwar im ganz, ganz großen Stil. 

Kann „The Irishman“ mit seinen Klassikern wie „GoodFellas“ oder „Casino“ mithalten? War der jahrelange Hype gerechtfertigt? Soll man ihn im echten oder heimischen Kino gucken? Wie ist es diese ganzen Altstars auf einem Haufen zu sehen? Kann Scorsese seinen „Freizeitpark“-„Vorwurf“ an große Comicbuchverfilmungen mit einem diesen überlegenen Meisterwerk untermauern? Funktioniert der Deaging-Effekt gut? All diese und noch viel mehr Fragen brennen jedem Fan und Cineasten natürlich auf der Seele. Und die meisten kann man zu unser aller vollsten Zufriedenheit beantworten. Den Verjüngungseffekt hat man bisher noch nicht besser gesehen, nur anfangs in manchen Szenen braucht man etwas Gewöhnung an ihn. Die Altstars wie De Niro und Pacino liefern eine famose Show und legen alles rein, was sie drauf haben - und sie sind nunmal wahrscheinlich mit die besten Schauspieler, die man je auf der Leinwand bewundern konnte. Vor allem Pesci mal wieder zu sehen ist eine wahre Freude! Und natürlich sollte man das Ganze auch im Kino sehen - da es ganz einfach ein Scorsese ist und es sich so gehört. Allein um zu zeigen, dass Netflix seine Blockbuster ruhig öfters, früher und länger zusätzlich in die Lichtspielhäuser bringen sollte. Über das Gefühl kommt einfach nichts, auch kein hochaufgelöstes High-End-Heimkino mit 7.1-Anlage.

„The Irishman“ erfordert selbstverständlich Sitzfleisch und funktioniert später gestreamt sicher immer noch hervorragend - doch das Warten, Genießen und Aufsaugen im dunklen Saal mit etlichen Gleichgesinnten der „alten Schule“ lohnt sich. Es ist ein echter Wälzer in Filmform, fast so etwas wie ein Enzyklopädie der Gangstermovies. Und das, ohne diese Welt großartig zu glorifizieren. Ganz im Gegenteil: der Schmerz, das Leid, der Kummer und die Schuld sind dauerhaft, unauslöschbar und allgegenwärtig spürbar. Das unterscheidet dieses Alterswerk dann doch von seinen jüngeren, leichteren und spritzigeren Vorgängern im Geiste. Und macht es vielleicht in emotionalen Belangen sogar noch wertvoller und resonanter. Mal ruppig, mal zart, mal zackig, mal ausführlich, mal intim, mal episch, mal knackig, mal redundant, mal witzig, mal böse. Das hier ist das komplette Verwöhnprogramm. Also ab ins Luxuskino mit Liegesesseln und runtergehen lassen wie Öl. Das kommt nicht wieder, das lässt sich nicht wiederholen. Ein glänzendes Goodbye eines Meisters. Oder gleich mehrerer. Alles wie immer unterlegt mit einem lässigen Score, einem Blick für die Ära und das Milieu wie kein Zweiter, legendären Stars, die der jungen Garde nochmal zeigen wie es geht. Was will man denn mehr. Hintenraus, wenn es dann immer wieder um den Sturkopf Hoffa und das Unvermeidliche geht, spürt man dann doch die Minuten auf der Uhr und dass Scorsese eben wirklich niemand sagt, dass vielleicht die ein oder andere ähnliche Szene nicht fünfmal vorkommen müsste. Außerdem ist die Erzählweise meiner Meinung nach oft etwas unnötig verschachtelt und konfus. Doch insgesamt ist das eines dieser Werke, mit denen man 2019 auf ewig verbinden wird. 

Fazit: Scorsese und seine betagten Herren in ihrem Element, die Verjüngungseffekte gehen als solide durch, man gewöhnt sich dran, die massive Laufzeit ist verdient und „The Irishman“ ist einfach ein extrem fettes, breites, vielschichtiges Gangsterepos, das kein Filmnerd (am besten im Kino!) missen will. Eine Art weiser, brutaler, rigoroser Schlusspunkt unters Genre. Egal wie hoch die Erwartungen vorher waren, das Ding kann sie krachend erfüllen, spielt meiner Meinung nach in der obersten Liga neben „Der Pate“ oder „Scarface“ mit. Trotz ein paar kleiner Fehlerchen ist „Magnus Opus“ dafür meiner Meinung nach nicht zu hoch gegriffen. Toll, endlich mal wieder solch einen Brecher zu erleben! Genau deswegen hat man sich doch in die siebte Kunst verliebt! 

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