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„Dass Dresden so’n Mann verliert…“

Der zweite Dresdner „Tatort“ nach Alwara Höfels‘ bedauerlichem Abgang fußt auf einem Drehbuch Mark Monheims und Stephan Wagners, der auch zum fünften Mal innerhalb der Krimireihe die Regie übernahm. Mit der Erstausstrahlung am 18. August 2019 beendete die ARD ihre „Tatort“-Sommerpause. Für Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ist es der achte Fall, für ihre neue Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) der zweite.

„Das ist Dresden – nicht Palermo!“

Gastronom Joachim „Jojo“ Benda (Gerd Kastenmeier) wird erschossen in seinem Büro aufgefunden. Motiv und Täter vermutet man im Schutzgeldmafia-Milieu, auch die Aussagen der Witwe Bendas Katharina (Britta Hammelstein, „Der Baader Meinhof Komplex“) gehen ganz in diese Richtung: Zuvor hätten Schutzgelderpresser sie zu Hause überfallen und auch ihre beiden Söhne Viktor (Juri Winkler, „Rico, Oskar und die Tieferschatten“) und Valentin (Caspar Hoffmann) bedroht. Eine Spur führt zum zwielichtigen Stammgast Levon Nazarian (Marko Dyrlich, „Verpiss Dich, Schneewittchen“), dessen Kreditkarte am Tatort gefunden wurde. Doch auch Winklers pensionierter Vater Otto (Uwe Preuss, „Kriegerin“) und Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) verkehrten regelmäßig in Bendas Lokal. Gibt es bis in die Polizei hineinreichende Verwicklungen in die Unterwelt? Und sagt Katharina wirklich immer die Wahrheit…?

„‘Projektil‘ sagt man!“

Dass der zweite Fall des Duos Gorniak/Winkler „die Neue“ stärker in den Fokus rücken würde, war zu erwarten. In diesem Ausmaße – inkl. familiärer Einblicke – erscheint es jedoch fast schon übertrieben, zumindest etwas arg bemüht. Das ist jedoch nicht das Problem dieses „Tatorts“, denn Gröschel sieht man gern in ihrer Rolle. Weniger gern wird man Zeuge, wie sehr sie sich noch von oben herab vom Vorgesetzten Schnabel behandeln lassen muss. Dass sich die junge Kollegin gegen den alteingesessenen Patriarchen der Dresdner Polizei, der aufgrund persönlicher Bekanntschaften ihre Ermittlungen torpediert, durchsetzen muss, ist ein etwas halbherziger (weil für Schnabel folgenloser) Verweis auf Ungleichbehandlung im Beruf, jedoch lediglich ein Nebenkriegsschauplatz.

In erster Linie geht es lange Zeit darum, falsche Fährten zu legen, aber stets nebulös anzudeuten, dass mit Katharina Benda etwas nicht stimmt. Wiederholt wird dem Publikum ein kleiner Informationsvorsprung gegenüber den Ermittlerinnen gewährt, den es jedoch nicht zu dechiffrieren in der Lage ist. Auf Dauer ist das etwas ermüdend – zumal ständig jemand im Bett liegt, sodass ich bei der Erstsichtung tatsächlich weggenickt bin. Das künstlich gedrosselte Erzähltempo und die Tristesse in der opulenten Stadtvilla der Bendas trugen ihren Teil dazu bei. Nichtsdestotrotz geht von der dysfunktionalen Beziehung Katharinas zu ihren Söhnen – respektive zu ihrem älteren Sohn, den sie im Gegensatz zu ihrem jüngsten kalt und lieblos behandelt – ein gewisser Reiz aus; man kann es aber auch schlicht Neugier nennen.

Im letzten Drittel verdeutlicht sich der manipulative Habitus der Mutter und das wahre Motiv hinter der Tat schält sich mühsam frei. Bei aller Tragik und Dramatik lässt einen das jedoch seltsam ungerührt, denn tiefergehende Charakterisierungen erfahren weder Katharina noch das Mordopfer. Die Auflösung schließlich mutet hanebüchen und heillos übertrieben an, als seien mit den Drehbuchautoren einmal mehr sämtliche Gäule durchgegangen. Das zerstört den Genuss dieses Falls endgültig, was angesichts einwandfreier schauspielerischer Leistungen schade ist. In der Retrospektive wirkt manch Szene zudem enttäuschend sinnbefreit. Ein starker Auftritt eines Informanten in der Autowaschanlage, ein gelungener Seitenhieb aufs LKA und eine Verfolgungsjagd im Dresdner Straßenverkehr, die in einem Parkhaus fortgesetzt wird, stehen bizarre Momente wie eine Knabennacktszene gegenüber, in der dessen Mutter ihn mit Badezwang zu erpressen versucht. Auffallend auch die Vielzahl realer Markennamen im Finale, die die „Tatort“-Drehteams doch sonst stets unkenntlich zu machen angehalten sind.

Ob Winkler durch diese Groteske tatsächlich an Profil gewonnen hat, bleibt ebenso abzuwarten wie die generelle Entwicklung des Dresdner-„Tatort“-Zweigs, der sich nach zuletzt starken Beiträgen durch „Nemesis“ zum eher absteigenden Ast entwickelt hat.

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