Review
von Leimbacher-Mario
Ich sehe scharf und dennoch doppelt
Zwei Will Smiths halten diesen futuristischen (und gleichzeitig doch altmodischen!) Actionthriller am laufen - und bei mir schlagen zwei Herzen für Ang Lees neuestes Projekt in der Brust. Einerseits finde ich diesen unfreiwilligen Zwilling audiovisuell grandios, hier sollte man sich wirklich die beste, schärfste, dreidimensionalste und klarste Version angucken, diesen finden kann, koste es was es wolle. HFR 4K, Dolby Vision+Atmos, 3D - jap, das volle Programm, es lohnt sich, es ist ein beeindruckender Blick in die Zukunft. Aber das andere Herz sagt mir dann, dass unter dieser glänzenden, wegweisenden Oberfläche leider nur ein generischer, aufgepumpter und aufpolierter Actionblender steckt, der vor 25 Jahren direkt in den Videotheken dieser Welt gelandet wäre... Wir folgen Will Smith als gealterter Agent und Killer kurz vor der Rente, der sein jüngeres Ich, einen perfekten Klon, auf den Hals gehetzt bekommt.
Ang Lee ist technisch (und eigentlich auch emotional) ein absoluter Visionär mit Eiern und auch Talent. Zudem ist Smith immer ein Publikumsmagnet und Sympathieträger, egal ob in alt oder jung, in computeranimiert (wichtig: hier nicht am PC verjüngt!) oder in echt. Doppelt hält besser, weiß doch jedes Kind. Nur leider kann selbst diese geballte Power an Star und Zukunftsgewandtheit nicht verhindern, dass dieser Klonklopper weit weniger im Gedächtnis bleibt, als er es eigentlich müsste. Ich will gar nicht wissen, was ein James Cameron mit dieser Technik anstellen könnte... „Gemini Man“ bietet ein paar der besten Actionszenen des Jahres, man ist quasi live dabei statt nur auf die Leinwand zu starren. Zudem verzücken ein paar feine Drehorte wie Budapest, die Geschichte hat sogar etwas (Doppel)Herz und Will Smith muss man einfach mögen, da gibt’s kein Drumrum. Herr Wong und Frau Winstead versüßen ebenfalls die Show. Aber aber aber: „Gemini Man“ sieht einfach so gut aus, dass die fehlende inhaltliche Tiefe und Qualität nur noch deutlicher zu Buche schlägt. Der Soap Oper-Effekt bleibt zwar die meiste Zeit aus und der junge Smith sieht grösstenteils einfach überragend aus, ist wahrscheinlich die beste künstliche Gestalt, die Hollywood bisher erschaffen hat, noch vor Gollum oder Ceasar, dem Affen. Und dennoch fehlt einem ein ganzes Stück Gefühl, Gepäck, Inhalt und Fleisch. Ärgerlich. Alles wirkt sehr steril, safe, 90er und unfassbar billig gegenüber der High Tech-Hülle. Man ist immer auf Abstand, man guckt immer (passend zum Thema) einem (feinen) Experiment zu. Ein Lambo mit dem Motor einer Ente.
Fazit: ein austauschbarer 90er-Videothekenactioner innerlich, eine sprachlos machende Zukunftsvision äußerlich - „Gemini Man“ ist schwer zu bewerten. Technisch sicher mindestens eine 8, eher sogar noch mehr. Inhaltlich jedoch maximal 'ne 4. Diese unfassbare Optik und Hülle hätte einen besseren Filme verdient gehabt... Eindrucksvoll bleibt es aber auch so. Kurzweilig und kalorienarm. Den Aufwand aber irgendwie nicht wert.