Wenn Thomas Wayne zu Donald Trump wird
Der Clown Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) führt ein tristes Leben. Psychisch angeschlagen und oft sozial unbeholfen, findet er keinen echten Draht zu seinen Mitmenschen in Gotham City. Arthur träumt davon, Komiker zu werden. Jeden Abend schaut er sich sein Idol, den Talkmaster Murray Franklin (Robert De Niro), im Fernsehen an. Neben seinem frustrierenden Job kümmert er sich um seine verwirrte Mutter Penny (Frances Conroy) und verliebt sich in die allein erziehende Mutter Sophie Dumond (Zazie Beetz). Als Arthur eines Nachts in der U-Bahn von schnöseligen Geschäftsmännern angepöbelt und bedroht wird, reisst ihm der Geduldsfaden. Er wehrt sich. Und er hat es satt, ausgelacht zu werden. So beginnt seine Verwandlung in die anarchistische und unberechenbare Gestalt des Jokers – angetrieben vom Willen, endlich die Wahrheit über seine Herkunft aufzudecken.
Dass der Joker nach der ikonischen Performance von Heath Ledger in The Dark Knight (2008), früher oder später eine Origin Story spendiert bekommt, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Überraschender ist, dass das Resultat zu überzeugen vermag. Joker (2019) ist eine konsequente und düstere Charakterstudie, die dem Zuschauer wenig Raum für Zuversicht lässt und gegen Ende jeglichen Keim der Hoffnung erstickt. Herzstück des Filmes ist die Performance von Joaquin Phoenix, der Arthur Fleck glaubwürdig zwischen Erbärmlichkeit, Peinlichkeit, Genialität und Wahnsinn schwanken lässt.
Regisseur Todd Phillips (The Hangover, War Dogs) lässt seinen Film auf geradezu solipsistische Weise um seine Hauptfigur kreisen: Die Szenen ohne Arthur lassen sich an einer Hand abzählen. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Stärke, weil es das Erlebnis intensiver macht. Als Zuschauer sind wir gezwungen, den Ängsten und Torturen Arthurs beizuwohnen, uns mit ihm zu identifizieren. Schwäche ist es, weil sich die Charakterstudie über weite Strecken wie eine stereotype Kausalitätskette ausnimmt, an deren Ende (»Ta-daaa!«) die Personifizierung des Chaos steht, die bis anhin weder erklärt war noch eine Erklärung brauchte. Phillips setzt alles daran, Arthur zu demütigen, als Aussenseiter zu brandmarken und den Hass in ihm keimen zu lassen. Wie durchschaubar das ist, zeigt sich etwa an der Tatsache, dass Arthur gleich zwei Mal – fast grundlos – von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen wird.
Der Plot ist eine Maschine, die nur einen Zweck hat: aus Arthur den Joker zu machen. Immerhin arbeitet diese Maschine mit bemerkenswerter Effizienz. Sie funktioniert, raubt Arthur aber jegliche Entscheidungsfreiheit. Sein Schicksal tritt uns als vorbestimmt entgegen, als hätte er – gebeutelt von gesellschaftlichen Umständen und psychischen Macken – niemals gegen den Joker in ihm ankämpfen können. Das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, so einnehmend die Transformation vom unscheinbaren Schwächling zum schillernden Anarchisten auf der Leinwand auch aussieht. Hinzu kommt, dass die Darstellung der psychischen Krankheit einerseits unrealistisch [1], andererseits künstlerisch unbefriedigend ist. Philips folgt dem Einmaleins der Kindheits-Traumata. Der erzwungen dissonante Soundtrack macht den Charakter auch nicht tiefgründiger.
Und doch: Die emotionale Durchschlagkraft von Joker lässt sich mit bestem Willen nicht bestreiten. Phoenix ist hypnotisierend, faszinierend. Er beschwört mit Gestik und Mimik einen übermenschlichen Bösewicht, den man hassen sollte, aber nicht hassen kann. Die Dialektik zwischen Stärke und Schwäche mag unlogisch scheinen, wurde aber selten so gekonnt plausibilisiert wie in diesem Film. Obwohl Joker seine Fühler in die echte Welt ausstreckt, dürfen wir bei aller berechtigten Kritik nicht vergessen, dass wir uns noch immer im Territorium der Comic-Verfilmung befinden.
Gerade an der Schnittstelle zwischen Fantasie und der politischen Realität der Ära Trump tun sich die interessantesten Fragen auf. Denn: Wenn der Joker sagt, er sei nicht politisch, scheint Regisseur Phillips sich entschuldigend an das Publikum zu wenden; »Leute, das ist nur Unterhaltung!«. Aber kann der arrogante und reiche Thomas Wayne, Batmans Vater, anders interpretiert werden als Spiegelung des Präsidenten Donald Trumps mit einer ordentlichen Prise überheblicher Hillary Clinton? Der Film spielt zumindest mit dem Gedanken, die Fronten zwischen Bösewicht und Superheld neu zu ziehen. Der Joker ist ein kaputter Mensch, der durch puren Zufall – und der unfreiwilligen Hilfe des Fernsehens – eine Revolution anzettelt, die man nicht pauschal unmoralisch nennen kann.
Joker ist ein grimmiger Film über einen Einsamen, der krankhaft über alles lacht – obwohl es nichts zu lachen gibt. Damit ist er in den USA zurzeit sicher nicht allein. Der Streifen ist nicht so komplex, wie er gerne wäre – und wesentlich politischer, als er zuzugeben bereit ist. Psychologisch banal, soziologisch spannend. Kein Fehler, sich das Teil im Kino zu geben.
7/10
[1] Driscoll, Annabel/Husain, Mina (2019): »Why Joker’s depiction of mental illness is dangerously misinformed«. The Guardian.