Das einzig Schlechte an diesem Film ist, dass der verurteilte pädophile Sexualstraftäter Garry Glitter ein paar Tantiemen bekommt (RollingStone.de) - und der Überlänge-Aufpreis für 1,5 Minuten des Abspanns.
In einer intensiv deprimierenden Stimmung bekommt der Joker eine realistische, sozialkritische und verdiente Origin-Story verliehen, die von einem Todd Phillips wirklich nicht zu erwarten war.
Es ist absolut verständlich, dass Menschen das Kino verlassen, wenn sie von Depression oder einem Missbrauchs-Thema getriggert werden!
Es ist absolut unverständlich, wenn Leute im Kino Grölen, Lachen oder die hier gezeigte Figur des Joker in irgendeiner Weise abfeiern.
Insofern kann die Angst vor neuen Amokläufen durch Incel-Spinner oder andere Verschwörungs-Nazis nur auf deren eigenes Unverständnis des Films zurückführen. Filme wie Taxi Driver oder auch The Purge (ohne sie mit Joker vergleichen zu wollen) würde ich in dieser Hinsicht als weitaus gefährlicher einstufen.
SPOILER SPOILER SPOILER
Denn Arthur Fleck ist nicht böse, er trägt keinen Hass in sich, hat keine Agenda oder (pseudo-)politisches Interesse. Er ist, obwohl er eigentlich nur Gutes in die Welt und Menschen zum Lachen bringen möchte, schlicht verzweifelt, bekommt von der Gesellschaft/"dem System" keinerlei Hilfe und wird von ebendieser/m immer mehr ausgestoßen. Bis er beschließt bzw. nur noch den einen Ausweg sieht, sein Leben als einen schlechten Witz wahrzunehmen - die Tragödie wird zur Komödie.
Dabei ist Arthur nicht einfach ein Verrückter oder gar ein Psychopath. Er ist ein Missbrauchsopfer mit viel verdrängter Vergangenheit, die im Film nach und nach hochkommt, wodurch u.a. die Herkunft seiner Krankheit erklärt wird (er wurde als Kind "mit einer starken Kopfwunde" an einer Heizung gefesselt gefunden, verursacht durch einen auch die Mutter misshandelnden Vater).
Die Entwicklung zum Mörder geschieht sehr zufällig. Zunächst aus Notwehr, wonach Arthur aber die ersten Momente der Aufmerksamkeit und Anerkennung erlebt. Dann aus Überforderung mit der eigenen Geschichte - er kopiert, wohl eher im Affekt und im Film auch nur angedeutet, seinen unbekannten, gewaltvollen Vater und ermordet(?) eine unschuldige (nur vielleicht in einem einzigen Moment zu unsensible - gemeint ist die Geste des angedeuteten Kopfschusses) Frau und deren Tochter, obwohl er sich eigentlich deren Nähe erträumt.
Plötzlich und unverhofft bietet sich die Möglichkeit der großen Aufmerksamkeit, die er in seiner völligen Verzweiflung als gute Chance sieht seinen Suizid zu planen. Immerhin würde sein Tod dann wahrgenommen werden, wenn sein Leben schon niemanden interessiert ("I just hope my death makes more cents than my life." - ein wiederkehrender Satz, den Arthur in sein Witze-Notizbuch geschrieben hat). Doch die Macht der Aufmerksamkeit vereitelt seinen eigentlichen Plan, er genießt das Jubeln des Publikums - so etwas hat er noch nie erlebt, es überwältigt ihn und er bekommt in seiner gerade erst erfundenen Figur unter der Maske des Jokers ein nie dagewesenes Selbstvertrauen, während er nichts mehr zu verlieren hat.
Dies endet in einer live übertragenen Bluttat, wodurch er endlich Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommt - aber eben nur durch den wütenden Mob, den Pöbel auf der Straße Gothams. Dieselben Leute, die ihn zuvor noch verprügelt und ausgestoßen haben und jetzt ihre ungezielte Wut auf "die da oben"/das Establishment in die Figur des Joker projizieren. Der Mob erhebt Arthur aufgrund seiner Verzweiflungstaten (die ja so nie geplant waren) zum Helden und ermöglicht so die - im Film höchstens noch angedeutete - Entwicklung zum bösartigen, mordenden und in seiner Geisteskrankheit aufblühenden JOKER.
Todd Phillips ist hier vor allem durch den herausragenden Joaquin Pheonix ein wahrhaftiges, beeindruckendes, deprimierendes, sozialkritisches und modernes Psychogramm gelungen, das auch in jeder Nebenrolle zu beeindrucken weiß.