Staffel 1
Wo watches the Boys?!?
"The Boys" ist einer der Knaller des Serienjahres, dessen aktueller Hype auf höchstem Netflix-Niveau absolut berechtigt ist und zu bzw. für dem man Amazon nur gratulieren und danken kann. Es ist in etwa die Justice League auf pervers und links gedreht, "Watchmen" aktualisiert und noch weiter getrieben, "Kick-Ass" in epischer, der Gegenpol zu den "Avengers" und allgemein das Gegengift für alle mit Superhelden-Verdruss. Nicht dass ich mich dazuzählen würde, doch vor allem für ein Publikum, dem die etwas oberflächliche und scheinheilige Art von Marvel und der Maus allgemein auf die Nerven geht, ist das hier schon so etwas wie ein Frischekick, eine pfiffige Offenbarung.
Erzählt wird von einer Welt bzw. einem Amerika, wo es hunderte Superhelden gibt, mit allen möglichen übermenschlichen Fähigkeiten. Allerdings hier auch mit nahezu allen möglichen menschlichen Schwächen (wie beispielsweise Gier, Geilheit und Boshaftigkeit), nur eben potenziert in ihrer Gefährlichkeit und ihren Ausmassen durch solch heftige Kräfte der "Supes" wie Laseraugen oder blitzschnellem Laufen. Erst recht für die "normalen" Menschen. Und einem dieser Normalos folgen wir, da er schon zu Beginn durch einen der berühmtesten Superhelden spektakulär böse einen geliebten Menschen verliert und deswegen nicht mehr allzu gut auf Superhelden zu sprechen ist. Und damit ist er nicht allein...
"The Boys" rockt, ist wild und politisch oft schön unkorrekt, hat Eier und wirft einem diese nicht selten ins Gesicht. Im Folgenden einige Punkte, die ich an der gewagten und meist grandiosen Show toll fand. Und was ich mir für kommende Staffeln noch etwas besser vorstellen könnte. Denn wer oder was ist schon perfekt?! Diese "Superheroes" jedenfalls ganz und gar nicht...
TOP
+ Karl Urban rockt den Part als Billy Butcher!
+ eine fulminante Auftaktepisode, die die Stange (zu?) hoch hängt
+ passt perfekt in die aktuelle Zeit und Gesellschaft
+ spricht etliche wichtige, akute Themen an, von #MeToo bis zur Scheinheiligkeit der Gesellschaft, der Medien, des Showgeschäfts
+ sehr kritisch, auch gegenüber Amerika als Staat und der Showbranche allgemein
+ beleuchtet Themen wie "Angst vor Superhelden" oder "große Kraft = große Verantwortung" wie noch nie zuvor
+ zeigt eine Perspektive, aus der man Superhelden vielleicht noch nie gesehen hat
+ fast schon zu nah an der Realität?!
+ klasse Soundtrack, für jeden was dabei (Spice Girls!!!)
+ sehr rebellisch, nimmt kaum ein Blatt vor den Mund
+ äußerst blutig und brutal in seinen Spitzen
+ sehr intelligent und spritzig geschrieben, natürliche Dialoge
+ etliche Wow- und WTF?!-Momente
+ sehr gut zu bingen, trotz recht langen, einstündigen Episoden (8 Stück)
+ Finale macht Bock auf mehr
+ geniales, neugierig machendes World Building mit noch nahezu unendlichen Möglichkeiten
+ "Starlight" ist ein klasse Charakter, die Darstellerin bezaubernd
+ augenzwinkernd aber dennoch immer gefährlich, böse, hart. Nie weichgespült (selbst wenn Amazon eine brisante Szene wohl doch rausgeschnitten hat)
+ Antony Starr spielt den "Homelander", eine teuflische Mischung aus Captain America, Superman und einem Riesenbaby, absolut brilliant. Er ownt die Serie fast.
+ auch die restlichen "Helden" werden fein, nuanciert aufs Korn genommen; ihre Vorbilder sind unübersehbar
+ absichtlich leicht trashig zum Teil
+ Comedyhighlights mit "The Deep" und seinen "Tiefseefreunden"
+ streubt sich nicht vor Nacktheit und Gewalt
+ bleibt größtenteils seiner Vorlage treu, zumindest tonal
+ aber auch für Leser der Comics noch mit guten Änderungen, Wendungen und Suprises
+ die krasse "Flugzeugabsturz"-Szene
+ klasse Produktionsdesign und spürbar hohes Budget (wenn auch nicht hoch genug für mehr Superhelden in Aktion)
+ lässt einen tatsächlich darüber nachdenken und schaudern, was wäre, wenn es wirklich "Menschen" mit solchen Kräften gäbe
+ Comedy und Action in solider Balance
+ lobenswert fies und gemein und manchmal ein echter "Downer" und "Upper" zugleich
+ der Auftakt bzw. der Stein, der alles ins Rollen bringt, ist einer der popkulturellen Momente des Jahres, ließ meinen Kiefer auf den Boden schlagen und mich mehrmals die Rückspultaste drücken
+ dehnt die Grenzen für sein "Genre", ja pulverisiert diese fast. Zumindest in seinen Höhepunkten.
+ ein wahrer "Peoples Champion"
+ endlich eine Amazon-Serie, von der alle reden wie von einem Netflix-Hit ala "Dark" oder "Stranger Things"
FLOP
- Hauptfigur/-darsteller bleibt etwas blass (zum Teil auch gewollt)
- erste Folge wird im Verlauf nicht mehr erreicht/übetroffen
- kleinere Hänger zwischendurch (obwohl nie Langeweile aufkommt)
- nicht alle Figuren wirklich ausgezeichnet und überzeugend (Luft nach oben/Möglichkeiten offen)
- Nebenfiguren (wie der Franzose) können nerven oder zumindest unnötig erscheinen
- Beziehung zwischen dem Protagonisten und Starlight wirkt süß aber oft steif und nicht immer perfekt, nötig, fesselnd
- mehr Action und Superhelden "bei der Arbeit" wären fein
- Spannungskurve/Handlungsverlauf nicht immer ideal
- finaler "Twist" alles andere als unerwartet
- extrem zynisch (was auch positiv ist), extrem unreif (zum Teil), extrem schwer zu verdauen (manchmal)
- vielleicht im Endeffekt doch nicht ganz so radikal und "spielverändernd", wie die Serie oft meint zu sein. Aber das kann ja noch kommen. Der Grundstein ist famos gelegt.
Fazit: definitiv ein Anwärter auf die beste neue Serie des Jahres. Aktuell, rotzfrech, sozial und gesellschaftlich relevant und mutig und ehrlich. Ein heftiger Tritt in die Eier und Adrenalinstoss in den Arm der aktuellen Superhelden-Welle. Was denkt sich Kevin Feige, wenn er das sieht?! Heftig, lässig, böse, unverschämt und keinen Fick gebend. Als ob "Watchmen" und "Kick-Ass" einen unehelichen Bastard auf Drogen hätten, der strunzbesoffen und nackt Amok läuft. Ziemlich groß! Ein Gamechanger für Amazon?! Disney+ wird sowas jedenfalls in hundert Jahren nicht bieten... (9/10)