Achtung: Enthält Spoiler!
Mit „Plutonium“ beglückte der prophetische Autorenfilmer Rainer Erler („Fleisch“, „Operation Ganymed“, „Der Spot oder Fast eine Karriere“) nach „Die Delegation“ das deutsche Fernsehpublikum im Jahre 1978 mit einem weiteren Spielfilm im Reportagestil, einer sog. Mockumentary. In einer südamerikanischen Militärdiktatur wird der deutsche Ingenieur Manfred Hartung (Werner Rundshagen) entführt. Reporterin Anna Ferroli (Charlotte Kerr, „Fleisch“) berichtete über den Fall und stieß zunächst auf viele Eigenartigkeiten, um später einer Verschwörung auf die Spur zu kommen, die mit dem Verschwinden von einigen Kilogramm Plutonium in Verbindung steht. Moderator Bob Cunningham (spielt sich selbst) präsentiert und kommentiert Ferrolis Aufnahmen im Rahmen einer TV-Dokumentation. Anna Ferroli ist dazu nicht mehr persönlich in der Lage.
Größtenteils in Brasilien gedreht, tat Erler gut daran, den Namen des Landes nicht zu nennen. Die Vermischung mit Bildern aus Argentinien und Chile trägt ihr Übriges dazu bei, dass sein Film nicht als für ein bestimmtes Land spezifisch, sondern staatenübergreifend aufgefasst wird, zumal damals in allen drei Nationen Militärdiktaturen ihr Unwesen trieben. Spannend erzählt und konsequent grimmig, dabei stets seinem realistischen Stil treu, weist Erler auf die Gefahren der Nukleartechnologie nicht nur in Bezug auf Atomkraftwerke hin, sondern vor allem auch, welches verheerende Potential sie in den Händen eines skrupellosen Regimes birgt. Er zeigt den manipulativen, instrumentalisierten Umgang mit Begriffen wie „Terrorismus“ und wie die Öffentlichkeit dreist belogen und in die Irre geleitet wird, um im Hintergrund ungestört die Strippen zu ziehen. Parallelen zu tatsächlichen Fällen aufgebauschter Terrorismus-Paranoia, die ein ganz anderes Ziel als den Schutz der Bevölkerung verfolgen, drängen sich geradezu auf.
Ferroli stellt unbequeme Fragen und kommt schließlich einem Komplott von Regierungsseite auf die Schliche, für das das ausführende Fußvolk auch ohne Weiteres als Bauernopfer herhalten muss, wie die dramatische Entwicklung zeigt. Dafür greift Erler auf Actionszenen zurück, die ohne sich jemals dem Verdacht des Selbstzwecks auszusetzen den von ihm gewohnten Pessimismus unterstreichen. Es wird scharf geschossen, bis selbst die toughe Journalistin dem nichts mehr entgegenzusetzen hat und ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt.
In einer u.a. mit Talkshow-Auftritten Ferrolis und einem romantischen Techtelmechtel durchaus niveauvoll ausgeschmückten, nicht unkomplexen Handlung fordert Erler einen gewissen Grad an Konzentrationsfähigkeit vom Publikum ein, erklärt ihm aber auf intelligente und letztlich für Jedermann verständliche Weise die Zusammenhänge, wie sie in abstrakterer Form auch in der Realität ähnlich immer mal wieder Bestandteil von Nachrichtensendungen sind. Auf einen pädagogischen, belehrenden Zeigefinger verzichtet er dabei ganz bewusst und verarbeitet seine Aussage in einem überaus gelungenen, inspirierenden Polit-Thriller mit hohem Unterhaltungsfaktor, der seinen Reportagestil mit viel Gehalt füllt.
Charlotte Kerr spielt ihre Rolle glaubwürdig, die ihrem Naturell offensichtlich wesentlich mehr Entfaltungsraum bietet als ein Jahr später in „Fleisch“, wo sie in einer etwas eigenartig angelegten Funktion eher blass blieb. Wolf Roth („Fleisch“) als vermeintlicher Terrorist/Revolutionär Porfirio Perez agiert zurückhaltend genug, um sich eine undurchsichtige Aura anzueignen, aber dennoch so charakteristisch, dass die Finte anfänglich auch für den Zuschauer aufgeht. Generell gibt es eigentlich keine Ausreißer aus dem angepeilten und umgesetzten realistischen Stil zu verzeichnen, das Konzept gerät nie ins Wanken. Ich ziehe abermals meinen Hut vor Erlers Arbeit und zeige mich beeindruckt von einem seinem Bildungsauftrag unaufdringlich gerecht werdenden öffentlich-rechtlichen TV-Projekt von einmal mehr internationalem Format, das der allgemeinen Verblödung und Verschleierung effektiv entgegenwirkt, ohne dabei das Sujet eines unterhaltsamen Films zu verlassen und sein Publikum zu über- oder unterfordern. Die Thematik hat an Aktualität kaum eingebüßt; ein Grund mehr, sich wieder mit Erlers Werk auseinanderzusetzen.