Leichter Spoiler
Daniel Defoes Robinson Crusoe hat als Klassiker der Jugendliteratur bei einigen Generationen von abenteuerlustigen jungen und wagemutigen Mädchen immer wieder die „Was-wäre-wenn-Frage“ geweckt: Was wäre, wenn ich ganz allein auf eine einsame Insel verschlagen würde?
Man konnte gut nachvollziehenen, wie Robinson sein Schutzbedürfnis durch Bau einer Festungsanlage, seine Verpflegungsprobleme durch Ackerbau und Viehzucht und das Grundbedürfnis nach Gesellschaft durch Aufnahme seines Dieners und Gefährten Freitag befriedigte.
Irgendwie wollte man doch bei der Lektüre immer gern mit ihm tauschen!
Und auch heute noch weckt schon der Gedanke an Robinson die latente Sehnsucht des Aussteigers aus der hochzivilisierten Leistungsgesellschaft.
Jenes Thema wird bereits bei der Ankündigung des Filmtitels von Cast Away – Verschollen wiederentdeckt und die dazugehörige Gefühlslage spätestens beim Landgang des Verschollenen neu in Erinnerung gebracht.
Tom Hanks als berufsmäßiger Globetrotter Chuck Noland, der nach strenger Regie seines Terminkalenders für die Firma „FedEx“ die gesamte Klaviatur des modernen Businessprofis beherrscht, überlebt als Einziger einen Flugzeugabsturz. Diese Katastrophe ist spannend inszeniert und als optisch-akustisches Erlebnis brillant in Bilder gefasst. Der Zuschauer wähnt sich in den kritischen Minuten, die professionell dargestellt werden, als Mitfliegender perfekt dabei und bangt ums Überleben der Beteiligten.
Jeder, der selbst schon mal in Seenot war, kann die entsprechenden Szenen des Filmes im ersten und die Versuche, die Insel auf dem Wasserweg zu verlassen im zweiten Teil gut nachvollziehen. Der Mensch ist, den Naturgewalten völlig hilflos ausgeliefert, ein Spielball des Schicksals.
Der Film lässt sich in drei Teile gliedern, grob gesehen als Exposition, Hauptteil und Schluss zu beschreiben.
Die Exposition beschreibt die „normale“ Lebenssituation des „modernen“ Menschen mit all ihren Zeitzwängen, Terminnöten und daraus folgend den Entfremdungen, Schuldgefühlen, Rechtfertigungszwängen und Kompensationen.
Als der Protagonist am Weihnachtstag erneut zu einer Weltreise aufbricht, - die Bescherung mit seiner Frau findet sinnigerweise kurz vor dem Abflug auf dem Rollfeld im Auto statt -, sagt er: „Ich bin gleich wieder da!“
Seine Frau schenkt ihm die Taschenuhr ihres Vaters, die Uhr als Zeitsymbol. Seine Rückkehr dauert allerdings mehr als vier Jahre. Die Uhr, die bei der Notwässerung leidet, bleibt während dieser Zeit stehen.
Der Hauptteil des Filmes beschreibt jene Zeit des modernen Robinson auf einer einsamen Insel im Pacific. Und da ist es wieder, jenes alte, fast schon vergessene Gefühl: Was wäre, wenn ich heute auf mich allein gestellt, ohne Nahrung, Gesundheitsfürsorge, ohne Wohnkomfort und vor allem ohne die gesellschaftlichen Errungenschaften der Kommunikation auf einer Insel überleben müsste? Könnte ich das überhaupt? Als abenteuerlustiger Junge habe ich es doch gewollt!
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der Mensch gibt eine jämmerliche Figur ab! Der Film erzählt nicht nur, er hält den Spiegel vor, wird schließlich zur Persiflage.
Alle, aber auch alle grundlegenden Lebensfunktionen sind nachvollziehbar vollkommen beeinträchtigt. Der Mensch hat sich von der Natur völlig entfremdet. Von haushohen Wellen überrollt, hilflos herumgewirbelt, an den Felsen fast totgeschlagen, wird er als armselige, elende Kreatur vorgeführt.
Allein die Nahrungsbeschaffung gestaltet sich als äußerst schwierig und mühsam. Dem Zuschauer im sicheren Sessel ist es indes köstlich, anzusehen, wie die einfachsten Methoden zum Öffnen einer Kokosnuss versagen. Der alleingelassene Mensch durchläuft alle Stufen der Evolution neu, um dank oder wegen seiner vorhandenen Intelligenz die Errungenschaften der Zivilisation neu zu erfinden.
So ist die Geschichte der Gewinnung des Feuers zum Wärmen in kühlen Nächten und zur Steigerung der Nahrungsqualität herzerfrischend anzusehen. Brillant auch die symbolhafte Nutzung von angeschwemmtem Zivilisationsmüll für hier wirklich lebensnotwendige Funktionen.
Herausragend so auch die Symbolik des als rettendes Segel genutzten Wandteils eines transportablen Toilettenhäuschens aus Hartplastik! („Als die Flut kam und mir ein Segel schickte.“)
Wirklich ertappt fühlt sich aber der moderne Handynutzer, der immer und überall den spontanen Gedankenaustausch mit seinen lieben Mitmenschen, wo immer auf der Welt sie sich gerade aufhalten, pflegt, bei der bald auf der Insel entstehenden Kommunikationsnot aus Einsamkeit: Ein zufällig vorhandener Ball wird, blutbeschmiert, zur einzigen Kontaktperson des Insulaners.
Wilson ist der moderne Freitag der Robinsonade. Er muss für alle Selbst- und Zwiegespräche herhalten und verdeutlicht so die brüchige Grundbefindlichkeit des Menschen. Der Mensch als homo sociologicus, auf die Dauer sich selbst überlassen, wird schließlich verrückt!
Die Darstellung des Insellebens ist außerordentlich bunt und vielschichtig. Zu erwähnen wären zum Beispiel noch die verschiedenen Nahrungsbestandteile, die Zahnbehandlung, die Funktion der Höhle und der Floßbau.
Zurück in der Zivilisation, geht es im Schlussteil um die Moral von der Geschicht.
Die Frau, die er liebte, an die er in all den einsamen Stunden dachte, hat inzwischen geheiratet und eine kleine Tochter:
„Du hast gesagt, Du wärst gleich wieder da!“
„Es tut mir so leid!“
„Mir auch.“
Die Bindung, die ihn am Leben hielt, sie war in der Welt der austauschbaren Beziehungen eine Schimäre. Nur kurz sieht es so aus, als würde die Liebe, was auch immer das sei, schließlich siegen. Die Uhr, die alles überdauerte, er gibt sie zurück.
So hält uns der Film einen Spiegel vor und entlarvt den Traum vom Robinsonleben als einer gestrigen Welt zugehörig. Die Menschheit hat sich fortentwickelt und selbst an den entlegensten Stränden ist uns die Robinsonade ein Martyrium. Der Rückkehrer aber erkennt, dass die Zivilisation in Belanglosigkeiten erstickt: Was man sich nach all den Jahren zu sagen hat, ist die Neuformierung der Football-Mannschaft! Was bleibt, und das ist die positive Botschaft des Filmes, ist die Erkenntnis, dass unser Überleben vom zielgeleiteten Streben ums Überleben selbst bestimmt wird. Was sagt der Held zum Schluss?
„Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich werde weiter atmen. Weil ja morgen die Sonne wieder scheint. Und wer weiß, was die Flut bringt!“
Ist unser „modernes“ Leben mit all seinen Auswüchsen selbst zur Robinsonade verkommen?
Hier frage ich mich, welche Antworten über die Analyse hinaus der Film dem entgegensetzt. Der Verzicht auf ein happyend und der nachgesetzte offene Schluss scheint mir eher eine Schwäche zu sein.
Fazit: Der Film nimmt sich eines wichtigen, existenziellen Themas an und interpretiert es für unsere Zeit neu. Dies geschieht mit einer klar gegliederten Handlung, vielen schönen Bildern, vorhandenem Spannungsbogen, einigen witzigen Einfällen, die in Situationskomik umgesetzt werden und den überzeugenden Leistungen des Hauptdarstellers Hank.
Negativ möchte ich dem Film zur Last legen, dass er positive Ansätze zur Überwindung des treffend Analysierten nicht oder nur wenig aufzeigt.