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Quentin Tarantinos Werke sind ja fast immer Filme über Filme und Popkultur, die im Dialog referenziert, über andere Zitate eingewoben oder via Plakat angekündigt wird. Doch tatsächlich geht der Nerd-Regisseur erst mit seinem offiziell neunten Film, „Once Upon a Time in Hollywood“, den entscheidenden Schritt: Er lässt ihn tatsächlich während der Dreharbeiten zu Filmen spielen.
Dabei geht es sehr um jenes Genre, dem Tarantino mit „Django Unchained“ und „The Hateful 8“ direkt, mit „Inglourious Basterds“ verklausuliert Tribut gezollt hatte: Den Western. Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) ist ein Westernstar, der seine Karriere bei der (fiktiven) Western-TV-Serie „Bounty Law“ begann, ehe er zum Kinohelden in zupackenden Rollen wurde. Das hat klare Anklänge in Richtung der Karriereanfänge von Clint Eastwood und vor allem Burt Reynolds. Der Legende nach wurde der kleine Quentin Tarantino dereinst von seiner Mutter nach der Reynolds-Rolle aus der Serie „Gunsmoke“, Quint, benannt. Außerdem wurde Reynolds‘ Leben von seiner Freundschaft zu seinem Stuntman und späteren Regisseur Hal Needham geprägt – diesen Part übernimmt hier Daltons Stuntdouble Cliff Booth (Brad Pitt), der gleichzeitig dessen Chauffeur, Mädchen für alles und offenes Ohr zum Ausheulen ist.
Man schreibt das Jahr 1969, die Manson-Morde stehen kurz bevor, womit Tarantino gleich das Crime- und Gewalt-Sujet, das für ihn typisch ist, in der Luft liegen lässt. Jedoch: Charles Manson (Damon Herriman) taucht nur in einer Szene auf, seine Jünger sind eher sporadisch zu sehen, ebenso wie Roman Polanski (Rafael Zawierucha). Mehr gibt es von Sharon Tate (Margot Robbie) zu berichten, dem prominentesten Opfer der Manson-Sekte, doch Tarantino geht es nach eigener Aussage darum, wie sie gelebt hat, nicht wie sie gestorben ist. Polanski und der aufsteigende Star Tate bewohnen das Anwesen neben jenem von Dalton, doch auch sie bleiben Nebenfiguren, selbst Tate: Ein Kinobesuch ihres eigenen Films „The Wrecking Crew“ ist das Herzstück ihrer Szenen.

Während das Unheil am Horizont aufzieht, hat Dalton mit dem eigenen Unglück zu kämpfen: Die Filmkarriere liegt am Boden, in Westernserien spielt er nur noch den Schurken, der wöchentlich von aufstrebenden Nachwuchshelden umgelegt wird, und nach Italien gehen und dort Western drehen will er nicht. Noch ahnen weder er noch Cliff, das ihnen bewegte Zeiten bevorstehen…
Man könnte manchmal meinen, dass Manson und die Tate-Morde ein wenig pflichtschuldiger Aufhänger für Tarantino sind, da dies nur am Rande eine Rolle spielt, in einer Szene aber zur meisterhaften Spannungserzeugung genutzt wird: Cliff fährt das Hippiemädchen Pussycat (Margaret Qualley) nach Hause – zu einer Ranch, auf der er früher drehte und auf der nun die Manson-Sekte wohnt. Ein geschicktes Spiel mit dem Vorwissen der Zuschauer. Auch wenn natürlich zu ahnen ist, dass Tarantino die Geschichte umschreiben wird: Nicht nur der Titel „Once Upon a Time in Hollywood“ weist auf den (Kino-)Märchencharakter des Films hin, auch ein früher Ausschnitt aus einem fiktiven Rick-Dalton-Reißer erinnert an das Finale von „Inglourious Basterds“, in dem Tarantino die Geschichte schon einmal (und noch wesentlich krasser) umschrieb. An jenes Finale mag der Showdown von „Once Upon a Time in Hollywood“ nicht anknüpfen: Es gibt die erwartete derbe Gewaltorgie (die aber nur eine von drei brutaleren Szenen in dem Drei-Stunden-Film bleibt), aber die ist weniger souverän inszeniert als manch anderes Tarantino-Finale.
Sowieso ist der Regie-Maestro gelegentlich in einem Modus unterwegs, der an das Abhaken von Checklisten erinnert: Im Radio ein Soundtrack aus Evergreens und persönlichen Highlights, die üblichen Einstellungen nackter Frauenfüße, die Red-Apple-Zigaretten, denen im Abspann ein eigener Werbespot gewidmet wird usw. Doch glücklicherweise geht Tarantino über die reine Pflichterfüllung hinaus, hat mit den Bezügen auf sein eigenes Werk auch etwas zu sagen. Nicht nur, dass Regulars wie Michael Madsen dabei sind (der ganz kurz in „Bounty Law“-Ausschnitten zu sehen ist), sondern es gibt weitere clevere Verweise: Der Reminder in Sachen „Inglourious Basterds“-Finale ist in mehrerlei Hinsicht bedeutend, Maya Hawke, die Tochter von Ethan Hawke und Tarantinos Muse Uma Thurman, hat eine Gastrolle, in einer anderen Szene besteht der Meta-Gag darin, dass ausgerechnet die „Death Proof“-Konkurrenten (und Tarantino-Spezis) Kurt Russell und Zoe Bell als Ehepaar auftreten. Oder wenn Italoregisseur Antonio Margheriti erwähnt wird: Unter diesem Decknamen trat Brad Pitt als Aldo Raine in der Kinoszene von „Inglourious Basterds“ auf.

Ebenso funktionieren viele der Verweise auf Kino und Fernsehen der 1960er. Wenn Cliff Booth an einer Stelle mit Audie Murphy verglichen wird, dann weiß der Kenner, dass beide Kriegsheimkehrer sind, die zu Genregrößen wurden: Murphy als Schauspieler, Booth als Stuntman. An einer anderen Stelle unterhält sich Dalton mit der fleißigen Kinderdarstellerin Trudi (Julia Butters): Hier prallen altes Hollywood und das aufkeimende New Hollywood aufeinander, eine Kreatur des Starsystems trifft auf eine Jüngerin des Method Acting – was dadurch noch lustiger wird, dass DiCaprio eigentlich selbst ein Method Actor ist. In kleinen Szenen treten reale Hollywoodgrößen der Zeit wie Bruce Lee (Mike Moh) und Steve McQueen (Damian Lewis) auf, die für das Genrekino jener Tage stehen, so wie der fiktive Rich Dalton. An einer anderen Stelle wird ein Screentest Daltons für „Gesprengte Ketten“ erwähnt, wofür man Steve McQueen heraus- und DiCaprio in die entsprechenden Szenen hineinretuschierte. Dies ist nicht die einzige Szene, in der Tarantino mit Bildformaten und der Materialität des Films experimentiert, hier also auch formal seine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen jeder Art – egal ob Film, Fernsehen oder Roman – ins Bild setzt.

Quentin Tarantinos Figuren lieben dieses Geschichtenerzählen. Tarantino liebt das Geschichtenerzählen und seine Figuren. So gibt es immer wieder Momente der besonderen introspektiven Zärtlichkeit, wenn sich Sharon Tate selbst auf der Leinwand sieht oder Rick und Cliff eine Folge „FBI“ im Fernsehen schauen, in der ersterer den Heavy der Woche gibt. Und darin liegt auch der Zauber von „Once Upon a Time in Hollywood“: Tarantinos Film hat wenig äußerliche Handlung, aber er zieht das Publikum schnell in den Bann, versetzt es so in ein früheres Hollywood, dass man die Begeisterung des Regisseurs dafür sofort teilen kann, dass man diesen Charakteren gerne folgt und Zeit mit ihnen verbringt, sich sogar ernsthaft um sie sorgt, wenn die Manson-Morde näher rücken – die eingeblendeten Zeitangaben wirken bedrohlicher als Bomben-Timer in vielen Actionfilmen.
Dabei bleibt Rick Dalton das Herz des Films. Cliff Booth ist eine gleichberechtigte Figur, ein wichtiger Spielpartner, aber auch die eindimensional coolere Rolle: Der wahre Tough Guy, der auch mal mit Bruce Lee kämpft, seinen nackten, muskulösen Oberkörper bei Reparaturarbeiten präsentiert und Leute niederschlägt, die ihm querkommen. Rick hingen ist facettenreicher: Einerseits ein eitler Geck, der zu viel säuft, sich in Selbstmitleid ergeht und weinerlich am Ruhm früherer Tage hängt. Der es als Angang empfindet, wenn ein Regisseur nicht will, dass man ihn (bzw. seine Starpersona) auf der Mattscheibe erkennt und seine Rolle dann auch noch an einen Hippie erinnern soll. Der aber andrerseits ein tieftrauriger Typ ist, dessen Angst niemand mehr zu sein nachvollziehbar ist. Der enorme Professionalität an den Tag legt, seine Dialogzeilen akribisch lernt und dem es ernsthaft peinlich ist, wenn er seinen Text vergisst, weil er das Saufgelage vom Vortag nicht gut weggesteckt hat.
Leonardo DiCaprio spielt diesen Typen mit Inbrunst, wechselt mühelos zwischen den einzelnen Facetten her, manchmal sogar innerhalb einer Szene: Wenn Trudi zu Dalton sagt „This was the best acting I’ve ever seen“, dann will man ihr glatt zustimmen. Aber Brad Pitt ist ähnlich stark als einfacher Typ, der ebenfalls nach neuen Jobs im Filmgeschäft giert, nur eben auf kleinerer Ebene, der seine Unsicherheiten nur besser überspielen kann. Margot Robbie bleibt eine Randerscheinung, legt Sharon Tate aber analog zum Filmtitel als fast entrückte Märchenprinzessin im Wunderland an. Timothy Olyphant spielt den jungen Star einer Westernserie – noch so ein Metagag, denn Olyphants Karriere startete ja mit der Westernserie „Deadwood“ durch. In Einzelszenen bekommen Al Pacino und Bruce Dern große Auftritte, hinzu kommen Unmengen bekannter Gesichter von Lena Dunham und Scoot McNairy über Dakota Fanning und Danielle Harris bis hin zu James Remar, Clifton Collins Jr., Clu Gulager und Martin Kove – besser man blinzelt bei diesem Film nicht zu sehr.

In mancherlei Hinsicht mag „Once Upon a Time in Hollywood” ein bisschen das Tarantino-Best-Of sein, das weniger wagt als etwa „Inglourious Basterds“ oder „The Hateful 8“, manchmal in den Selbstzitat-Modus schaltet. Aber trotz kleinerer Patzer ist „Once Upon a Time in Hollywood“ absolut souverän inszeniertes Kino mit Begeisterung fürs Geschichtenerzählen in jeder Form, das trotz wenig äußerer Handlung über drei Stunden fesselt und die Hauptfiguren zu facettenreichem Leben erweckt. Geschichts-, Popkultur- und Tarantino-Wissen verstärkt den Spaß am Film natürlich. 7,5 Punkte meinerseits.

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