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Wie war das noch gleich vor exakt 50 Jahren? Ach ja; Mondlandung. Nixon. Hippies. Vietnam. Die Manson-Familie und Sharon Tate. Aber auch: Butch Cassidy & Sundance Kid. Easy Rider. Midnight Cowboy. Bonanza, Batman und Rauchende Colts. Erinnerung funktioniert selektiv. Sie entscheidet bei jedem Einzelnen selbst darüber, was für eine bestimmte Periode prägend war und in Fettdruck hervorgehoben gehört. Bei einem cineastischen Querkopf wie Quentin Tarantino bedeutet das eben, dass der Nabel der Welt im Jahr 1969 in Hollywood liegt, dort, wo schon immer Märchen geschrieben und realisiert wurden. Eine ganze Epoche in Zelluloid gerahmt, bunt wie ein Themenpark, der sich des Films und des Fernsehens vergangener Zeiten angenommen hat. Willkommen in Tarantinoland!

„Once Upon A Time In Hollywood“ ist wenig überraschend ein Spickzettel prall gefüllt mit großen Klassikern und kleinen Geheimtipps, mit echten Namen aus der Branche und fiktiven Spinnereien aus dem Drehbuch, mit mächtigen Stars und unsichtbaren Hilfskräften. Es ist kein Zufall, dass sich Leonardo DiCaprio als Filmstar und Brad Pitt als sein Stuntman brüderlich die Screentime teilen, so dass man kaum sagen könnte, wer von den Beiden die eigentliche Hauptfigur ist. Gleichgestellt sind sie bereits im Vorspann. Pitt auf der linken Seite am Steuer eines Cadillac Coupe de Ville, DiCaprio rechts auf dem Beifahrersitz, erscheint die Einblendung der Schauspielernamen in proportional umgekehrter Reihenfolge; eine Spitzfindigkeit, die darauf anspielt, dass auf Filmpostern aus vertraglichen Gründen die Namen oftmals über den falschen Darstellerköpfen stehen. In der Wahrnehmung des Regisseurs jedoch ist der Kerl, der für den anderen Kerl sein Leben riskiert, ebenso wichtig wie der Kerl, der im Gegenzug sein Gesicht in die Kamera hält. Tarantinos Kino der Details ist eben auch ein Kino der Wertschätzung für jedes einzelne Rädchen im Getriebe, weshalb er immer wieder Unscheinbares registriert, für das kaum ein anderer Regisseur jemals ein Auge bewiesen hätte.

Obwohl sein neunter Film rein stilistisch ganz im Zeichen seines Spätwerks ab „Kill Bill“ steht – starke Genre-Fokussierung, comichafte Überzeichnung und alternative Geschichtsschreibung inbegriffen – so knüpft das Character Writing endlich wieder an die Menschlichkeit seines Meisterstücks „Jackie Brown“ an. Man würde erwarten, dass die soziale Ungleichheit zwischen den beiden Hauptfiguren zum Brennpunkt aufkochen und den Verlauf der Geschichte womöglich verkomplizieren würde, doch nichts dergleichen geschieht. Die Quintessenz des unvollkommenen Kusses, mit dem Robert Forster und Pam Grier vor 22 Jahren Kinogeschichte schrieben, überträgt sich unisono auf die hier beschriebene Männerfreundschaft, deren Stabilität im Grunde gegen alle Gesetze des Filmgeschäfts verstößt... und doch gerade deshalb pure Kinomagie verströmt.

Und so ist das hier gezeichnete Hollywood der späten 60er eine zutiefst subjektive Mixtur aus verblichenen Erinnerungen, ausgeschmückten Vorlieben und überzeichneten Wunschvorstellungen, die ihr Zentrum auf einem Parkplatz vor einem riesigen Plakat am Cielo Drive markiert. Wenn sich das dort über Nacht geparkte Auto am frühen Morgen wieder in Bewegung setzt, ist zumeist ein Filmset das Ziel. Die Kamera schwelgt dann in den Kulissen und erfreut sich auch daran, wenn sie einfach bloß den Techniker mit der Kabelrolle am Rande aufnehmen kann oder wenn der Star in seinem Trailer einen Wutanfall bekommt. Immer wieder versinkt der Meta-Film aber auch träumend im Set und wird selbst zum Film; in diesen Momenten entsteht Tarantinos dritter Western in Folge und minutenlang schert er sich nicht um die Belange der Realität. Dann wird Rick Dalton zum skrupellosen Western-Fiesling mit gigantischem Schnauzbart. Er sitzt da im Saloon und liefert die beste Leistung seiner Karriere, ein Meta-Kommentar vielleicht auch auf die Anstrengungen im Zuge der oscar-prämierten Darstellungen DiCaprios in „The Revenant“, die Augen ganz rot von den Tränen der Erlösung. Die Illusion wird nur gestört, wenn der Schauspieler mal wieder seinen Text vergisst; es ist der Fehler in der Matrix, der die gesamte Szene als Illusion entlarvt. Der Western als Genre wird derweil endgültig zum Ursprung aller amerikanischen Kultur erklärt, weit über die Grenzen von Film und Fernsehen hinaus; denn noch während man den Film auch als eine Ausstellung der schönsten Klassiker der Automobilkunst begreifen könnte mit all den wilden Fahrten bei offenem Verdeck (und den tollen Soundtracks, die aus dem Autoradio in die Stratosphäre entweichen), so reiten mindestens ebenso viele Pferde mit unterschiedlichster Fellfärbung durch die Prärie, in der unter anderem die Manson-Familie ihre Zelte aufgeschlagen hat.

Zurück an den Sets erprobt Tarantino einmal mehr sein reichhaltiges Wissen über die Mechaniken des Filmgeschäfts, wobei er sich hauptsächlich auf den Italo-Western und amerikanisches Trash-Fernsehen der Marke „Batman“ fokussiert, beides Auffangbecken für ehemalige Filmstars auf dem absteigenden Ast. Filmplakate erzählen Legenden in Fußnoten aus dem Hintergrund; auch Bildformat und Drehmaterial verändern mehrfach ihre Gestalt, um ein Gefühl für die Vielfalt der Filmgeschichte zu vermitteln. Manchmal wird diese auch ganz direkt umgeschrieben, wenn etwa ein Ausschnitt aus „Gesprengte Ketten“ plötzlich DiCaprio zeigt, der anstelle von Steve McQueen den Aufstand erprobt. Im Zuge dessen wittert Tarantino auch die Gelegenheit, seine „Gang“ in kleinen Nebenrollen unterzubringen: Kurt Russell sieht man kurz, Michael Madsen hockt in einer Einstellung auf dem Pferd und Zoë Bell bekommt einen Wutanfall. Wunderbar, dass selbst der aus dem Film geschnittene Tim Roth noch Erwähnung im Abspann findet. Generell ist der Cast ein faszinierender Almanach aus Schauspielernamen, die in Klein- und Kleinstrollen dazu beitragen, dass man selbst winzige Szenen des immerhin fast dreistündigen Films nicht so schnell vergessen wird; von Bruce Dern über Damian Lewis, von Luke Perry über Clifton Collins, Jr., Dakota Fanning oder Lorenza Izzo.

Abgesehen vom festen Band der „Bromance“ zwischen DiCaprio und Pitt klingt das vielleicht alles nach Stückwerk, doch tatsächlich unterliegt „Once Upon A Time In Hollywood“ einer sehr fein strukturierten Narrative. Der Polanski-Subplot, der sich passend zur gewählten filmischen Perspektive in der Nachbarschaft Rick Daltons entwickelt, sorgt für einen schwelenden Spannungsaufbau, während sich die Ereignisse auf eine finale Eskalation auszurichten beginnen. Das Drehbuch spielt mit dem Wissen des Publikums um die realen historischen Begebenheiten und beschwört im Zuge dessen immer wieder Suspense, wann immer ein Hippie am Straßenrand trampt oder Sharon Tate (herrlich naiv gespielt von Margot Robbie) ausgelassen ihr Leben genießt. Als Cliff Booth die Ranch der Mansons besucht, wird der Suspense sogar derart handfest, dass man ihn wieder als Genre-Referenz betrachten kann. Vermeintlich autonome Sequenzen wie jene um Tates Kinobesuch ihres eigenen Films verknüpfen die Bezüge zur Geschichte Daltons und Booths virtuos; es ist wunderbar mit anzusehen, wie sie euphorisch im Kino sitzt und strahlt wie ein Sonnenschein, als die anderen Zuschauer bei ihren Szenen lachen und applaudieren; aber auch, dass sie als angehender Star unerkannt bei Tageslicht in ihren eigenen Film spazieren kann und nicht einmal vom Kinopersonal ohne eine Extra-Aufforderung demaskiert wird, während der eigentlich im Hintergrund agierende Veteran Booth immer wieder von seiner Umgebung auf frühere Rollen angesprochen wird.

Was am Ende geschieht, entspricht dem, was Tarantino seit „Inglourious Basterds“ immer wieder in verschiedenen Variationen gemacht hat. Insofern ist „Once Upon A Time In Hollywood“ sicherlich eher Remix als Neuland, eine Bestandsaufnahme eben, die von Titel wegen nicht umsonst auf Sergio Leones Abgesang von 1984 referiert. Und doch rastet hier jedes Rädchen auf Kommando ins Getriebe. Einmal mit den Fingern geschnippt und die mühsam über viele Szenen hinweg aufgebauten Bezüge finden zu ihrer Bestimmung. Was dabei jedoch so mühelos aussieht, ist immer noch meisterhafte Handwerkskunst, der das Gleiche gelingt wie vor 25 Jahren: Altes kombinieren, um Neues zu erschaffen.

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