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Endlich: Quentin is back, baby!


Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) hat schon bessere Tage erlebt: Früher war er noch der Held in den TV-Serien, heute wird er mehr und mehr zum Bösewicht degradiert. Ihm dämmert, dass sich seine Glanzzeit im Hollywood der späten 60er-Jahre dem Ende zuneigt. Gemeinsam mit seinem Stunt-Double und besten Freund Cliff Booth (Brad Pitt) schlägt er sich irgendwie durch die Tage, alkoholabhängig, apathisch. Dass vor Kurzem der gefeierte Regisseur Roman Polański mit seiner Frau Sharon Tate (Margot Robbie) ins Nachbarhaus gezogen ist, tangiert ihn zunächst kaum. Eines nachts jedoch erscheint eine düstere Gestalt in der Nachbarschaft: Charles Manson. Und er will töten. Nur: Kann er das, wenn seine Geschichte von Quentin Tarantino erzählt wird?

Zunächst ein Geständnis: Ich gehöre zu jenen blasphemischen Kinogängern, die Quentin Tarantino bereits halb abgeschrieben haben. Die beiden letzten Filme des Kultregisseurs – Django Unchained und The Hateful Eight – vermochten mich nur mässig zu begeistern. Variationen auf das Genrekino, alternative Geschichtsschreibung, überkonstruierte Dialoge: Mir schien, dass sich Tarantino im Kreis drehte, als fabrizierte er den immergleichen Abklatsch von Inglorious Basterds. Als ich heute also ins Kino ging, um mir Once Upon a Time ... in Hollywood zu geben, tat ich das mit der Furcht, den ersten wirklich schlechten Tarantino schauen zu müssen. Sprich: ein egomanisches, selbstverliebtes Eigenzitat. Freudig darf ich berichten: Meine Sorgen waren völlig unberechtigt. So lebendig, frisch und knackig wie in diesem Streifen war Quentin seit Jahren nicht mehr.

Beworben wird der neunte Film Tarantinos als Geschichte über die berühmten Tate-Morde. Aber dieser reale Rahmen gibt dem Film nur ein Grundgerüst vor, er ist nicht das Herz von Once Upon. Denn eigentlich portraitiert Tarantino die wunderbare Freundschaft zwischen dem abgehalfterten TV-Schauspieler Dalton und dem obercoolen Stuntman Booth. Beide sind auf ihre Art Loser, für die Hollywood 1969 keine Achtung mehr hat – allerdings zwei Loser mit ganz unterschiedlichen Leben. Dalton betrinkt sich in seiner Villa, während Booth in einem herunter gekommenen Trailer vor sich hin vegetiert. Obschon Booth (herrlich grossspurig: Brad Pitt) für seinen Freund allerlei Arbeiten verrichten muss, wirkt er wesentlich entspannter und zufriedener, wenn auch hinter seiner Fassade enorme Gewalt zu brodeln scheint.

Viel gäbe es noch zu schreiben über diese ungleiche Freundschaft inmitten Hollywoods. Dies deswegen, weil Tarantino den beiden Hauptfiguren wahnsinnig viel Zeit und Raum gibt, sich zu entfalten. Mit sichtlichem Genuss zeigt uns Tarantino scheinbar schnöde Alltagssituationen, schwelgt in den nostalgischen Kulissen von Los Angeles. Hier haben wir einen Regisseur, der seine Figuren minutenlang einfach nur schweigend Autofahren lässt (mit geilem Soundtrack natürlich). Einen Regisseur, der der Beziehung zwischen Hund und Herrchen eine eigene Story-Arc gönnt. Einen Regisseur, der eine Hippie-Kommune abfilmt, als wären sie Zombies in einem George-Romero-Film. Und schliesslich einen Regisseur, der Leonardo DiCaprio zu herzlich-ironischem Over-Acting ansport. Wo war dieser verspielte und experimentierfreudige Regisseur namens Quentin Tarantino in den vergangenen zehn Jahren? Ach, ich will mich nicht beklagen. Jetzt ist er ja zurück.

Höhepunkt des Filmes ist die Montage, die Rick Dalton mit Sharon Tate vergleicht. Während Rick verzweifelt versucht, sich beim Dreh eines Westerns an seinen Text zu erinnern, geht Sharon Tate ins Kino, um sich selbst zu betrachten und die Reaktion des Publikums zu geniessen. Tarantino filmt das lachhaft übertriebene Western-Drehbuch mit ernster Hingabe ab und macht aus den Trash-Zeilen mitreissendes Spannungskino. Das ist postmodernes Erzählen, wie es sein sollte: intelligent, verschmitzt und selbstironisch. Währenddessen darf Margot Robbie Sharon Tate spielend im Kino sitzen und sich über das Amüsement des Publikums über die echte Sharon Tate amüsieren. Hier verschachteln sich so viele doppelte Böden und filmische Meta-Ebenen, dass es nur so eine Freude ist. Hinzu kommt, dass Margot Robbies herzliche und verführerische Performance ein wahrer Hingucker ist.

Überhaupt sieht man in Once Upon sehr viele Leute beim Konsumieren von TV und Film: die Hippies tun es, die Produzenten, die Regisseure, die Schauspieler. Alle konsumieren anders, und doch werden sie durchs Fernsehen verbunden, da sie alle dasselbe sehen. Und natürlich geht es in diesem Film einmal mehr darum, dass das Kino über die Realität triumphiert – allerdings wesentlich weniger plakativ als noch in Inglorious Basterds, in dem das Kino wortwörtlich der Tod der Nazis ist. In Once Upon nämlich bemüht Tarantino kein billiges Feindbild. Mansons Schergen treten nicht als historische Figuren, sondern als ins Lachhafte gedrehte Persiflage des Bösen auf. Mit befreiender, aber trügerischer Katharsis versucht Tarantino dem Teufel den Schrecken zu nehmen.

Man kann diesen Film in mehrere Richtungen deuten – etwas, was Tarantino seinem Publikum viel zu lange nicht mehr erlaubt hat. Hier gibt es saukomische Verweise (Bruce Lee!), tragische Schicksale, herzerwärmende Momente und überraschende Details; alles im Rahmen eines liebevoll herauf beschworenen Zeitbildes. Schwach ist dieser Film nur in den ersten zwanzig Minuten, in denen Al Pacino eine allzu leicht durchschaubare Exposition vor sich her schwafelt. Seine Stärke schöpft der Film aus der Tatsache, dass es ihm weniger um den Plot, als um Menschen, Momente und Motive geht. Ein komplexes Werk über die einfache Lust am Kino.

9/10

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