„Hä, worum ging's in dem Film überhaupt?" Wer sich die hundertsechzig Minuten des neuen Tarantino im Lichtspielhaus antut, der kommt nicht umhin, solche und ähnliche Kommentare während des mit Monumentalklängen unterlegten, im Stile anamorphotisch vergangener Tage fotografierten Abspanns um sich herum zu bemerken. Und so ganz unberechtigt sind diese Reaktionen junger Kinogänger nicht. Denn der Querkopf auf dem Regiestuhl zerstört mal wieder Faktisches, konterkariert Erwartungshaltungen und lässt das dranghafte Suchen nach einer entlang traditioneller dramaturgischer Linien erzählten Geschichte (dramatisch) ins Leere laufen. Doch wären weder Begriffsstutzigkeit weiter Teile des Publikums noch die elitäre Raffinesse von Quentin Tarantino schuld an diesem Kommunikations-Dilemma, sondern die Idiosynkrasien eines Mannes, der seit der Jahrtausendwende mannhaft versucht, sich selbst neu zu erfinden.
Margot Robbie ist Sharon Tate. Die Frau, die vor nunmehr fünfzig Jahren in ihrem Domizil in den Hollywood Hills von Mitgliedern der berüchtigten Manson-Familie grundlos ermordet wurde. Eine triftige Besetzung, denn die beiden Schauspielerinnen sehen sich nicht unähnlich. Diese vor unbekümmerter Mädchenhaftigkeit blühende Sharon Tate, an der Quentin Tarantino ganz offensichtlich einen Narren gefressen hat, ist in diesem Film allerdings nur Statistin. Und glücklicherweise meilenweit entfernt von ihrem beim „Suicide Squad" (2016) völlig misslungenen Versuch, ausgeflippt sein zu wollen. Verträumt wie ein Instagram-Teenager könnte sie auch gar nicht Angelpunkt der Geschichte sein, sondern muss bei dieser intellektuell auffälligen Mär Beiwerk bleiben. Eigentlich geht es nämlich um die zwei nicht minder blendend aussehenden Männer des Films, die zugleich Arbeitskameraden und Freunde sind. Und um das historisierende Bühnenbild, vor dem sie sich bewegen.
Brad Pitt darf sich als Film-Stuntman und Kampfsport-Ass über die dankbarere Rolle der beiden Schlüsselfiguren freuen. Denn er ist der Tough Guy, der seinem Freund und Brötchengeber Leonardo DiCaprio - hier ein in einem Karrieretief strampelnder B-Western-Darsteller - den Hintern rettet. Via dieser zwei Weltstars, die sich gegenseitig spielfreudig ergänzen, setzt Quentin Tarantino dem Hollywood seiner Kindheit ein Denkmal. Übrigens kein kritisches. Es ist die Nostalgie, die ihn treibt. Und da erheben sich prompt die ersten Stimmen, die das gar nicht gut finden. Denn erstmals seit den Neunzigerjahren orchestriert der gefeierte Regisseur ohne formulierbare politische Agenda. Die zeitgenössische Weltsicht seiner Personae wird inszenatorisch unkommentiert porträtiert, wenn nicht gar adoptiert. Es ist dieses einst tatsächlich Subversive seines Schaffens, das sich hier erneut Bahn bricht. Verlässt der Dicknischel also feuilletonistisch sichere Gewässer, um sich nach neuen Gestaden umzusehen oder gar gefährliche Untiefen zu queren. Natürlich tut er das nicht. Er bleibt im sicheren Hafen der Bastion seines bisherigen Wirkens. Und seine Fans werden ihm das danken.
Bis ins letzte Detail gefertigte Retro-Kulissen, der selbstreferentielle Gang ins Kino, Product Placement längst aus dem Sortiment genommener Artikel, romantisierende Runden entlang berühmter Boulevards in Los Angeles, eine Traumschmiede schillernd-skurriler Figuren - Quentin Tarantino bewirbt sich als der Great Pretender (s)einer Stadt und deren Image. Und nicht als ihr Kritikaster. Beinahe im Stile eines Heimatfilmers idealisiert der Mann die Vergangenheit, erzählt Märchen - und blendet die Schattenseiten jener Tage aus. Es ist also quasi das genaue Gegenteil von dem, was er in seinen letzten drei Produktionen getan hat, als er mit der von ihm in den Fokus gerückten Epoche abrechnete. Dass auch bei „Once Upon a Time in Hollywood" am Ende die Vergangenheit narrativ retuschiert wird, schlägt sozusagen die Brücke zwischen seinem filmisch wiederholt bekundeten Unwillen, unschöne historische Begebenheiten so zu akzeptieren, wie sie geschehen sind, und seinem aktuellen Bemühen, ein einstmaliges Hollywood zu sublimieren, welches diesen Gunsterweis womöglich gar nicht verdient hat.
Nach einem ansprechenden Auftakt, der dramaturgisch unergiebig jedoch nichts anderes als eine cinemaskope (bzw. panavisionäre) Dokumentation von Tarantinos fiktionalem Hollywood der späten 1960er ist, geschieht in Sachen lehrmäßiger Spannungsaufbau weiterhin nicht viel. Die Minuten verrinnen und nicht nur frisch gebackene Twens, sondern auch erfahrene Routiniers beginnen sich zu fragen, wo dieses epische Nichts an Handlungsprogression denn hinführt. Außer sich zu einem filmischen Manifest der Liebe des Regisseurs zu seinem Metier aufzutürmen. Das mag vielen an Unterhaltungswert reichen. Vielen anderen aber nicht. Und das ist trotz der heutigen Verhätschelung des jungen Publikums durch intellektuell komatöses Kommerzkino durchaus legitim. Die Frage danach, ob dieser in seiner Erzählweise äußerst unkonventionelle Film denselben Beifall bekäme, stünde da ein unbekannter Name als Verantwortlicher in den Credits, muss erlaubt sein. Denn es steht zu befürchten, dass selbst das zurückgezogene Arthouse-Kino für diesen wunderlichen Beitrag nur gemischte Kritik übrig hätte. So jedoch, noch dazu mit einem solchen Cast, ist es ein Leichtes, die von Tarantinos Jüngern lancierte self fulfilling prophecy eines weiteren Meisterwerks in die Realität zu retten.
Quentin Tarantinos alternative Wirklichkeit eines untergegangenen Hollywood ist durchaus geprägt von zündender Situationskomik, was sie wohltuend von der Parallelwelt seines letzten Films „The Hateful Eight" (2015) abhebt, die im inhaltslosen Palaver ihrer titelgebenden Hauptfiguren unterging. Ob sich Brad Pitt mit einem koketten Bruce Lee prügelt oder mit dem Dosenöffner über einer Packung Hundefutter kämpft, während draußen auf der Straße die Psychopathen aus dem Wagen steigen, Tarantino findet nach dem witzlosen Unfug zuletzt wieder zu besserer Form zurück, wenn er auch bei all dem Zuspruch davon zehrt, dass Fans immer jubeln, ganz gleich was man ihnen vorsetzt. Der Schöpfer des Meilensteins „Pulp Fiction" (1994) jedenfalls gewinnt hier nicht nur wieder etwas an Kontur, er überrascht. Wieder einmal. Jedenfalls jene, die überhaupt noch zu überraschen sind angesichts der wilden Drehbuchpartys, die unter der Ägide Tarantinos schon gefeiert wurden. Dabei ist sein neuester Streich kein Historienfilm, denn dafür ist seine Faktizität zu gering. Er ist auch kein Thriller in von ihm schon gesehener Manier, denn dafür gleicht die Spannungskurve über viele Minuten zu sehr der Flatline eines Toten. Und er ist mit Sicherheit auch kein Actionfilm, denn dafür wäre er viel zu dialoglastig. „Once Upon a Time in Hollywood" ist ein leicht komödiantisches Buddy-Movie, das seinen zwei Hauptdarstellern (sehr) viel Platz lässt, einander die Bälle zuzuwerfen und nebenher eine größere Ortsbegehung zu veranstalten. Ein Ort, an dem sich der hier verantwortliche Reiseleiter sichtlich wohl zu fühlen scheint.