Man durfte gespannt sein: Nachdem Alexandre Aja zuletzt die kleiner budgetierten, in vielen Ländern nur auf DVD erscheinenden Werke „Horns“ und „The 9th Life of Louis Drax“ zu verantworten hatte, begab er sich mit Hilfe von Produzent Sam Raimi wieder ins Reich des (Low-Budget-)Kinofilms: „Crawl“, einem erfreulich ernst angelegten Tierhorrorfilm.
Prämisse, Trailer und Poster schreien es ja eigentlich schon heraus, aber Aja macht schon mit der ersten Einstellung klar, dass das feuchte Element hier eine zentrale Rolle spielt. Heldin Hailey (Kaya Scodelario) ist nämlich Profischwimmerin und von ihrem Vater Dave (Barry Pepper) in Kindertagen gecoacht worden. Dass der ihr damals einschärfte, dass sie ein „apex predator“ sein müsse, um als Siegerin aus den Wettkämpfen hinauszugehen, ist ein Beispiel für den subtilen Humor, mit dem Aja sein Creature Feature würzt. Denn man weiß es ja schon: Die Alpharaubtiere in Florida sind natürlich die Alligatoren.
Vor allem aber zieht eine andere Gefahr über dem Bundesstaat an der Ostküste auf: Ein Hurrikan der Kategorie 5. Da weder Hailey noch ihre Schwester Beth (Morfydd Clark) den entfremdeten Vater via Handy erreichen, Hailey aber nicht zu weit entfernt wohnt, macht sie sich auf den Weg in ihre Heimatstadt. Über kleine Hinweise erzählt Aja die Vorgeschichte des Ganzen: Da ist der örtliche Polizist, der sehr interessiert nach Beth fragt, da ist die neue Wohnung des Vaters, abseits vom Elternhaus der Familie, das zum Verkauf steht. Ohne viel Dialog etabliert Aja die Geschichte einer räumlich und emotional getrennten Familie, die nicht offen zerstritten ist, sich aber auch nur begrenzt für die anderen interessiert und das dann auch eher via Telefon.
Als Hailey ihren Vater nicht in dessen Wohnung trifft, fährt sie zu ihrem früheren Heim, wo sie Dave im Keller findet. Schwer verletzt, denn dort hat sich auch ein Alligator einquartiert, aufgrund dessen Vater und Tochter den Keller nicht mehr verlassen können. Derweil bringt der Hurrikan die Wassermassen zum Steigen…
Mit einem Budget von 13,5 Millionen Dollar ist „Crawl“ in der aktuellen Kinolandschaft kein besonders teures Werk, hebt sich in Sachen Ernsthaftigkeit und Production Values dann doch von anderen Kroko-Horrorfilmen ab, bei denen es sich oft um schlonzig produzierte B-Pictures handelt. „Crawl“ dagegen ist ein gradliniger, sorgfältig inszenierter Genrefilm, der mit seiner räumlichen Reduktion, dem überschaubaren Cast und den zwischenmenschlichen Tiefschlägen als Figurenmotivation an Jaume Collet-Serras „The Shallows“ erinnert. Beide Filme sind von versierten Horror- und Thrillerregisseuren in Szene gesetzt, die wissen wie sie Details über Bilder und Andeutungen vermitteln, ohne alles im Dialog auszuwalzen. Genau in den Szenen, in denen sich „Crawl“ nicht an dieses Rezept hält, schwächelt Ajas Film dann auch am ehesten: Wenn die Defizite der Vater-Tochter-Beziehung offen ausgesprochen werden, wenn das gegenseitige Motivieren im Überlebenskampf ins Pathetische abdriftet, dann wirkt das fehl am Platze, gerade angesichts der Verdichtung dieses High-Concept-Horrors.
Denn „Crawl“ geht ähnliche Wege wie etwa „Hard Rain“, „The Hurricane Heist“ oder „Bait“: Er nimmt den Überlebenskampf des Katastrophenfilms und kombiniert diesen mit einem anderen Genre. In diesem Fall unterstützen sich die beiden Konzepte blendend: Die Wassermassen bedrohen nicht nur das Leben der Hauptfiguren, sie bringen auch mehr und mehr Alligatoren ins Haus, die sich wiederum im Wasser deutlich besser bewegen können. Auf diese Weise zieht Aja die Spannungsschraube langsam, aber stetig an: Können die Protagonisten sich anfangs noch hinter Rohren verstecken und in Ruhe taktieren, so steht ihnen das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Dabei holt Aja inszenatorisch viel aus dem Stoff heraus: Wenn sich plötzlich etwas im Hintergrund bewegt, wenn unerwartet Alligatoren um die Ecken kommen oder wenn die Heldin durch Passagen voller Panzerechsen tauchen muss, dann sorgt das für Nervenkitzel.
Man muss allerdings auch zugeben, dass „Crawl“ sein Genre bei weitem nicht neu erfindet: Irgendwelche Polizisten oder Plünderer tauchen als erwartbares Futter für die Tierchen auf, weil man die Protagonisten ja nicht mitten im Film verknurpsen lassen kann, der geneigte Horrorfreund aber auch ein paar Kills sehen will. Dabei wird der Film nicht zu einem Splatterfest wie Ajas voriger Tierhorrorfilm „Piranha 3D“, hat aber schon ein paar Härten in Form von offenen Knochenbrüchen oder einem von Alligatoren zerfetzten Opfer zu bieten. Und manchmal ist da dieser Anflug von Humor, etwa wenn ein Tankstellenplünderer sich mit Snacks eindeckt, nur um danach selbst als eben solcher zu enden. Die CGI-Alligatoren sind gut getrickst, gerade in Anbetracht des Budgets – „Crawl“ wurde größtenteils in Serbien abgedreht, was man auch an den Namen der Crew ablesen kann, dem Film aber nie ansieht.
Mit etwas weniger als 90 Minuten ist „Crawl“ auch angenehm kurz und knackig gehalten, nicht künstlich in die Länge gezogen. Die Alligatoren sind natürlich Genrekreaturen, beißwütig, aggressiv und nur auf Menschenfleisch aus, aber so ist das Genre, von Ausnahmen wie „Black Water“ einmal abgesehen, nun mal. Die Protagonisten sind angenehm bodenständig und erfinderisch, wenn sie Brüche schienen, die Biester durch Klopfen an Rohren ablenken oder Müll als Waffe einsetzen. Keine schreienden Häuflein Elend, keine Übermenschen, sondern glaubwürdige Überlebenskämpfer der toughen Art. Natürlich häufen sich irgendwann die Unglaubwürdigkeiten, etwa wenn die Heldin sich aus einer Krokodilrolle befreit oder das Haus zu einer Art Alligatoren-Hotspot wird, aber der Film ist vorbei, ehe es zu absurd wird oder sich die Rettungs-, Versteck- und Fluchtaktionen zu sehr abnutzen, denn gegen Ende wiederholt „Crawl“ sich leider etwas.
Dass „Crawl“ trotzdem weitestgehend trägt, liegt auch an dem Hauptdarstellergespann, das bereits in den „Maze Runner“-Sequels gemeinsam mitspielte. Kaya Scodelario gibt die toughe, patente Heldin, die sich jahrelang in sich selbst zurückzog, die Brücken hinter sich abbrach und sich nun ihrer Vergangenheit ihren Gefühlen stellen muss. Barry Pepper ist dagegen der Working-Class-Held, der die Arbeiten am eigenen Haus am liebsten selbst erledigt, möglichst nicht von anderen abhängig sein will und in seinem Wesen seiner Tochter sehr ähnlich ist. Dass diese Ähnlichkeit einerseits das gegenseitige Verstehen bedingt, aber auch Friktionen erzeugt, wird von den beiden ziemlich gut herübergebracht, auch wenn „Crawl“ natürlich kein Familiendrama ist und die beiden vor allem Genrefiguren verkörpern.
Aber es ist schön, dass die Hauptfiguren nicht nur Schießbudenfiguren und dass Alexandre Aja sich immer noch als geschickter Regisseur erweist, der viel aus der Prämisse herausholt. Natürlich erfindet „Crawl“ den Tierhorror nicht neu und gegen Ende nutzt sich das Rezept immer wieder attackierenden Alligatoren etwas ab, aber ein sorgfältig produzierter, ohne dauernde ironische Brechungen oder Trashfaktor ist Aja mit „Crawl“ gelungen. Die Königsklasse des Panzerechsenfilms bleibt Lewis Teagues „Alligator“, aber „Crawl“ kommt schon in dessen Nähe.