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Chernobyl, Miniserie, 1.Staffel

Ende April 1986, in der damaligen UdSSR, in der ukrainischen Teilrepublik, geschieht das größte, von Menschen jemals verursachte Atomunglück: ein Reaktor (von vier) des Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert während einer an sich routinemäßigen Sicherheitsübung. Die Folgen sind bekannt: ganze Regionen werden evakuiert, tausende Menschen (die genaue Zahl wurde nie ermittelt) sterben entweder direkt oder wenig später an Verbrennungen und verheerenden radioaktiven Vergiftungen, Kinder werden mit Deformationen noch Jahrzehnte später geboren, Tiere verenden, landwirtschaftliche Produkte und wildwachsende Pflanzen werden ungenießbar und hochgiftig und Tschernobyl hat nach Meinung des damaligen Generalsekretärs Gorbatschow entscheidend zum Zusammenbruch der Sowjetunion und des Kommunismus in Europa beigetragen.



Die britisch-amerikanische Miniserie von HBO schildert in 5 Episoden minutiös und detailgenau die Abläufe, die zur Katastrophe führten. Fazit: eine Mischung aus Inkompetenz, Heimlichtuerei, technischen Fehlern und menschlichen Versagen führten zum Supergau.

Dabei ist die Serie von Johan Renck nicht denunzierend, sondern beschwört auch einen unvergleichlichen Opfergeist der sowjetischen Bevölkerung, die wie selbstverständlich auch scheinbare Himmelfahrtskommandos übernimmt, nur damit sich die Katastrophe nicht noch weiter ausbreitet. So melden sich drei Arbeiter quasi „freiwillig“, um das Wasser unterhalb des Reaktors abzupumpen, so dass bei einer weiteren Kernschmelze nicht der durch die Hitze entstehende Dampf zu einer weiteren apokalyptischen Explosion führt, die zum Tod von Millionen Menschen geführt hätte. So ein geradezu beklemmender und bewundernswerter Heldenmut zeichnet viele Akteure aus – aber auch Obrigkeitsgläubigkeit und Kadavergehorsam, der keine Abweichung, keine Kritik zulässt. Und dieses totalitäre System in der UdSSR begünstigte das nukleare Desaster 1986 auf bestürzende Weise. Viele Menschen sind heldenhaft, aber das System ist das Gegenteil. Die fehlerhafte und billige Konstruktionsart dieser russischen Reaktoren musste irgendwann sowieso zu Problemen führen.

Einige zentrale Figuren, wie die weißrussische Physikerin Ulana Komyuk (Emily Watson) ist keine reale Figur, sondern eine Zusammenführung vieler realer Figuren aus der Wissenschaft, die für mehr Transparenz und Gewissen kämpften. Oder der Bürokrat Boris Sherbyna (Stellan Skarsgard), der auch nicht real war, aber die Technokratie verkörpert – immerhin ihren lernfähigen Teil. Andere Figuren, wie die tragische des Kernphysikers Legasow (Jared Harris), der zwei Jahre nach dem Unfall Selbstmord begann (und mit diesem beginnt die Serie), waren real. Er zerbrach an den Lügen, die er noch international verbreitet hat, um sie dann später zu bereuen und geheime Tonkassetten mit der Wahrheit verbreitete.

Die Serie ist zudem (in Litauen gedreht) historisch und ausstattungstechnisch sehr genau. Wer jemals in den 80ern oder frühen 90ern im ehemaligen Ostblock war, weiß wovon ich spreche. Selbst im Sommer war alles blass, die Menschen fahl und gehetzt, neue Häuser waren nie schön, sondern schrammelig, selbst offizielle Gebäude waren kurz nach der Eröffnung schon wieder baufällig. All dies gelingt der Serie, es kongenial einzufangen. Eine der besten Serien aller Zeiten für mich, ein zeitloses Lehrstück darüber, wie Lügen uns einholen werden, auch wenn sie bisweilen notwendig erscheinen. Verstörend gut, brillant gespielt, hochspannend, obgleich man das Ende ja kennt. Kurzum: für mich ein Pflichtprogramm für jeden, der sich für Serien auf allerhöchstem Niveau interessiert. 10/10.

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