Die fabelhafte Welt des Sozialismus!
Ein richtig guter Film sollte sein wie ein guter Cocktail.
Zum einen gibt es da den harten Teil, die Essenz – quasi die harte alkoholhaltige Spirituose.
Dann natürlich noch die Liköre, die dem ganzen noch ein wenig Feingeist geben.
Dazu, glasintern, noch die Säfte, die das ganze geschmacklich abrunden.
Sowie, je nach Cocktail, noch Eiswürfel bzw. Crushed Ice, um das ganze zu kühlen – aber mit zunehmender Dauer auch verwässern, wenn sie schmelzen.
Und finalemento selbstverständlich noch die optischen Leckerbissen, also die Früchte, die dem ganzen Cocktail erst das richtige Flair insgesamt verleihen, sowie der Zuckerrand am Glas...
Bei Filmen ist das ganz ähnlich – und deshalb funktioniert auch „Good Bye, Lenin!“ richtig gut.
Der harte Teil eines Films ist natürlich die Idee und die Geschichte, die dem Drehbuch zu Grunde liegt.
Denn ein Film ohne eine gute Geschichte, ist nun mal wie ein alkoholfreier Cocktail – völlig fehl am Platz.
„Good Bye, Lenin“ kann in Sachen Alkohol... äh Story schon mal richtig punkten:
Alexander Kerner ist ein Jugendlicher, der das letzte Jahrzehnt der DDR besonders intensiv erlebt, und dann mit ansehen muss, wie diese vor die Hunde geht, während seine Mutter im Koma liegt. Dummerweise wacht diese aber kurz nach dem Fall der Mauer wieder auf, und wie das nun mal mit ehemaligen Komapatienten ist, brauchen die Ruhe und müssen von jeglicher Aufregung um jeden Preis ferngehalten werden. Was denkt sich also Alexander? Er muss versuchen seiner Mutter, die langjährige treue und sogar ausgezeichnete Parteigenossin war, vorzugaukeln, dass es die DDR noch gibt, und eigentlich soweit alles beim Alten geblieben ist.
Und das führt doch zu einigen faszinierenden und äusserst unterhaltsamen Verwicklungen und Situationen – womit wir denn auch schon beim Likörpart wären, dem Feingeist, dem konstant alles begleitenden ironisch-melancholischen Humor. Eine Art des Humors, die ich persönlich sehr gerne mag und sich auch schon darin äusserte, dass Filme mit solch einer Art des Witzes in den letzten beiden Jahren jeweils ganz oben auf meiner Favourite-Liste gelandet sind...
Kommen wir also zum nächsten Aspekt: dem Saft. Tja, was ist der Saft des Films? Quasi der Teil, der dem ganzen Cocktail Charakter verleiht, und letztlich die Geschichte zum Leben erweckt – genau: die Schauspieler.
Und auch hier wieder kann man den GBL keinerlei Vorwurf machen, denn neben dem einmal mehr unglaublich stark agierenden Daniel Brühl in der Hauptrolle, Alexander, gibt es auch bei den Nebenrollen keinerlei Grund zur Beanstandung: Sei es Katrin Saß als mal agile, und dann lange Zeit hilflose Mutter, oder Chulpan Khamatova als süße russische Versuchung an der Seite von Alexander, der Krankenschwester Lara. Und so kann man die Reihe beliebig weiterführen.
Wären dann also noch Obst und Zuckerrand dran, also die Teile des Films, die dem ganzen formal den gewissen Touch geben (ich lasse hier mal die jeweilige Färbung durch die Säfte oder Liköre bewusst aussen vor).
Einerseits natürlich die Kamera. GBL zeichnet sich vor allem durch seine warmen, quasi nostalgisch verklärten, oftmals verwackelten und immer wieder abwechslungsreich gestalteten Bilder aus, die sich in ständiger Harmonie mit der melancholisch-ironischen Grundstimmung bewegen. Oftmals stark an „Die fabelhafte Welt der Amelie“ erinnernd, womit wir dann auch endlich den Bogen zur Überschrift geschlagen hätten, und ausserdem auch die passende Überleitung zum Zuckerrand gefunden hätten:
Denn der akustische Zuckerrand von „Good Bye, Lenin!“ wurde von niemand geringerem gestaltet, als von Yann Tiersen himself, dem Komponist der auch Amelie so bezaubernd untermalte. Das ist zum einen Segen, denn die grandiose Klavier- und Orchestralmusik ist wieder mal einfach nur göttlich und so passend wie Arsch auf Eimer, aber zum anderen doch auch wieder Fluch, da man so immer den Vergleich zu Amelie hat, zumal eines der Stücke auch hier wieder von Tiersen benutzt wurde.
Und damit wären wir dann auch schon fast bei den Eiswürfeln. Denn auch dieser Film krankt zuweilen daran, dass Regisseur Wolfgang Becker den Film manchmal ein wenig verwässern lässt, und sich, fast Spielberg-like, ein wenig zu sehr in den Familienaspekt seiner Geschichte verliert – was den Film zwar einerseits kühlt, sprich dem ganzen wirklich Tiefe verleiht. Auf der anderen Seite aber leider eben manchmal auch etwas zu ruhig werden lässt.
Nichtsdestotrotz hat Barmixer Becker hier aber einen deutsch-deutschen Nostalgie-Cocktail zusammengestellt, der den Gaumen nur so hinunterrinnt und dann wirkliche Geschmacksexplosionen verursacht. Mit wahnsinniger Liebe zum Detail und einem wunderbaren Darstellerensemble, mit seinen zahlreichen wunderbar verdrehten Anspielungen auf die deutsche Wiedervereinigung und dieser traumhaften Atmosphäre, die durch die schönen Bilder, den wunderbaren Score und auch das Stilmittel Off-Erzähler erzeugt wird zählt „Good Bye Lenin!“ für mich definitiv zu den Highlights dieser Jahres. Eine Freude für die Sinne – so wie ein guter Cocktail halt sein sollte.
Und ich glaube, wenn Lenin noch leben würde, dann wäre er mit seinem Auftritt im Film wohl mehr als zufrieden – für mich auf jeden Fall die wohl genialste Szene des Films!
PS (in eigener Sache): Die Cocktailsache findet sich nicht im Film wieder, falls sich jemand wundert. Es lag einfach nur daran, dass ich mir vor dem Film einen kleinen Besuch in einer Cocktail-Bar gegönnt habe...