Ein Glück, dass sich die Amis selbst umbringen.
Mal ehrlich: Man setzt sich hin, bringt Konzentration und Muße mit, um einen "kontroversen", sozialanalytischen Film über die desorientierte Jugend der amerikanischen Mittelschicht anzusehen, doch was man bekommt, ist klischeelastige Belanglosigkeit.
Der Film beginnt mit einem Ende eines Standard-Teens namens "Ken Park": Er skatet gelangweilt umher, setzt sich mitten in den Skaterpark, schaltet seine Videokamera an, richtet sie auf sich, packt eine Pistole aus (woher er sie hat, wissen wir aus "Bowling for Columbine" oder "Elephant") und erschießt sich. Man bemerkt schon hier: Oha - Dieser Film möchte kontrovers sein, dieser Film möchte nichts als die Wahrheit. Die Erzählerstimme setzt ein und man erhofft sich Antworten, oder doch zumindest tiefergehende Betrachtung und die richtigen aufgeworfenen Fragen (siehe "Elephant"). Doch weit gefehlt.
Clark erzählt lose zusammenhängende Episoden aus dem Leben einiger Teenager in dem Vorort. Er hat sich ja zum Ziel gesetzt, die Perspektivenlosigkeit der Jugend darzustellen und tiefergehend zu behandeln. Doch schon die meisten der Episoden offenbaren eine simple Effekthascherei und Grobheit im Umgang mit dem sensiblen Thema, sowie ein offenkundiges Desinteresse an den Charakteren.
Da ist zum Beispiel die Story um Peaches, ein Mädchen, dessen Mutter früh gestorben ist und dessen Vater ein stockkonservativer Christ ist (davon gibt es in Amerika ja einige...). Als er sie mit einem anderen Jungen im Bett erwischt, wird er aggressiv,schlägt den Jungen, dann sie und trichtert ihr schließlich das Sünden-Gesülze aus der Bibel ein. Das Ganze gipfelt in einer arg übertriebenen und daher unmotivierten Szene, wo er sie, ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, nochmal heiratet. Die Idee an sich ist ja nicht schlecht, zumal derartiger evangelikaler Konservativismus in den USA nicht selten vorkommt. Allerdings geht der Film einfach nicht weit genug, die inneren Beweggründe für das Verhalten von Vater wie Tochter werden bestenfalls angerissen. Besagte Szene wird in dem Film dahingeklatscht, ohne Fundament. Eine weit einfühlsamere und komplexere Studie über selbige Problematik kann man in "Carrie" bewundern, wenngleich nicht ganz so naturalistisch, was aber am Genre liegt.
Eine kleine Episode ist die des Jungen Shawn, der mit der Mutter seiner Freundin schläft, während ihr Mann auf Arbeit ist. In seiner Naivität sieht er die (sexuell) erfahrenere Frau als große Liebe an, obwohl sie ihm offenkundig gesteht, dass sie ihren Mann liebt und Shawn nur wegen der ausgetauschten Zärtlichkeiten mag. Es sind also nicht nur die Jugendlichen hier, die Sex als Ventil missbrauchen. Zwar sind hier einige interessante Elemente zu finden - die Szene, in der die Familie mit Shawn zusammen isst und der Vater zu ihm sagt, er solle mehr essen, damit aus ihm ein richtiger Mann werde, trifft den Nagel auf den Kopf - aber auch hier gilt: Larry Clark blendet immer viel zu früh aus, man bekommt nur Bruchstücke der Geschichte und der beteiligten Personen zu sehen. Hier wäre interessant gewesen, wie es zu der ungewöhnlichen Beziehung gekommen ist.
Die Episode um den psychisch gestörten Tate macht wohl am wenigsten Sinn und besticht durch ihre unfassbare Plattheit. Gleich zu Beginn stinkt es nach Klischee, als der bei seinen Großeltern lebende Tate als scheinbar intelligenter Einzelgänger dargestellt wird, der noch nie gevögelt hat, seine senile Großmutter als Schlampe beschimpft und seinen dreibeinigen Hund foltert. In epischer Breite zeigt ihn die Kamera bei einem Tennismatch im TV onanieren (die Spielerinnen stöhnen), wobei er sich dabei mit einer Schlinge würgt. Noch eine Großaufnahme seines Spermas - dann ersticht er nackt des Nachts seine beiden Großeltern im Bett (er hat dabei übrigens eine Erektion - irre, was?). Hier ist man jedenfalls ganz froh, dass die Episode nicht detailreicher geworden ist. Das wäre nur noch dämlicher geworden. Bleibt allerdings die Frage nach der Daseinsberechtigung der Episode. Wofür ist sie gut? Dient sie als bloßer Verstärkungsfaktor des "Kontrovers"-Potentials? Das wäre dann aber ziemlich arm. Jedenfalls macht der Beitrag um den klar psychisch gestörten Menschen in einem Film, der die Probleme der modernen normalen Jugend aufzeigen will, kaum Sinn. Das ist ebenso platt-reißerisch, wie wenn Van Sant in Elephant Horrorvideos und Quake-Spielen als Beweggründe der beiden Columbine-Mörder angebracht hätte.
Am besten ist da wirklich die Episode um Claude, einem netten ruhigen Hiphop-Skater aus einer Familie von einfachen Arbeitern. Der Vater ist Alkoholiker und würde seinen Sohn als richtigen Kerl sehen, statt dass er herumkifft und skatet. Es kommt zum Konflikt, der Vater zertrümmert das Board des Sohnes. Hier zeigt sich "Ken Park" von einer differenzierteren Seite, facettenreicher und tiefsinniger. Die Charaktere scheinen richtige Motive zu haben, in ihren Gesichtern ist der innere Kampf sichtbar. Hier scheint kein Klischee so richtig durch. Zwar endet das Ganze wiederum in einem bizarren Ansatz von ungewolltem Vater-Sohn-Inzest, jedoch hat die Episode um Claude bei weitem das größte Potential und beweist zusammen mit dem eskapistischen Ende, in welchem die noch lebenden Protagonisten in hemmungslosen, zärtlichen Gruppensex als scheinbar einzige Möglichkeit des Glücks hinter all der Sinnleere des Alltags flüchten, wenigstens echtes Einfühlungsvermögen.
Der Rest des Films ist durchaus belanglos und teilweise platt und langweilig. Die pornografischen Szenen schockieren hier auch keinen und sind selbst im Gefüge der Story austauschbar, mit anderen Worten: Es wäre auch gegangen, ohne immer auf den Ständer in Groß draufzuhalten. Weiterhin ist "Ken Park" als kontroverses Porträt nicht konsequent genug. Dort, wo die eine Geschichte wirklich spannend und interessant gewesen wäre, schneidet Clark eine andere rein und traut sich wohl nicht, weiter zu gehen. Aber vielleicht mangelt es seinem Bild auch einfach an Differenziertheit und Substanz, sodass er zur Holzhammermethode greifen muss? Ich meine, man kann schon solch kaputte Zustände als Spiegel der realen Welt bringen, aber man muss dabei zunächst subtiler vorgehen, man braucht einen geschickteren, nachvollziehbareren Aufbau, mehr innere Dynamik von Drehbuch und Personen. Wer etwa den glänzenden "Hundstage" von Ulrich Seidl gesehen hat, versteht bestimmt, was ich meine. Der oben angesprochene Eskapismus in Sexualität bzw. Sex als Glücksventil ist zudem (zumindest hier in Europa) ebenfalls keineswegs neu. In dieser Hinsicht noch deutlich radikalere Gesellschaftsporträts hat z.B. Michel Houellebecq mit seinen Büchern beschrieben. Aber vielleicht braucht Amerika ja solche Filme. Zum Glück scheinen wir da schon etwas weiter und reifer zu sein. Kontroverses Kino ist jedenfalls was anderes. 5/10