Review

Wenn ich die Kurzgeschichte Der Wurdalak von Leo Tolstoi jemals gelesen haben sollte, dann ist dies mehrere Jahrzehnte her, und ich habe keine Erinnerungen mehr daran. Den Film mit der Erzählung zu vergleichen verbietet sich an dieser Stelle also, aber soweit braucht man hier auch gar nicht zu gehen. LA NOTTE DEI DIAVOLI kommt nämlich gar nicht daher wie eine offensichtliche und kopflastige Literaturverfilmung mit dem Anspruch auf höhere Weihen. Regisseur Giorgio Ferroni schafft es vielmehr fast ab Beginn, den Zuschauer mit einer seltsamen und morbiden Stimmung schnell gefangen zu nehmen, und dabei nicht den Kopf (also die Literaturverfilmung), vor allem aber auch nicht den Bauch (also den Unterhaltungsanspruch) zu vergessen.

Ein Mann irrt mit zerrissener Kleidung und blutverschmiert durch die Wildnis, um nach einem körperlichen Zusammenbruch in einer (psychiatrischen?) Anstalt aufzuwachen. Der behandelnde Arzt lässt den armen Mann beobachten, kann sich aber auf dessen Verhalten keinen Reim machen. Klar ist nur, dass der Bedauerliche Angst hat vor der Nacht. Und da ist noch die junge Frau, die sich nach dem Zustand des Fremden erkundigt, aber von der einen auf die andere Sekunde wieder verschwunden ist …
Als Rückblende in den Erinnerungen des Mannes lernen wir seine Geschichte kennen: Er ist ein Reisender in Sachen Holz mit Namen Nicola, unterwegs im Grenzland zwischen Italien und Jugoslawien. Mitten im tiefsten Wald hat er einen Unfall und kann mit dem Auto nicht mehr weiter, also zieht er zu Fuß los, und kommt auch tatsächlich bald an ein Haus. Dessen Bewohner nehmen ihn nicht gerne auf, doch die Gastfreundschaft gebietet es, dem Fremden Unterschlupf zu gewähren. Es ist aber offensichtlich, dass die Einheimischen sich vor etwas fürchten, was da draußen unterwegs ist. Da draußen. In der Nacht. In der Wildnis. Alle Türen und Fenster sind sorgfältig verrammelt, und das, was anscheinend um das Haus schleicht und einen Weg nach drinnen sucht, wird übermächtig gefürchtet. Als am nächsten Tag der Vater der Familie loszieht, das da draußen zu töten, ermahnt er die Familie, ihn bloß nicht mehr ins Haus zu lassen, sollte er nach sechs Uhr zurückkommen. Denn dann sei er tot. Von dem Wesen da draußen getötet und als Wiedergänger auf der Jagd nach dem Blut seiner geliebten Familie. Mit dem sechsten Schlag der Uhr ist der Vater wieder da. Ist er nun tot? Oder lebendig? Sehr lebendig ist auf jeden Fall die Tochter Sdenka, die sich in Nicola verliebt, und eine Chance sieht aus der Einöde herauszukommen. Wenn sie die Nacht überlebt. Und wenn Nicola Sdenka überlebt …

Ein tiefer Wald im Grenzland zwischen Mythen und Legenden. Einheimische, die in der Einsamkeit leben und seltsamen Überlieferungen ihr Herz schenken. Überlieferungen, die von einem Wurdalak sprechen – Ein Wesen, welches das Blut der eigenen Familie und das von Nahestehenden begehrt, um diese ebenfalls zu Wurdalaks zu machen. Und in diese von Tod und Misstrauen geprägte Welt kommt nun dieser Fremde. Ein Städter, mit urbanen und modernen Ansichten, den Duft von Espresso und Tanzbar hinter sich herziehend. Und dieser Mann muss sich archaischen Ansichten stellen, die alles, an was er jemals geglaubt hat, grundsätzlich in Frage stellen. Es gibt keine Wiedergänger, außer in den Geschichten für die Kleinen. Es gibt keinen Blutdurst von untoten Wesen, und einen Wurdalak gibt es schon gleich gar nicht. Was für ein Schock auf diesen Mann wartet …

Mario Bava hat in seinem Klassiker DIE DREI GESICHTER DER FURCHT die Geschichte bereits verfilmt, diese aber wohl anscheinend etwas verknappt wiedergegeben (auch hier muss ich leider passen). Giorgio Ferroni jedenfalls hat aus der, zum Zeitpunkt der Entstehung bereits 130 Jahre alten Geschichte, eine behutsam modernisierte und erstaunlich packende Erzählung gemacht, die modernen Grusel mit einer Atmosphäre verbindet, die auch heute noch erschauern lässt. „Die feine Konstruktion des Plots, das langsame Aufdecken der erschreckenden Wahrheit, die daher kontinuierlich aufrechterhaltene Atmosphäre primitiven Terrors“ (1) schreibt die deutsche Wikipedia über Tolstois Vorlage, und diese Attribute treffen spannenderweise auch auf LA NOTTE DEI DIAVOLI zu. Ferroni lässt sich Zeit seine Geschichte zu entwickeln, schlägt aber von vornherein düstere und morbide Töne an, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Die Personen werden schnell und treffend charakterisiert, und die persönlichen Sympathieträger werden ebenfalls schnell festgelegt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt kann sich die gruselige Stimmung entfalten und den Zuschauer in eine mystische Parallelwelt ziehen, die voll ist mit geheimnisvollen Gesprächen und rätselhaften Riten. Die Nicola genauso überfordert wie den Zuschauer, und die urbane und moderne Lebensauffassung des heutigen Menschen restlos zerstören wird.

LA NOTTE DEI DIAVOLI ist damit ein interessanter Kommentar zum Einbruch der Moderne in die tradierte Welt, und eine erstklassige, spannende und atmosphärische Übung in der Verbindung zwischen Kunst und Genre. Film kann so schön sein …

(1)  https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Familie_des_Wurdalak


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