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Giorgio Ferronis Karriere liest sich wie die eines Mannes, der gerne verschiedene Berufe ausprobiert, um herauszufinden, wie man im Laufe der Zeit ein Könner in der jeweiligen Disziplin wird. Er begann mit dem Schreiben¹ und wechselte zu Abbildungen des Weltgeschehens², versuchte sich irgendwann aber auch an Thalia³ und Melpomene⁴. Über die gesamten 1960er hinweg durchlebte er schließlich zwei längere Phasen als Sandalenmacher⁵ und Waffenbauer⁶. Von einer Arbeit zur nächsten verbesserte er sukzessive sein Handwerk, machte sich vertraut mit den jeweiligen Grundlagen, um sie weiterzuentwickeln und sich dann wieder anderen Gebieten zuzuwenden. Zweimal jedoch gelang ihm auf Anhieb eine Arbeit wie von gereifter Meisterhand; unmittelbar vor der Sandalenphase und unmittelbar nach der Waffenphase.

Wenn Ferroni mit „Die Mühle der versteinerten Frauen“ (1960) das Werk eines rustikalen Bildhauers ablieferte, hat er sich für „The Night of the Devils“ (1972) zum Holzschnitzer weitergebildet, ohne dabei seine Rustikalität zu verlieren. Es sind vielleicht diese beiden Filme, die aus seinem Gesamtwerk herausstechen, beide miteinander verbunden durch ihre Affinität zum europäischen Gothic Horror, von Hand modelliert zu Skulpturen aus Stein und Holz.

Zumindest „The Night of the Devils“ kann dabei bereits von der Renaissance dieser Strömung profitieren, die zwischenzeitlich auch durch den Aufstieg von Mario Bava eingeleitet wurde. Der hatte unter anderem Alexei Tolstois Kurzgeschichte „Die Familie des Wurdalak“ zum Zentrum seines Episodenfilms „Die drei Gesichter der Furcht“ auserkoren und damit den radioaktiven Kern einer wahrhaft schauerlichen Atmosphärebombe geschaffen. Karloffs ghulhaft ausgeleuchetes Gesicht im Schneegestöber vor einer Hütte kann einem noch Monate nach der Sichtung einen Schauder über den Rücken jagen.

Nun haben wir es mit einer neuerlichen Adaption desselben Stoffes zu tun, einer modernisierten Variante allerdings. Dadurch, dass Ferronis Vision in einer psychiatrischen Klinik der Gegenwart beginnt, wo medizinische Apparaturen und sterile Räume das Szenenbild bestimmen, findet sie sich tief eingebettet in den damals geltenden Standard italienischer Low-Budget-Produktionen. Wenig unterscheidet sie auf den ersten Blick von all den Margheritis, Martinos, D’Amatis und auch den inzwischen sleazy gewordenen Bavas, die zu jener Zeit in die Schmuddelkinos drängten. Die psychedelische, experimentell wirkende Auftaktsequenz ist allerdings kein Fingerzeig für den weiteren Verlauf, denn was nun folgt, ist eine sehr lange Zündschnur mit dem trockenen Knistern des Feuers auf dem Weg zum Dynamit, das in einem trockenen Nadelwald gelegt wurde.

Mag der Start also noch etwas mühsam geraten sein, weil er sich nicht ausreichend von der übrigen Dutzendware abzuheben weiß, fädelt Ferroni seinen Spannungsbogen mit viel Vorlauf ein und operiert dabei mit höchster Geduld, die er auch von seinem Publikum fordert. Man muss schon bis zur Ankunft bei der Waldhütte ausharren, bevor einem so langsam dämmert, dass sich die Geduld lohnen könnte; zumindest, wenn man kein Nonstop-Gorefest erwartet. Obwohl „E.T.“-Effektspezialist Carlo Rambaldi im Verlauf der 90 Minuten diesbezüglich einige Pfeile im Köcher hat, setzen sie immer nur Nadelstiche in sorgfältig kuratierten Money Shots. Die eigentliche Faszination, die sich ausbreitet wie ein mulmiges Gefühl im Magen, kommt von der irrealen Stimmung.

Keineswegs stammt diese ausschließlich aus dem Gothic-Horror-Genre. Hauptdarsteller Gianni Garko, der viele Spaghettiwestern mitgeprägt hatte, dürfte sich bei seinem Waldspaziergang heimisch gefühlt haben, steckt doch mindestens so viel Western wie Horror im Ambiente. Die Naturkulisse wirkt wie eine unwirkliche Zwischenwelt am Rande dieser beiden Genres, keineswegs aber wie ein Schauplatz der Gegenwart. Gerät mal ein Auto oder die Jeans eines Darstellers ins Bild, wirkt das plötzlich wie ein Fremdkörper. Viele Einstellungen könnten isoliert genauso gut aus einem Sartana-Western, einem Hexenjäger-, oder Robin-Hood-Streifen stammen. Man entwickelt eine regelrechte Amnesie, was das kontemporäre Setting der Rahmenhandlung angeht.

Das mag auch an der Schauspielführung liegen. Schon wenn die beiden Kinderdarsteller mit dem Rücken zur Wand hinter der Glasscheibe ihres Hauses sitzen und dem Besucher halb desinteressiert eine Gesichtshälfte zuwenden, um schließlich die Vorhänge zuzuziehen, etabliert sich ein gewisser Märchenwelt-Surrealismus. Ferroni lässt seine Darsteller agieren, als entstammten sie einer Paralleldimension, die andere Benimmregeln, andere Körperhaltungen und andere Stimmintonationen in ihren Konventionen verankert hat. Gerade Agostina Belli setzt diese Anweisungen vortrefflich um, zumal sie in ihren Augen auch noch eigene Geheimwaffen mitbringt, den Zuschauer in eine Hypnose zu versetzen.

Als das Drehbuch dann von freundlichen Gesten gegenüber einem Fremden zu Vertrautheiten wechselt und Kurs nimmt auf seinen Kern, eine Erzählung über Liebe und Sehnsucht, gerät auch die Essenz von Tolstois Kurzgeschichte in den Mittelpunkt. In seiner Vampirmythologie sind es schließlich nur Familie, Geliebte und enge Freunde, die sich vor den Blutsaugern in Acht nehmen müssen, was ein perfides Spiel mit Bezugsverhältnissen zwischen den Charakteren erlaubt und schließlich eine sich wie ein Virus verbreitende Kettenreaktion. Ferroni spielt geschickt mit diesen Bezügen und erschafft aus ihnen gerade zum Ende hin schockierende Bilder, deren Nachhall nicht zwingend von der Maske ausgeht, sondern schlichtweg von der ins Zynische hinein erstarrten Beziehung zwischen Menschen, die sich im nicht infizierten Zustand einander nahe standen. Ein Wurdalak-Verwandelter, der leichenblass, aber voller Kraft immer wieder sein Opfer attackiert, zwei weitere Verwandelte, die das Schauspiel von ihrer Baumstamm-Empore aus kichernd verfolgen, eine Mutter, die von ihrem Kind wie von einem Wolf gerissen wird… verstörend sind da nicht die Taten an sich, die man auch in vielen anderen Genre-Werken findet, sondern der Kontext, in dem sie geschehen. Das gelingt durch den komplexen, sorgfältigen Aufbau der Situation, der sich zuvor im Inneren der Hütte mit aller gebotenen Ruhe entwickeln konnte.

Dennoch hat auch Rambaldis Arbeit an den Spezialeffekten einen entscheidenden Einfluss auf die Wirkung des Films. Zwar leiden auch seine Ergebnisse an den typischen Mängeln der Splatter-, und Gore-Filme jener Zeit, vom grellroten Kunstblut bis zu den teigigen Latex-Wunden auf den haarigen Oberkörpern der blassen Darsteller. Die in Echtzeit schmelzenden Gesichter getöteter Vampire nehmen aber bereits die glorreiche Effekte-Ära des Folgejahrzehnts und deren Vorzeigewerke in ihrer Wirkung vorweg. Die ein oder andere Pfählung setzt gemeinsam mit einigen Stunts rund um eine Flucht mit dem Auto weitere Highlights, die bei dem eher gemächlichen Erzähltempo für ein wenig Beschleunigung sorgen.

Nicht jedem Filmemacher ist es vergönnt, mit einem Feuerwerk von der Bühne zu treten. Das eigentliche Abschiedswerk, die eher im Spencer/Hill-Fahrwasser schwimmende Actionkomödie „Der Tomatenkrieg“ einmal ausgeklammert, ist „The Night of the Devils“ ein Abgang, wie man ihn sich nur wünschen kann: Leise wie ein Flüstern und verstohlen wie ein Schemen, aber am Ende einer italienischen Nacht unter dem Blaufilter im Blutrausch wie ein Wolf in einem Schafgehege.

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³Komödien
⁴Dramen
⁵Abenteuerfilme
⁶Western

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