"Horror is a serum that slowly is injected into your subconscious [laughs]. It's ambient filmmaking... told through a series of dreams, flashbacks and hallucinations. I was going for something completely out-there... not censoring myself... allowing my imagination to run wild. And while I wanted the main character, Grace - real and raw - I knew that everything else around her would have to be stylized and ambiguous... like a mirage. Her universe, everything she knows... it's slowly disintegrating."
- - - Dante Tomaselli im Interview auf http://www.esplatter.com/profiles/tomaselli.htm - - -
Der Titel ist Programm. War beim Vorgänger Desecration noch so etwas wie eine vage zu erahnende Storyline vorhanden, so bietet Horror im Grunde nur zwei Handlungsansätze, die sich zwar schnell überlappen, dann jedoch vom ungestümen Bilderrausch förmlich zersetzt werden. Horror ist kein Film im eigentlichen Sinne, Horror ist ein Kunstwerk des Grauens. Eine Phantasmagorie. Ein einem Drogenrausch ähnelndes Erlebnis. Ein filmgewordenes Stück purer, unverfälschter Horror. Darüber hinaus ist Horror ziemlich einzigartig; es mag einige Filme geben, die ihm ähneln, und doch ist er einfach anders. Es ist nicht Alice im Wunderland, sondern Grace im Horrorland, und sie ist nicht alleine dort.
Grace Salo (Lizzy Mahon) ist die zentrale Figur. Sie wird von ihren unheimlichen Eltern anscheinend in einem abgelegenen Farmhaus gefangen gehalten. Um das Gebäude schleicht eine schwarze Ziege, die auch schon mal ins Haus eindringt und das schlafende Mädchen in seinem Bett beobachtet. Woanders entkommen fünf Jugendliche (u. a. Danny Lopes, der bereits bei Desecration mit dabei war, und Low-Budget-Horror-Queen Raine Brown) aus einer Entzugsklinik, wo sie einen toten Wachmann zurück lassen. Die fünf suchen in Graces Farmhaus Unterschlupf. Dann bricht die Hölle los, und Horror wird zu einer wahren Tour-de-Force.
Technisch ist der Film trotz des Mini-Budgets - man spricht von $ 250.000 - erste Sahne, obwohl sich das fehlende Geld natürlich bemerkbar macht. Das Sound-Design ist eine Wucht, der Schnitt ist präzise, die Szenenausleuchtung eine Augenweide. Und Timothy Naylors Kamera… mal gleitet sie, mal rast sie, mal ruht sie, mal rotiert sie, mal zoomt sie, mal wackelt sie… sie treibt die Protagonisten durchs Geschehen, läßt sie kaum zur Ruhe kommen. Der Score, von Tomaselli selbst komponiert, ist fokussiert und verschmilzt fast mit der Bilderflut, ohne sich plump in den Vordergrund zu zwängen. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann sind das die teilweise nicht ganz überzeugenden Darsteller sowie die eher durchwachsenen Spezialeffekte, doch selbst das stört nicht wirklich, da es gut zur surrealen Alptraumatmosphäre paßt.
Horror ist Tomasellis Baby, nach seinen Vorstellungen modelliert und umgesetzt, ohne Kompromisse. Keinen Millimeter verbiegt sich der Streifen Richtung Mainstream, in keiner Szene biedert er sich dem Massengeschmack an. Es wird nie ganz klar, was vom Gesehenen nun real ist und was sich nur in den Köpfen der Figuren abspielt. Ist alles nur ein abgefahrener Drogentrip? Schließlich lutschen die jugendlichen Ausbrecher halluzinogene Pilze, und auch Grace scheint damit gefüttert zu werden. Aber nur, weil man sich auf einem denkbar schlechten Trip befindet, bedeutet das noch lange nicht, daß die Zombies, die das Haus zu belagern beginnen, nicht existieren. Oder doch?
Horror geht zu keiner Sekunde auf Nummer Sicher, und das rechne ich ihm hoch an. Damit ähnelt er in gewissem Maße einem wagemutigen Seilakrobaten, der ohne Sicherheitsnetz über einem gähnenden Abgrund turnt. Horror geht seinen ganz eigenen Weg, der in den finstersten Wald führt, und er verzichtet selbstbewußt darauf, den Zuschauer bei der Hand zu nehmen und ihn zu führen. Wenn man den Weg beschreiten will, in die Welt von Horror eintauchen will, dann muß man sich darauf einlassen, mit Haut und Haaren. Gelingt das nicht, kann man ebenso gut zu Hause bleiben, im sicheren, bequemen Stübchen, und sich einfallslose Hollywoodware angucken.
Des Weiteren schafft es Horror spielerisch, sein Publikum zu überraschen. Man weiß nie, was als nächstes kommt, da Tomaselli die Erwartungshaltung der Zuschauer konsequent unterläuft bzw. schlichtweg ignoriert. Damit nicht genug ist Horror richtig furchteinflößend, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe keine Ahnung, wie genau er das anstellt, aber der Film löst im Betrachter einfach ein Gefühl der Angst aus. Die Palette reicht von sanftem Grusel bis zu körperlichem Unwohlsein. Das Grauen, das dem Film entströmt, nistet sich beim Zuseher nicht nur unter der Haut sondern auch im Unterbewußtsein ein. So wie Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre ein Gefühl des blanken, ausweglosen Terrors verbreitet, so strahlt Horror Angst und Schrecken aus.
Bei Desecration habe ich noch bemängelt, daß er etwas zu wirr und zu verschroben ist. Nun, das trifft auf Horror zwar auch zu, allerdings ist das Gesamtpaket hier einfach harmonischer, wodurch aus der vermeintlichen Schwäche eine weitere Stärke des Filmes wird. Falls sich jemand wundern sollte, wieso ich diesen Film so überschwänglich über den grünen Klee lobe und die Euphoriebremse nicht betätige... ja, ich gebe es gerne zu: Ich liebe Horror, finde ihn ganz famos und ungemein effektiv. Ich bin sicher, daß dieser wahnwitzige, phantasievolle, ungeschliffene Bilderreigen eine zeitlose Qualität hat, daß er in zwanzig, dreißig Jahren noch genauso verstörend wirken wird wie zum Zeitpunkt seines Erscheinens. Und er liefert exakt das in Unmengen, was er im Titel verspricht: Horror.
Horror ist fulminantes, meisterhaft inszeniertes Alptraum-Kino vom Feinsten. Bitte mehr davon! Nach diesem Meisterwerk wurde es wieder etwas ruhig um Dante Tomaselli. Erst vier Jahre später erschien - obwohl schon 2004 gedreht - Satan's Playground.