Review

Manchmal ist es ein von der Zivilisation vergessener Flecken Erde, der auf keiner Landkarte verzeichnet ist und nur zufällig entdeckt wird. Manchmal ein Wissenschaftler, der DNA aus einer in Bernstein konservierten Stechmücke extrahiert. Um Mensch und Dinosaurier auf der Kinoleinwand zu vereinen, braucht es fast immer eine Verbindungslinie, mit der 145 Millionen Jahre Zeit überbrückt werden können, ohne dass das Publikum dabei Zweifel an der Prämisse bekommt.

In Karel Zemans „Reise in die Urwelt“ verbirgt sich diese Verbindungslinie bereits unauffällig im Hintergrund des Vorspanns. Während die Titeleinblendungen laufen, zeichnen sich auf staubigem Erdreich die Abdrücke eines versteinerten Trilobiten ab. Mehr als das sowie einen langen Fluss und ein Ruderboot braucht es nicht, um eine vierköpfige Gruppe von ebenso abenteuerlustigen wie wissbegierigen Kindern in der Zeit zurückzuschicken. Keine Erklärungen, keine Vorwände, keine Science Fiction – nur ein versteinertes Stück Geschichte. Der Übergang ins Reich der Fantasie erfolgt mit einer beispiellosen Nüchternheit, die so manchen amerikanischen Monsterfilm mit einem Schlag als äußerst umständlichen Erzähler dastehen lässt.

Was als spielerische Erkundungstour Heranwachsender beginnt, die versuchen, dem Ursprung des Lebens vor der Haustür auf die Spur zu kommen, verwandelt sich schon bald in ein symbolisch aufgeladenes Roadmovie, das den Fluss der Zeit spiegelt. Mit dem Durchschreiten einer Höhle und dem Eintritt in vereiste Gewässer lassen die Kinder nicht nur ihren Heimatort hinter sich, sondern zugleich das Jahr 1955, um binnen eines Wimpernschlags Tausende von Jahre in die Vergangenheit katapultiert zu werden. Und das geschieht so fließend, wie man einen Wald oder ein Feld erkunden würde, Schritt für Schritt, immer weiter voraus, um den Punkt der weitesten Entfernung von der eigenen Basis hinaus zu verschieben.

Die zunächst noch dezent eingesetzten Effekte sind zu jenem Zeitpunkt nicht nur frei von reanimierten Kreaturen, sie werden auch noch von der Realität überspült. Es sind einfach Höhlenmalereien, die Gebeine eines Riesenhirschs oder ein paar Eisblöcke, die von einer anderen Welt erzählen; Relikte, die sich mit etwas Mühe auch in der modernen Welt finden lassen. Und doch stellt der Regisseur seine Sets bereits in dieser Phase in musealen Glaskästen aus. Die zugehörigen Texttafeln findet man im Off-Kommentar des Sprechers, der sich selbst und seine Freunde zu Beginn sogar noch anhand eines alten Fotos vorstellt, wie um den dokumentarischen Charakter der Unternehmung zu betonen.

Zemans optische Magie zeigt sich spätestens mit der Präsentation eines Mammuts, die in ihrer beabsichtigten Wirkung der ersten Brachiosaurus-Begegnung aus „Jurassic Park“ gleichzusetzen ist. Bildebenen verschmelzen nun in erstaunlich präziser Montage miteinander, das Quartett jugendlicher Entdecker ist im Grunde nur eine Uferlänge von den massiven Fellstämmen entfernt, die das Ungetüm in die Luft ragen lassen. Offenbart wird das Tier zuerst nur in der Rücken-Perspektive flankiert von Tannen. Man hält als Betrachter für ein paar weitere Sekunden den Atem an bis zur endgültigen Enthüllung, die kurz darauf mit einer frontalen Stop-Motion-Szenerie nachgereicht wird. Wer mit Ray Harryhausens Arbeiten aufgewachsen ist, kommt nicht umhin, bei der hakeligen Bewegung des ausgestorbenen Tiers an dessen Pionierleistungen in der Trickanimation zu denken. Aber da ahnt man noch nicht die Vielfalt der Mittel und Wege, die Zeman findet, um die Urzeit aus ihrer Starre zu lösen. Ab hier wird es nämlich nun im Minutentakt neue Kreaturen, ja sogar ganze Herden von ihnen auf der Leinwand zu sehen geben, und man wird nie im Voraus wissen, welche Tricks dabei genutzt werden und wie sie kombiniert werden.

So tummeln sich Dutzende von fantastischen Panoramen in diesem Werk, die in dem zugegeben sehr linear arrangierten Drehbuch Platz finden wie Perlen auf einer Kette. Zwei Wollnashörner liefern sich einen erbitterten Kampf an einer Steinklippe, eine Riesenlibelle bildet das Zentrum einer idyllischen Sumpflandschaft, ein im Kampf verletzter Stegosaurus schleppt sich auf eine Lichtung und sieht einen letzten Sonnenuntergang. Mal sind es Zeichentrickanimationen, mit denen Herden durch die Bildhintergründe jagen, mal Stop-Motion-Effekte, die stotternd ihre Tänze aufführen, mal feste Kulissen, die in der Landschaft stehen oder animatronische Puppen, die durchs Wasser geschoben werden, mal sind es auch einfach Matte Paintings oder Handgesteuertes wie aus der Henson/Oz-Werkstatt. Oder es handelt sich gar um eine Mischung aus diesen Zutaten, miteinander verschmolzen durch raffinierte perspektivische Tricks, die eine perfekte Illusion immer gerade für den Bildkader erzeugt, der von der Kamera erfasst wird. Nur ein Zentimeter weiter links oder rechts und die Illusion wäre dahin. Doch es ist kein wahlloses Durcheinander, das Zeman mit der Vielfalt seiner Möglichkeiten anstellt. Es ist gewissermaßen die perfekte Imitation des Lebens, bedenkt man, wie steif die meisten Filme wirken, die nur noch auf eine Methode setzen, etwas Nichtexistierendes durch Film existieren zu lassen. Für heutige computergenerierte Kreaturen gilt das mehr denn je; denn gewann „Jurassic Park“ seine Zeitlosigkeit nicht gerade durch die Verschmelzung aus On-Set-Effekten und CGI, die mit den Jahren zugunsten des Letzteren fast abhanden gekommen ist?

Die stark theoretisierte Prämisse erlaubt dabei außerdem einen unverschämten Reichtum an abgedeckten Perioden, die durchblättert werden können wie in einem Lexikon. Ein solches hat einer der Jungen dann passenderweise auch dabei, um die beobachteten Kreaturen mit Namen zu kategorisieren. Der Subtext des Films pendelt permanent zwischen den Eckpfeilern menschlichen Erkenntnisgewinns, darunter philosophischen Lehren, moralischen Diskursen und wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, mit denen sich die Jungen anschicken, die Welt von den Älteren zu übernehmen, indem sie ihren Platz darin finden – auf die Gefahr hin, dass die Burschen mit ihrer Wissbegier vielleicht weniger wie normale Kinder wirken als vielmehr wie altkluge Moralaposteln, die sich weitaus vernünftiger über den Zeitstrahl bewegen als es die meisten Zeitreisenden der Filmgeschichte jemals taten, selbst wenn die bedeutend älter waren.

Um diesen dokumentarischen Ansatz zu bewahren, bleibt die permanente Konfrontation mit der Gefahr ein wenig außen vor. Nicht, dass keine Interaktivität geboten würde. Gerade in der Verschmelzung der realen Darsteller mit den artifiziellen Hintergründen vollbringt Zeman ja regelrechte Wundertaten, die ein völliges Eintauchen in die Zeit der Dinosaurier und darüber hinaus ermöglichen. Die Flucht vor der Gefahr, die Antrieb so vieler US-amerikanischer Monsterfilme ist, spielt allerdings nur in ausgewählten Szenen eine Rolle, denn zumeist läuft die Reise eher ab wie in einem Fahrgeschäft, bei dem man in der sicheren Kabine von Szene zu Szene geschoben und allenfalls mal kurz erschreckt wird. Das könnte so manchem als langweilig erscheinen, der auf ein Action-Abenteuer aus ist, doch umgekehrt war wohl kaum je ein Dinosaurierfilm großzügiger in seinem Angebot an Arten und Landschaften.

Details
Ähnliche Filme