Review

„Du wirst lernen, dass es im Leben immer nur um Befriedigung geht!“

Nach Filmen wie „Marquis de Sade: Justine“ und „Die Jungfrau und die Peitsche“ versuchte sich der spanische Genre-Vielfilmer Jess Franco („Paroxismus“) in französisch-liechtenstein’scher Koproduktion an einer weiteren De-Sade-Verfilmung, einer freien Interpretation dessen mir unbekannten „Eugènie de Franval“, die nur bedingt etwas mit der guten Eugenie aus anderen Geschichten zu tun hat. In der von mir gesehenen Fassung lautet der Titel des Films „De Sade 2000“. Seine Premiere hatte der Film angeblich 1973, muss aber bereits vor dem 18.08.1970 gedreht worden sein, denn an diesem Tag verstarb Hauptdarstellerin Soledad Miranda tragischerweise an den Folgen eines Autounfalls.

„Wie wär’s mit ein bisschen Sadismus?“

Das Mädchen Eugènie (Soledad Miranda, „Vampyros Lesbos“) wächst bei ihrem Stiefvater (Paul Muller, „Der Vampir von Notre Dame“) auf, einem Erotik-Schriftsteller. Sie beginnt, sich für die Klassiker erotischer Literatur aus dessen Sammlung zu interessieren und sich sexuell zu ihm hingezogen zu fühlen, was dieser dafür ausnutzt, mit ihr zusammen mehrere Lustmorde an jungen Frauen zu begehen. Als sie sich jedoch in einen als nächstes Opfer auserkorenen Jazzmusiker (Andrea Montchal, „Die nackten Augen der Nacht“) verliebt, droht die Situation für ihren Stiefvater außer Kontrolle zu geraten…

Franco eröffnet seinen in Deutschland spielenden Bilderreigen mit Bruno Nicolais Musik, zu der er eine Lesbenszene zeigt und immer wieder auf sein eigenes Antlitz gegenschneidet, denn Franco persönlich spielt den Schriftsteller und Voyeur Tanner und damit ein gutes Stück weit sich selbst. Im Anschluss liegt Eugènie im Krankenbett im Sanatorium, in dem sie aus dem Koma erwacht. Tanner sitzt an ihrer Seite und will alles über ihren Vater wissen, was Nicolai mit einer dissonanten Klangkulisse begleitet. Eugènies Erzählungen läuten die Rückblende ein, die den eigentlichen Film darstellen und Nicolai findet zurück zu schwelgerischem Frauengesang – als wolle er damit Tanners dank Eugènies Auskunftsbereitschaft eintretenden Genuss musikalisch Ausdruck verleihen.

Zu schönen Bildern des winterlichen Deutschlands und mit Eugènies Kommentaren aus dem Off versehen, wird das eingangs beschriebene Sujet nachgestellt. Nach Eugènies Entdeckung ihrer Sexualität und der perversen Welt ihres Stiefvaters heckt jener einen Mordplan aus, den er gemeinsam mit ihr in Paris bzw. Brüssel durchführt. Den Besuch eines Pariser Strip-Clubs wird von Franco natürlich mit einer langen Tanzeinlage ausgedehnt, bevor er in aller Ausführlichkeit zeigt, wie sich Eugènie umzieht und eine alberne Brille sowie einen ebensolchen Hut aufsetzt. An seinem eigenen Voyeurismus, dem er auch mit diesem Film Ausdruck verleiht, lässt Franco also keinen Zweifel und zeigt Eugènie häufig in lasziven Posen. Während eines Sado-Maso-Fotoshootings in Brüssel bringen sie das Modell (Alice Arno, „Entfesselte Begierde“) schließlich um und fliegen im Anschluss schnurstracks nach Paris in den Club zurück, um ein stichfestes Alibi zu haben – Timing ist schließlich alles…

Derartige Kapriolen erlaubt sich Franco indes ansonsten kaum; zunächst führt er nun Tanner in die Rückblende ein, der die beiden kennenlernt und angibt, sie beobachten zu wollen. Längere Zeit beschäftigt sich der Film mit dem nächsten Opfer, einer aufgedrehten österreichischen Anhalterin (Greta Schmidt), die sich offenherzig gibt und eine detailliertere Charakterisierung erfährt. Nahe an nervenaufreibender Suspense agieren die folgenden bei Vater und Tochter zu Hause spielenden Szenen, die das ungleiche Trio bei Trinkspielen, Striptease und Verführungen innerhalb einer sexuell aufgeladenen Atmosphäre zeigen und doch keinen Zweifel daran lassen, was der bedauernswerten jungen Frau bald zustoßen wird. Hier verquickt Franco Thrill und Erotik auf wahrlich respektable Weise.

Doch je mehr sich ihr Stiefvater auf Eugènie verlässt, desto unvorsichtiger wird er und scheint in seiner Arroganz erst gar nicht in Betracht zu ziehen, dass sich seine Ziehtochter in jemand anderen verlieben konnte – wie es schließlich mit Jazz-Musiker Paul geschieht, den sie doch lediglich gefügig machen und mit ihm Sex haben sollte. Dass der Stiefvater erst Paul tötet, dann Eugènie misshandelt und schließlich Harakiri begeht, erscheint, nachdem sich in dessen Leben absurderweise so viel um den Tod gedreht hat, konsequent, ist jedoch zugleich Zuspitzung der Ereignisse und Befreiung für Eugènie, die sich endlich von ihrem Stiefvater abgekapselt hat.

Letztlich ist auch „De Sade 2000“ ein durchwachsenes Vergnügen. So glaubwürdig Voyeur Franco als dem Treiben des seltsamen Paars auf die Schliche kommender, doch lieber fasziniert zusehender statt eingreifender Tanner erscheint, so wenig nimmt man Soledad Miranda die pubertierende Kindfrau ab – ihre Schönheit und ihr Talent im schauspielerischen Erotikbereich möchte ich damit jedoch keinesfalls in Abrede stellen. Schon die anfängliche Entwicklung der jungfräulichen Eugènie zur literaturbegeisterten, ihrem Stiefvater verfallenden Mordkomplizin erscheint wenig nachvollziehbar, erst recht in dieser Art Schnelldurchlauf. Bisweilen recht statische Kameraführung konterkariert manch künstlerische Ambition, die sich in einigen ausgewählten Szenen erkennen lässt und ein Franco-Film ohne dramaturgische Durchhänger oder Tempoprobleme scheint weiterhin die Ausnahme zu sein – „De Sade 2000“ ist keine. Dem gegenüber stehen jedoch eine häufig angenehm stilsichere Inszenierung der kruden Inzest- (oder zumindest Schutzbefohlenen-)Thematik und eine Miranda als Augenschmaus in einem neben Perversion und Sadismus vor allem Voyeurismus nicht nur bedienenden, sondern auch – wenn man so will durchaus kritisch – thematisierenden Film, der zumindest zeitweise genügend Thrill mitbringt, um nicht zum reinen Softsex-Film fragwürdiger bzw. skandal- oder skandälchenträchtiger Ausrichtung zu geraten. Als Psychogramm von Erotikschriftstellern sollte der Film jedoch sicher nicht missverstanden werden. 5,5 bis 6 von 10 Liebhaberpunkte vergibt da mein Bauchgefühl, warum auch immer – das muss die von Betroffenen oftmals beschriebene Francofizierung sein, die nach spätestens 20 gesehenen Werken des ollen Jess eintreten soll...

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