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Dass einem beim Aufwachen auf einem unbekannten Alien-Planeten der Kopf dröhnt von herumschwirrenden Photonenstrahlen und dass man eigentlich gar nicht so recht weiß, was man hier verloren hat, ist nur fair; Brie Larson wird es ja genauso ergehen, wenn sie erst einmal ihre Bruchlandung in einer Blockbuster-Video-Filiale vollzogen und einem Schwarzenegger-Pappaufsteller den Kopf weggepustet hat.

Systematisch versucht „Captain Marvel“ die Lichtshow einer intergalaktischen Heldinnen-Geburt mit den ganz normalen Alltagsabenteuern des Mädchens von nebenan zu verknüpfen. Dazu bedarf es einer Zeit vor der Zeit der Origin-Larvensprünge, zu denen man nun bereits seit Jahren genötigt wird. Man muss also noch an Peter Parker vorbei, der 2002 mit selbstgebasteltem Outfit in den Wrestling-Ring stieg und auch an Anakin Skywalker, der mit seinem ersten Kapitel von 1999 vielleicht der Vater aller Origin-Gestalten des 21. Jahrhunderts ist.

Also trägt Brie Larson ein Nine-Inch-Nails-Shirt, posiert auf Fotos als Guns'N'Roses-Groupie und rockt beim Kneipen-Karaoke die Hütte. Der von Grunge und Alternative Rock dominierte Soundtrack erinnert uns zusätzlich: Dies sind die 90er, dies ist die graue Prä-Marvel-Vorzeit. Und weil wir alle noch grob wissen, wie Samuel L.Jackson anno „Pulp Fiction“ aussah, unterstützt das Facelifting seines 25 Jahre jüngeren Nick Fury den Zeitreise-Komfort.

Kein schlechter Ansatz, weil die Erhabenheit über alles Irdische schon immer der Untergang eines jeden Superhelden war und Captain Marvel konzeptionell ähnlich wie Superman besonders anfällig für diese Art von Hochmut ist. Also lässt man das Gesicht der Heldin regelmäßig mit „Oopsie“-Ausdruck entgleisen, man lässt sie trotzig zurückgrunzen, wenn sie von einem hässlichen Skrull angegrunzt wird und in der U-Bahn gibt sie einer Oma trocken eins auf die Nase (möglich macht's die Gestaltwandler-Thematik). Man soll denken: Wow, die ist sich nicht zu schade, einfach mal auf den Putz zu hauen.

Blöd nur: Brie Larson ist eben kein Tom Holland. Helden, die flapsig ihre eigenen Kräfte auf den Arm nehmen, stehen aktuell zwar hoch im Kurs, das bedeutet aber nicht, dass man jedem Schauspieltyp derartige Marotten mit dem Löffel verabreichen kann. Die erste weibliche Marvel-Superheldin in ihrem eigenen Film, so etwas mag einen gewissen Druck erzeugen, doch da hilft es nicht, ihr Verhaltensweisen aufzuzwingen, die eben derzeit en vogue sind. Es ist eine Frage des Typs, und so muss sich eben entweder das Casting oder die Regie den Vorwurf gefallen lassen, nicht entsprechend flexibel gehandelt zu haben. Diese fehlende Feinabstimmung lässt nicht nur Larson besonders steif wirken, auch der Retro-Ausflug geht dadurch völlig in die Hose: Denn wenn schon das NIN-Shirt so aussieht, als sei es vom Produzenten mit ans Set gebracht worden, wie sollte die Welt drumherum authentisch wirken? Da kann sich Lashana Lynch als bodenständige Erdenbürgerin noch so sehr um die Bodenhaftung ihrer Heldenfreundin bemühen; mit zu viel Helium steigt der Ballon eben in die Luft.

Darüber hinaus leidet „Captain Marvel“ so massiv wie kein anderer Comicfilm der letzten Jahre an der Origin-Krankheit, die inzwischen zum eigenen Subgenre geronnen ist. Eine Nebenfigur wie Yon-Rogg (Jude Law) bekommt dadurch nicht einmal mehr die Gelegenheit, eigene Stärken zu entwickeln; einmal über den Ausbildungskampf eingeführt, ist die Figur bereits verloren. Ähnlich altbacken zeigt sich die Action, die natürlich nicht den Retro-Weg mitgeht, weil es einfacher ist, das Synthetische dem Handgemachten vorzuziehen. Durch bunte Phaser-Linien und computergenerierte Lichtschweife wirken sämtliche Stunts nicht nur künstlich, sondern auch seltsam gedämpft; als sei alles auf dem goldenen Licht gebettet, in das sich Marvels Wunderwerke schon immer seliger einkuscheln. Wie passend, dass des Amerikaners liebstes Haustier, die Katze, im Zuge der Kuschel-Tour eine gewichtige Rolle einnimmt und dabei eine bessere Figur macht als die Hauptdarstellerin, wenngleich man sich hier dreist bei Futuramas Nibbler bedient hat und auch sie in vier von fünf Szenen computeranimiert ist, als gäbe es heutzutage keine echten Katzen mehr.

Gerade mit Blick auf ihren unrunden Einsatz im nachfolgenden „Avengers: Endgame“ ist zu fragen: Hat es diese Heldengeburt nun wirklich gebraucht? Viel eher scheint es so, als würde Captain Marvel den großen Marvel-Plan durch ihre reine Präsenz dauerhaft ins Wanken bringen – wie das fünfte Ass im Poker, das niemand braucht, der fair spielen will. Die unausgegorene Einführung überzeugt nicht vom Gegenteil.

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