Vorweg muss ich die Frage stellen: Warum erfuhr dieser Film nie eine deutsche Auswertung und ist daher nur in der englischen Synchronfassung für den deutschen Markt zu bekommen? Jeder Schrott wurde ins Kino gebracht, aber dieser tatsächlich ganz gute Film fand keinen deutschen Verleih. Schon komisch.
„My Dear Killer" von Tonino Valerii, der ein Jahr später mit „Mein Name ist Nobody" einen großen Italo-Klassiker schaffen sollte, ist ein recht gelungener Kriminalfilm, der gemeinhin dem Giallo zugeordnet wird, aber sich einigen Elementen dieses Subgenres vehement verschließt. Der Grund dafür ist in dem ernsten Ton zu finden, den der Film durchgehend anschlägt und so, trotz einiger drastischer Momente, selbstzweckhafte Gewaltorgien und Sleaze links liegen lässt, was der Spannung nur zugute kommen kann. Allerdings ist die Zuordnung zum Giallo auch verständlich, denn die Ausgangslage innerhalb der Handlung und kleinere Momente sind klar genretypisch und wenn dann noch George Hilton im Zentrum des Ganzen steht und er keinen Cowboyhut trägt, bleibt ja nur die Erkenntnis: Giallo!
Ein Mörder geht um und ist intensiv damit beschäftigt, die Spuren eines in der Vergangenheit liegenden Verbrechens zu verschleiern. Dabei geht er nicht zimperlich zur Sache und der erste Mord mit dem Schaufelbagger und der Mord mit einer Art Kreissäge oder Trennschleifer sorgen für den erwartbaren Gewaltgrad, der zudem auch handwerklich sauber inszeniert wurde. Die Kunst des Films liegt aber darin, diese Brutalitäten als singuläre Ereignisse hinter dem Hauptverbrechen verblassen zu lassen, denn dort wurde ein Kind entführt und nach der Lösegeldzahlung mit seinem Vater in einem Bunker dem langsamen Tod überlassen.
Dieser Grundplot schafft eine teilweise wirklich morbide und gleichermaßen tragische Atmosphäre, die mit Rückblenden auf das fröhlich spielende Mädchen noch verstärkt wird und die Skrupellosigkeit des Verbrechers hervorhebt.
Dies führt auch zu einer Figurengestaltung, die man im Giallo oftmals vermisst, denn das Verbrechen hat an der weiteren Familie der Opfer sichtbare Spuren hinterlassen und die Mutter wirkt schon teilweise psychotisch, wenn sie für ihre tote Tochter einen Pullover strickt und von ihr im Präsens spricht. Auch die anderen Personen im Haus zeigen zumindest Ansätze einer Erschütterung und die über allem schwebende Ernsthaftigkeit, mit der „My Dear Killer" durchzogen ist, trägt der Film dann auch konsequent über die Ziellinie.
Eine weitere Besonderheit findet man in der konzentrierten Art, mit der hier die Detektion des Verbrechens verfolgt wird. George Hilton als Kommissar Peretti wird uns als kompetenter Ermittler vorgestellt, der sogleich einen Selbstmord als Mord entlarvt, was Valerii auch sorgfältig und nachvollziehbar in Szene setzt. Hier hebt sich der Film vom Durchschnittsgiallo ab, in dem die Polizei ja stets etwas als unterbelichtet oder inkompetent dargestellt wird und ein zufällig in den Fall verwickelter Held das Verbrechen durch seine Beharrlichkeit und seine Fähigkeit zum Lösen von Rätseln aufklären muss. Hier fallen diese Eigenschaften ganz einfach auf die Person, deren Profession dies eben auch ist, was „My Dear Killer" dann zu einem recht stringent erzählten Kriminalfilm werden lässt, der sich auf das Wesentliche konzentriert, aber trotzdem diese kleinen Haken schlägt, um dem Zuschauer möglichst viele Verdächtige zu präsentieren.
Positiv ist zu vermerken, dass der Kommissar auch über Ansätze einer lebendigen Psyche verfügt, wenn er seine Flamme im Bett links liegenlässt, weil er einfach den Kopf nicht freihat. Zudem zweifelt der Polizist auch an seinen Fähigkeiten, wenn es weitere Mordopfer gibt. Hier fängt das Drehbuch George Hilton dann ein wenig ein, der die Souveränität des Ermittlers bis dahin ein wenig zu sehr zur Schau trägt, was der Spannung sonst wohl eher abträglich gewesen wäre.
Natürlich gibt es aber auch Szenen, die, typisch für das italienische Kino der Zeit, zumindest ein Stirnrunzeln hervorrufen. So verhalten sich einige Charaktere der Sache zwar zweckdienlich, aber eben auch wenig nachvollziehbar, wenn beispielsweise eine junge Frau, die vom Kommissar von den Morden erfahren hat, sich auf dem Weg nach Hause verfolgt fühlt, dann einen Mann abwehrt, der sich durch die Tür zwängen will und nach der komödiantischen Auflösung der Spannung (es war nur der Nachbar, dem wohl nur die Worte fehlten, als er in der Tür klemmte) ihre Todesangst einfach vergisst und sich in der Wohnung ganz schnell auszieht. Hier wird einfach sehr stolpernd von einer Szene zur nächsten gegangen, damit man nochmal kurz die obligatorischen Brüste zeigen kann, um dann die angeteaserte Mordszene folgen zu lassen. Insofern bleibt sich das italienische Kino dann doch treu und die Sequenz um die junge Lehrerin, die sehr blutig endet, ist letztlich Giallo in Reinform.
Eine andere Szene lässt einen dann wiederum aufschrecken, in der der Film einen Verdächtigen als möglichen Pädophilen erscheinen lässt und der Kommissar das mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nimmt. Wenn ein nacktes Mädchen durch den Raum läuft, ist man dies zunächst einfach nicht gewohnt und man ist einfach etwas vor den Kopf geschlagen. Wenn dann aber der zuständige Ermittler sich nur noch einmal fragend umdreht und dann einfach geht, wird die fehlende Sensibilität für das Thema der damaligen Zeit nochmal deutlich. So wird auch ein weiterer Verdächtiger, der mit einer Zwölfjährigen erwischt wurde, gar nicht weiter moralisch verurteilt. Vielmehr dient das Thema der Pädophilie hier als Mittel zum Zweck, um dem Zuschauer weitere Verdächtige zu präsentieren und ihr Verhalten wird lediglich in Bezug auf das im Kern stehende Verbrechen berücksichtigt.
Die Auflösung dieses Verbrechens kündigt sich dann in mehreren Szenen an, die den Ermittler zu einem alles entscheidenden Hinweis führen. In seiner finalen Sequenz sucht „My Dear Killer" dann ganz klar die Nähe zum klassischen Krimi à la Agatha Christie, wenn alle Verdächtigen im Salon versammelt werden, damit der Detektiv den Mörder final überführen kann. Dadurch findet Valeriis Film dann auch zu einem recht ruhigen Ende ohne großes Spektakel, in dem der Mörder dann entlarvt und dingfest gemacht wird. Hier wird dann final nochmals deutlich, dass es dem Regisseur eben um das Erzählen einer schlüssigen Kriminalgeschichte und nicht um das Aneinanderreihen von auf die Sensation abzielenden Schauwerten ging.
Über alledem schwingt der sehr gelungene Score von Ennio Morricone, dirigiert von Bruno Nicolai, der den tragischen Grundton des Films passend untermalt und die richtigen Akzente setzt, um Inhalt, Bild und Ton in einen funktionierenden Einklang zu bringen.
Fazit
Tonino Valerii hat mit „My Dear Killer" einen wirklich gelungenen Vertreter des italienischen Kriminalfilms geschaffen, der sich vom großen Feld der Gialli wohltuend abhebt. Der Sleaze hält sich in engen Grenzen, die Narration erfolgt recht klar und schnörkellos und der Ermittler verhält sich meist professionell. Zudem werden die Figuren recht sorgfältig ausgeleuchtet und die begangenen Verbrechen haben eine Auswirkung auf die sie umgebende Welt.
Dabei hilft die Grausamkeit des zentralen Verbrechens, das am Anfang der folgenden Kettenreaktion steht, eine ernsthafte und von Tragik geprägte Atmosphäre zu schaffen, die von Kamera, Musik und einer guten Regie nahezu durchgehend aufrecht gehalten wird. So erweist sich „My Dear Killer" als durchaus solide Mischung aus Giallo und klassischem Whodunit, die vollkommen zu unrecht hierzulande ein Nischendasein fristet und der es allenfalls an den besonderen und verspielten Momenten mangelt, für die man das Genre und das italienische Kino eben so liebt.