Review

Joe Berlinger hat in seinem bisherigen Schaffen eher einen zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlassen. Gerade mit „Some Kind of Monster" von 2003, in dem Metallica wie eine Gruppe intellektuell stark eingeschränkter aber dafür umso selbstzentrierterer Heulsusen rüberkommen (und wohl auch sind), hat er eine ganz schöne Hypothek im Gepäck. Der Film war einfach peinlich.


„Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile" von 2019 ließ neben dem sperrigen Titel auch zunächst nichts Gutes erwarten. Immerhin sind sämtliche Filme zu realen Serienmördern oft schnell runtergekurbelte Langweiler auf TV-Niveau, die sich einfach auf die Berühmtheit ihrer zentralen Figuren verlassen. 
Das potentielle Publikum für solche Filme, zumindest so wie ich es mir vorstelle, ist mir von vornherein eher unsympathisch. Alleinstehende, Pralinen fressende Katzenfrauen, die gerne Thriller mit Titeln wie „Der vergewaltigende Neugeborenenzerstückler zerbricht deine Seele im dunklen Keller" lesen. Sensationsgeilheit ist ja gewissermaßen das Lebenselixier für das Genre des auf wahren Begebenheiten beruhenden Serienmörderfilms. 

Wenn eingeblendet wird „Die folgende Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten", ziehen sich meine Mundwinkel jedenfalls automatisch nach unten. 


Nun, trotz dieser schlechten Vorzeichen, oder vielleicht auch gerade wegen eben dieser schlechten Vorzeichen, hat mir Berlingers Film sehr gut gefallen. Das liegt an einer versierten Inszenierung, die über den gesamten Film einen Eindruck der jeweiligen Zeit, hauptsächlich die Siebziger, vermitteln kann. Dann haben wir noch ein Drehbuch, das es aktiv vermeiden will, Sensationsgier und Voyeurismus zu bedienen und stattdessen die Beziehungen zwischen Ted Bundy und seiner Freundin und dem vermutlichen Serienmörder und der Öffentlichkeit ins Zentrum der Erzählung stellt. Im Klartext: Man sieht nicht einen Mord. Und das ist eine Wohltat, denn die brutale Vorgehensweise Bundys hätte es durchaus zugelassen, Schocks in den Film einzubauen. 

Wenn man aber weiß, wie grausam Bundys Verbrechen waren, auf die immer wieder im Film hingewiesen wird, dann entsteht das Grauen ganz besonders in den Szenen, in denen wir einen Mann sehen, der niemals den Anflug eines Gewissens zeigt, seine Freundin charmant um den Finger wickelt, sich vorgeblich liebevoll um ihre Tochter kümmert und unbeirrt der Presse, seinen Nächsten und den Richtern gegenüber seine vollkommene Unschuld beteuert. Unbestreitbar: Von der Figur Ted Bundy geht eine Faszination aus. Die aufgesetzte Souveränität, diese affektierte Art, mit Menschen zu kommunizieren - Amerika liebte wohl keinen Serienmörder mehr als diesen Mann. Und diesem verdrehten Verhältnis möchte Berlinger hier auf den Grund gehen. Dies tut er eher mit einem eingeschränkten Blick, denn die Frage, wie es zu so vielen Morden kommen konnte, wird dabei an den Rand gedrängt. Die überforderten Ermittler, die einen Mann nicht ausfindig machen konnten, dessen Auto, Aussehen und Vorname von Augenzeugen beschrieben und benannt werden konnte, spielen kaum eine Rolle. Diese kriminalhistorische Perspektive wäre zwar von Interesse, würde aber von dem Blick auf das unmittelbare Umfeld Bundys ablenken, das sich durch Ungläubigkeit offenbar auch bereitwillig manipulieren ließ. Der Zwang der zentralen Figur, jede Situation beherrschen zu müssen, Wahrheiten zu kreieren und die Realität konsequent von sich fernzuhalten, rückt in den Mittelpunkt des Films, wodurch eine hohe Konzentration erreicht wird.


Zac Efron zu besetzen, scheint im Vorfeld für Aufsehen gesorgt zu haben, was mit Blick auf seine vorigen Rollen zu erklären ist. Everybody`s Darling aus dem Disney-Schleim-Kosmos als Frauenschlächter? Ich habe keine Filme mit Efron gesehen und kann ihn von daher wohl unvoreingenommen beurteilen. Mich hat diese Vorstellung beeindruckt. Er schafft es, diese triebhafte Art, permanent seine Umwelt täuschen zu müssen, sich seinen Taten nicht selbst stellen zu können, diesen Teil seiner Persönlichkeit zu verdrängen und die durchaus bewusste Wahrheit zu verdrehen, bis man gegen eine Wand läuft, nur um einfach über diese Wand zu klettern und nach weiteren Wegen zu suchen, in seinem Spiel nachvollziehbar und greifbar werden zu lassen. Er passt sehr gut in diese Rolle. Wie zwischendurch dieser Hauch von Brutalität und Wahnsinn durchkommt, ist schon beeindruckend. Der allerorts gehypte Lars Eidinger wäre zwar rein optisch die bessere Wahl für die Rolle des Ted Bundy gewesen, aber man erkennt sofort das Problem dieser Aussage...

Lily Collins als zuckersüße Freundin, die zwar zweifelt, aber eben doch dem Charme des Mörders verfallen ist und bei wachsender Gewissheit an der Situation zu zerbrechen droht, wickelt den Zuschauer schnell um den Finger. Die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren als Dreh- und Angelpunkt seines Films festzulegen, war eine kluge Entscheidung Berlingers und der finale Dialog zwischen den beiden, der sich der ebenfalls von Berlinger gedrehten Dokumentation und somit den Fakten gegenüber eine große Freiheit nimmt, ist dann auch das passend dramatische Finale einer Geschichte, die so viele unglaubliche Kapitel enthält, dass ein Drehbuchautor sich nie getraut hätte, diese zu Papier zu bringen.


Das Scheitern der ermittelnden Behörden, der zweimalige (!) Ausbruch des Mörders, die Ehelichung während des Hauptprozesses: Die Geschichte ist wirklich unglaublich. Und wenn man John Malkovich als Richter sieht und sich fragt, wie der so selbstherrlich, teilweise anbiedernd und sich bereitwillig auf das von Bundy inszenierte Theater einlassend auf diese Weise über einen solchen Täter sprechen kann, dann würde man sich bei den Originalaufnahmen noch mehr wundern. Berlinger hält sich da vornehm zurück. Fast schon beeindruckend, wie klar er seinen Film aussteuert und sich nicht von all den geltungssüchtigen Figuren vom Weg abbringen lässt, die das Rampenlicht des Falls zur Selbstdarstellung nutzen wollten. 



Fazit

Unter den auf realen Kriminalfällen beruhenden Filmen rund um das Thema Serienmörder ist „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile" eine angenehme Ausnahme, weil es sich tatsächlich um einen guten Film handelt. Eine ruhige Regie, gute Darstellerleistungen und ein Fokus auf eine extrem spannende Frage machen den Film aus: Wie konnte dieser Mann so viel Unheil anrichten?

Berlinger vermeidet billige Psychologisierungen, plumpe Schockeffekte und konzentriert sich auf das Spiel von Schein und Sein der Hauptfigur. Manch einer mag das langweilig finden. Ich finde das spannender als alle bisherigen Verwurstungen der Geschichten von Bundy, Gacy und Dahmer zusammen. Und gewissermaßen kann man darin auch eine Allegorie auf den momentanen Zustand der USA sehen, in dem "alternative Wahrheiten", die man einfach nur oft genug wiederholt, durchaus zielführend sein können, indem sie einfach irgendwann geglaubt werden. Letztlich hätte immer die Möglichkeit bestanden, dass eine Jury Zweifel an der Schuld Bundys gehabt hätte. 

Wer mehr auf das Grauen der Taten und die dramatischen Ermittlungen in dem Fall aus ist, kann sich ja Berlingers mehrteilige Dokumentation ansehen, die in ihrem Wesen zwar wesentlich mehr auf die Sensation setzt, jedoch auch interessante Fragen aufgreift. So wird dort auch die Selbstverständlichkeit der Frau als Opfer thematisiert. Ganz offensichtlich wurden/werden verschwundene Frauen in unseren Gesellschaften zwar sehr wohl bedauert aber ebenso auch eingepreist. Anders wäre das damalige Geschehen schlichtweg nicht möglich gewesen. 

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