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Die vierte Wand war gestern

Ich weiß nicht, ob der erste Film der Serie "Black Mirror" die Wartezeit auf die fünfte Staffel der visionären Netflix-Serie verkürzt oder gar einst als erste Episode dieser geplant war. Ein Meilenstein für die Unterhaltungsbranche könnte er aber so oder so sein. Richtungsweisend, verzwirbelt, düster und gemein - "Bandersnatch" bringt den interaktiven Film zurück ins Spiel und auf ein ganz anderes Level als damals im CD-ROM-Zeitalter oder auch bei Videospielen. Ein Event, das entweder sang- und klanglos als Spielerei untergehen oder riesige Wellen Richtung Zukunft schlagen wird. Ich tendiere eindeutig zu Letzterem, auch wenn "Bandersnatch" noch nicht wirklich perfekt ist, mehr drin gewesen wäre und ich ihn eher als Testlauf ansehe. Immerhin ein äußerst faszinierender und erfolgreicher. Damit haben Netflix und "Black Mirror" etwas gewagt und für mich gewonnen. Meta wird neu definiert. Eindringlich und spektakulär.

Es geht um einen jungen, unabhängigen Spieleentwickler in den 80ern, der während der Entwicklung des titelgebenden Games spürt, dass es nicht er selbst ist, der die Entscheidungen trifft... und genau dort, kommen wir als Zuschauer ins Spiel und ans Steuer. Wir treffen in Echtzeit mittels Fernbedienung, Mouse oder Controller die Entscheidungen für den verwirrten Mann, dessen Leben so immer weiter Richtung Alptraum kreiselt. Zuerst wählen wir für ihn nur zwischen Frosties und Sugar Puffs oder den Alben, die er hören will, soll, muss. Doch im Laufe der Zeit werden die Entscheidungen natürlich heftiger und lebensentscheidender, was zu etlichen Ausgängen der Geschichte führen kann... Ein Konzept, dass nicht ganz neu ist, dass es jedoch auf diesem Level - emotional, storytechnisch, audiovisuell, ethisch - so noch nicht gegeben hat. Das fesselt, schockiert und macht neugierig, erhöht den Wiederspielwert und setzt komplett neue, ungewohnte Reize. Die durchaus auch mal auf die Psyche schlagen können. Zumindest bei ungeübten Guckern oder besser gesagt Spielern.

Wenn wir den Protagonisten später damit konfrontieren, dass wir ihn auf Netflix kontrollieren, ist das definitiv ein Moment, den man nicht allzu schnell vergisst. Die Geschichte an sich ist eher auf Videospielniveau, das Ziel ist es eigentlich nur die Produktion des Videospiels im Film (möglichst erfolgreich) zu beenden, doch dafür brillieren Idee, Umsetzung und auch Darsteller. Anfangs gibt es noch einige Wow-Momente und man ertappt sich ein ums andere Mal beim Geflashtsein, doch hintenraus kann sich das Ganze auch etwas ziehen oder sogar nerven. Gerade, wenn man möglichst viele der Enden sehen möchte und durch einige Passagen mehrfach geschickt wird. Als Entschädigung gibt es wirklich witzige bis düstere Finalvarianten. Vom überraschenden Kung Fu-Kampf mit der Psychiaterin bis hin zur nochmaligen Steigerung des Meta-Aspekts wenn man einen Einblick in die Produktion dieser Folge bekommt oder auf einmal der Regisseur dem Darsteller erklärt, dass er den falschen Weg gewählt hat. Nachdenken, in wie weit wir alle selbstbestimmt handeln oder ob die Matrix nicht schon längst real ist, über Paralleluniversen und Konsequenzen, das tut man eh schon automatisch. Und das ist man von "Black Mirror" ja auch gewohnt. Dass die dunkle Hand dieser oft bedrückenden Serie aber so nah zu dir kommt, aus dem Fernseher quasi nach dir greift - das ist neu. Und aufregend. Und beunruhigend zugleich.

Fazit: innovativ, interaktiv, intelligent - der erste Langfilm im Black Mirror-Universum hat es in sich und zieht einen ins Geschehen, wie noch nie ein Film zuvor. Ein Hybrid aus Film und Videospiel und Mindfuck, der einen mitnimmt und länger beschäftigt, als einem lieb ist. In mehrfachem Sinne. 

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