Review

Staffel 1

Average Killer Joe

Antihelden gibt’s im goldenen Alter der TV-Serien nicht wenige - von Don Draper bis Walther White, von Ragnar Lothbrock bis Raymond Reddington, von Dexter Morgan bis Tyrion Lannister. Doch selten wurde das Konzept derart gedehnt, an und über seine Grenzen gebracht und vielleicht sogar ad absurdum geführt, wie im Netflix-Überraschungshit „You“, in dem wir einem mysteriösen, attraktiven, unsterblich verliebten Buchhändler in New York dabei zusehen, wie er sich seine Traumfrauen angelt. So weit, so gut und normal. Mit einem riesigen Problem: dieser „nette Joe von nebenan“ ist dabei nicht nur ein wenig creepy, er stalkt und plant sich in das Leben seiner Angebeteten, er geht dabei auch über Leichen und entpuppt sich schnell als einer der größten, zwiespältigsten Psychopathen, den die Fernsehlandschaft seit langem gebären durfte und den es als Protagonist und „Held“ der Geschichte erst einmal zu akzeptieren gilt...

Warum ich bei „You“ immer öfters zwischen Geniestreich und Hochglanz-Trash hin- und hergerissen war?

HEISS
+ Fincher trifft auf Fifty Shades?!
+ mehr als nur ein weiterer Antiheld, was zu ungewohnten moralischen und menschlichen Konflikten und Gedanken in einem führt
+ coole New York-Serie
+ Hauptdarsteller Penn Badgley spielt hervorragend die Mischung aus charmant und beängstigend 
+ düsterer, hochwertiger Style
+ sehr hoher Sucht- und „Ich-will-wissen-wie-es-weitergeht!“-Faktor
+ Entertainment immer stark gegeben
+ einige fiese, nachvollziehbare Schellen - an die Upper Class des Big Apples bis zur Generation Z
+ soziale Medien kriegen ihr Fett weg 
+ wirkt sehr modern/am Zahn der Zeit 
+ zeigt die Gefahren des „gläsernen Menschen“ enorm auf
+ heiße Sexszenen
+ ist sich nicht zu fein, sich dreckig zu machen; sogar brutal in fies stellenweise
+ hat definitiv Spaß an Boshaftigkeit
+ Logiklöcher bleiben nie allzu lange im Gedächtnis
+ massiv kurzweilig
+ viele hübsche Menschen; „leicht auf den Augen“
+ (Anti-)Happy Ending?
+ nicer, passender Score
+ etliche WTF?!-Momente
+ ziemlich geniales Konzept 
+ Guilty Pleasure-Qualitäten
+ unschlagbar involvierend 
+ leicht satirisch; oft fordernd 
+ immer für eine Überraschung gut 
+ trifft irgendwie den Nerv der Zeit erschreckend gut (*dark times indeed*)
+ RomCom-Gegengift?! Horror-/Psychothriller-Vibes?!?
+ Privatsphären-Schocker
+ oft genug messerscharf geschrieben
+ Blick in den Kopf eines Psychopathen sehr unangenehm und interessant zugleich
+ sogar „Maniac“-Vibes?!
+ Finale macht Lust auf mehr
+ hält der Welt in gewisser Weise einen Spiegel vor

SCHEISS
— einige seltsame „Zufälle“ und Logiklöcher
— definitiv trashige und etwas „dumme“ Züge
— wie ein Autounfall, bei dem es schwer ist, wegzugucken 
— man muss mit bösen Menschen zurecht kommen; für manche wohl deutliche Identifikationsprobleme
— tiefschwarzer Humor schadet ebenfalls nicht 
— womöglich in vielerlei Hinsicht problematisch 
— zu wenig Rückblenden/Infos zu Joes Vergangenheit (Potenzial für nächste Staffel?)
— oft gefühlt ein wenig „too cool for school“
— viele Buch-Jokes - die ich als Nichtleser nur selten checke^^
— NYC kann als Schauplatz ein wenig eintönig werden 
— Nebenfiguren oft eher Klischees, Parodien und Skizzen als ausgezeichnete Charaktere
 
Fazit: das Anti-Helden-Konzept in den Wahnsinn getrieben - leicht trashig, aber höllisch unterhaltsam! Super spannender Stalker-Serien-Suchtie. Ein neuer König der falschen Selbsteinschätzung. Tip Top. (8/10)

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