Review

Der Engel und das Arschlochkind

„Ich will meine Familie zurückhaben! Ich will, dass alles so wird wie früher!“

Für seine Weihnachtsfernsehfilmreihe „Magische Momente“ produzierte das ZDF die im Jahre 2018 erstausgestrahlte Fantasy-Familienkomödie „Pauls Weihnachtswunsch“, die von Regisseurin Vivian Naefe („Die wilden Hühner“) inszeniert wurde.

„Ich will kein Geschwisterchen, ich will nach Hause!“

Paul (Jeremy Miliker, „Die beste aller Welten“) ist neun Jahre jung – und frustriert: Seine Eltern Maya (Petra Schmidt-Schaller, „Stereo“) und Matz (Matthias Koeberlin, „Die Toten vom Bodensee“) haben sich getrennt, vier Wochen vor Weihnachten zieht er mit seiner Mutter um und soll nun zusammen mit deren neuem Freund Julius (Axel Stein, „Feuer, Eis & Dosenbier“) und dessen Teenie-Tochter Lily (Nele Trebs, „Dark“) eine Patchwork-Familie in einer Berliner Wohnung bilden. Zu allem Überfluss erwartet seine Mutter auch noch ein Kind von Julius. Doch womit Paul nicht gerechnet hat: Der riesige Holzengel, den seine Mutter, eine Künstlerin, modelliert hat und dem ein Flügel fehlt, verleiht ihm magische Kräfte! Er kann nun durch massive Wände gehen, was er, erst einmal vertraut mit seinen neuen Fähigkeiten, dazu nutzt, um seine Familie mittels Streichen in den Wahnsinn zu treiben sowie Maya und Julius auseinanderzubringen…

„Hat dich der wilde Watz gebissen?!“

Naefe eröffnet ihren Film mit dem Umzug; Paul kommentiert die Ereignisse aus dem Off im Präteritum. Eine Rückblende setzt zwölf Monate vorher ein und zeigt, wie Maya und Julius sich kennenlernen, Pauls Eltern sich trennen, die Gütertrennung voll- und schließlich auseinanderziehen. Zurück in der Gegenwart verabschiedet sich Paul von seinem Vater. Nun sind es vier Wochen vor Weihnachten und Paul passt das alles gar nicht. Der Missmut des Jungen ist nachvollziehbar, wenngleich Maya und Julius keine Unmenschen sind und viel Geduld mit ihm haben. Dadurch kristallisiert sich heraus, dass Autorin Silke Zertz hier nicht die altbekannte Geschichte von der sich in ihrem neuen Liebhaber irrenden Mutter aufwärmt, die kein Gespür für die Sorgen und Nöte ihres Nachwuchses hat, von diesem nach einer Zuspitzung der Ereignisse, in deren Zuge sich „der Neue“ als Wolf im Schafspelz entpuppt, aber wieder auf den rechten Weg gebracht wird. Im Gegenteil: Die Trennung seiner Eltern ist nachvollziehbar und Julius ein sympathischer Mann, der sicherlich auch einen guten Stiefpapa abgäbe, wenn man ihn nur ließe. Damit zeigt sich „Pauls Weihnachtswunsch“ in der Realität verwurzelt.

Alles andere als realitätsnah hingegen ist – natürlich – das phantastische Element des Films, das Paul, noch nichts davon ahnend, zunächst einmal durch die Zimmerwand auf die Markise des Ladengeschäfts unter seiner Wohnung plumpsen lässt. Pfusch am Bau? Nein, eine Superkraft, mithilfe derer er Weihnachtsgeschenke entdeckt und seine „Bonusschwester“ Lily ausspioniert. Bei der älteren Nachbarin Elfriede (Annekathrin Bürger, „Polizeiruf 110: Das Duell“) springt er versehentlich in die Badewanne. Als habe sie so etwas kommen sehen, badete die schamerfüllte Dame im Badeanzug… Schnell findet Paul fragwürdigen Spaß daran, seinen Mitmenschen Streiche zu spielen, die immer böser werden, wobei sein Hauptopfer „Bonusschwester“ Lily ist. Er manipuliert seine Klassenarbeit und vertraut sich als einzigem dem Spätiverkäufer Kofi (Jerry Hoffmann, „Heil“) an.

Der Lausebengel sorgt überall für Zwietracht und Chaos und entpuppt sich als ein waschechtes Arschlochkind, dem man richtiggehend wünscht, dass es endlich entlarvt wird. Viele Tränen fließen und die Beziehung zwischen Maya und Julius kriselt. Nachdem Paul auch noch beim Stehlen erwischt wurde, gibt er seiner Mutter gegenüber endlich alles zu. Nun soll der Engel weggeschafft werden, was Paul zu verhindert versucht. Doch als Maya sein kleines Geschwisterchen gebiert, kann er seine Superkraft endlich einmal sinnvoll einsetzen. Dies bringt alle ganz im Geiste der Weihnacht zusammen und man feiert das Fest und die Geburt gemeinsam, woraufhin Paul seine besondere Fähigkeit wieder verliert.

Dieses Happy End, das Paul wieder aus dem Off kommentiert, will nicht so ganz passen, hat man doch das Gefühl, dass dadurch mitnichten alles wieder gut sein und man zur Tagesordnung übergehen könne – zu viel Unheil hat der Rotzlöffel dafür angerichtet, von Jeremy Miliker zudem in einer befremdlich egoistisch und empathielos anmutenden Nonchalance gespielt. Vielleicht ist „Pauls Weihnachtswunsch“ in seiner Aggressivität für Scheidungskinder erbauend; für alle um Harmonie bemühten Patchwork-Eltern- und -Geschwisterteile jedoch dürfte Naefes Film nicht so recht funktionieren.

Punkten kann „Pauls Weihnachtswunsch“ indes mit den schauspielerischen Leistungen quasi aller, die um Paul herum agieren, mit der grundsätzlich reizvollen Idee, einmal sprichwörtlich (nicht nur) mit dem Kopf durch die Wand zu können, und damit, dass er auch seine erwachsenen Figuren ernstnimmt, statt sie zu naiven oder einfältigen Karikaturen zu degradieren.

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