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Tatort: Wir kriegen euch alle

Batic/Leitmayr (Miroslav Nemec/Udo Wachtveitl) und kein Ende: Der 80. Fall des Münchener Ermittlerduos entstand unter der Regie Sven Bohses – nach „Borowski und das Land zwischen den Meeren“ sein zweiter Beitrag zur Krimireihe – nach einem Drehbuch Michael Proehls und Michael Comtesses und wurde am ersten Advent 2018 erstausgestrahlt. Achtung: Diese Kritik enthält Spoiler.

Die Kommissare sehen sich mit einem grausamen Verbrechen konfrontiert: Die Eltern der kleinen Lena (Romy Seitz) wurden in ihrer Villa ermordet und verstümmelt. Dem Vater wurden die Genitalien abgetrennt und mit Blut die Drohung „Wir kriegen euch alle“ an die Wand geschrieben. Lena wiederum war betäubt und in den Garten gesetzt worden. Diese hatte, wie auch die Bilder der Überwachungskamera belegen, einem Mann im Weihnachtsmannkostüm nachts die Tür geöffnet, nachdem sie jemand über ihre sprechende Smart-Puppe Senta darum gebeten hatte. Lenas Vater stand im Verdacht, seine Tochter zu missbrauchen, ihre Mutter, tatenlos zuzusehen. Die Ermittlungen führen deshalb zunächst zu einer Selbsthilfegruppe für männliche Missbrauchsopfer, in die sich Batic unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einschleust. Zum engsten Kreis Verdächtiger zählt schnell das erwachsene Missbrauchsopfer Hasko (Leonard Carow, „Kaltfront“), dem die Kripo nun auf die Pelle rückt. Jedoch bestehen berechtigte Zweifel, dass er der alleinige Täter ist…

Früher gruselte man sich vor sprechenden, allzu menschlichen Puppen, heute holen sich Kinder respektive deren Eltern solche Exemplare in Form moderner Superwanzen, die die Gespräche der Kinder mit ihnen „in der Cloud“ speichern und die zudem derart hackbar sind, dass Dritte die Kommunikation steuern können, freiwillig ins Haus. U.a. vor dem allzu laxen Umgang mit derartigen Gadgets möchte dieser „Tatort“ warnen, wobei der Verkauf solcher Puppen in Deutschland mittlerweile untersagt ist. Das wissen auch die Täter dieser Episode und lassen sich die Geräte aus Österreich importieren. Mit seinem Weihnachtsmann-Motiv passt dieser Fall gut zum ersten Advent, sollte man meinen. Er spielt jedoch in der warmen Jahreszeit, dennoch scheint sich keines der Kinder über den Besuch des Weihnachtsmanns zu wundern. Das „Tatort“-Publikum umso mehr, das zumindest die in bester Horrormanier inszenierten Sequenzen um Sprechpuppe und nächtlichen Mörderbesuch genießen und wohligen Schauer empfinden darf.

Parallel lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer eine weitere vermögende Familie kennen, deren jüngster Spross (Lilly Walleshauser) mutmaßlich vom Familienoberhaupt (Stephan Schad, „Die Lüge“) missbraucht wird. Der über seinen bzw. mit seinem Sohn Louis im jungen Erwachsenenalter (Jannik Schümann, „Homevideo“) höchst abfällig redende Karrierist wird als echter Kotzbrocken charakterisiert, dem man alles zutraut. Den Lebenswandel seines Filius empfindet er als Familienschande und als dieser bekanntgibt, das ostasiatische Au-Pair-Mädchen Maggie (Yun Huang) ehelichen zu wollen, ist endgültig der Ofen aus. Abseits dieses Erzählstrangs verhält sich der verdächtige Hasko reichlich (und unrealistisch) dumm, wenn er erahnt, dass er in einer U-Bahn-Station observiert und verfolgt wird, jedoch eine abonnierte Zeitschrift samt Adressaufkleber im öffentlichen Mülleimer entsorgt. Die Bayernbullen wiederum überschreiten ihre Kompetenzen, dringen ohne Genehmigung in fremde Wohnungen ein, schlagen um sich und sperren einen Klaustrophobiker in eine Zelle, bis dieser sich in Panik den Kopf aufschlägt – jeweils ohne, dass das Drehbuch die Polizeigewalt problematisieren würde. Da mutet es beinahe wie eine sicherheitswahrende Maßnahme an, wenn Batic in einen Keller gesperrt und damit eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt wird.

Anstatt zu Selbstjustiz motivierendem Versagen von Prävention, Kinder-/Jugendschutz und Justiz zu thematisieren oder auch es schlicht bei dieser Konstellation zu belassen, die Täter zu überführen und gleichzeitig das nächste Kind vor weiterem Missbrauch zu bewahren, schlägt das Drehbuch Kapriolen und entspinnt eine hanebüchene Wendung, in der Louis‘ Charakter sich um 180° dreht und er die Mörder per falschem Missbrauchsvorwurf instrumentalisiert, um seinen Vater und dessen Gespielin loszuwerden. Die gezeigte Selbstjustiz wird demnach insofern verurteilt, als man darstellt, wie sie infolge eines Rufmords aus egoistischen Motiven fehlgeleitet wird. Damit umschifft man die eigenen eingangs aufgeworfenen Fragen nach Rache und Genugtuung: Kann eine böse Tat durch eine weitere böse Tat gesühnt werden? Einigen gelungenen, stark symbolschwangeren Szenen wie der des Regenschirms am Ende zum Trotz ist dieser „Tatort“ eine ziemlich dünne Suppe geworden, deren Zutaten nur leidlich zueinander passen wollen und der sich ums eigentliche Thema drückt. Was (hoffentlich) bleibt, ist ein gesteigertes Bewusstsein für die Gefahren sog. Smart-Gadgets.

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