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Ein Film, der im Zeitalter der Fake News merkwürdig aktuell scheint. Die Geschichte von einer Gruppe Reporter, die mangels aufregender Erlebnisse ihre Sensationen selber erfinden, erinnert heutzutage nicht von ungefähr an Gestalten wie Gerd Heidemann (den “Entdecker“ von Hitlers Tagebüchern) oder Claas Relotius, den Journalisten, von dem 2018 bekannt wurde, dass ein guter Teil seiner Reportagen erfunden ist. Klar, weder Heidemann noch Relotius haben Menschen getötet oder ihnen geschadet, aber es stellt sich halt schon die Frage, wo denn die Grenze ist. Im September 2001 sind Kameraaufnahmen von palästinensischen Kindern um die Welt gegangen, die sich über den Einsturz des World Trade Centers gefreut haben. Erst später wurde bekannt, dass die Reporter den Kindern Bonbons gaben, die Freude der Kinder aufnahmen, und mit einem schrecklichen Hintergrund beluden. Wie weit ist da der Weg zum inszenierten Angriff eines Stammes sogenannter Wilder auf ein Dorf von sogenannten friedlichen Ureinwohnern?

Wie gesagt, im Zeitalter der Fake News ist ein solches Aufladen von Bildern nichts Ungewöhnliches mehr. Wie oft sehen wir schreckliche Bilder aktueller Ereignisse, nur um hinterher zu erfahren, dass diese Bilder mitnichten aktuell sondern bereits mehrere Jahre alt sind, und an ganz anderen Stellen der Welt aufgenommen wurden? Und wenn morgen ein mutiges Reporterteam kommt, und uns die grausamen Bilder einer gepfählten Indianerin als schreckliche Geschichte einer Stammesfehde verkauft, dann möge derjenige vortreten, der an dieser Geschichte zweifelt …

Zwei Dinge kann man Ruggero Deodato vorwerfen: Zum einen den Tiersnuff, der völlig überflüssig und unnötig grausam ist. Film ist bekanntlich die Kunst der Illusion (auch wenn ich mit dieser Aussage im Grunde genommen den ersten Absatz ad absurdum führe), und es wäre sicherlich problemlos möglich gewesen, diese Szenen zu stellen oder so zu inszenieren, dass sie im Kopf des Zuschauers ablaufen anstatt vor seinen Augen, ohne die Charakterisierung der skrupellosen Reporter zu verfälschen. Ein Vorwurf, dem Deodato immer zu begegnen hat, und der aus heutiger Sicht, mit dem Wissen um die leidende Natur, noch viel schwerer wiegt.
Und zum anderen kann man ihm vorwerfen, dass er seine inhaltlich erstklassige und starke Geschichte mit so viel brutalen und bestialischen Bildern garniert, dass der „normale“ Zuschauer dieses Films sich entweder angewidert abwendet, oder von vornherein gar nicht erst zuschaut. Diejenigen Menschen, die dieser Film auf inhaltlicher Ebene erreichen sollte, also alle die, die an die Unbestechlichkeit der medialen Meldung und der Social Medias glauben, diejenigen werden so leider nicht erreicht. Dabei wäre es heute noch viel wichtiger als damals zu zeigen, wie Nachrichten entstehen (können). Wie Bilder entstehen (können). Wie Meinungen gemacht werden. Und wie wichtig es ist, das Gesehene und Gehörte zu hinterfragen. Um Alan Yates und seinen Leuten irgendwann einmal den Garaus zu machen, denn diese sogenannten Reporter gibt es auch heute noch. Sie liefern ihre Neuigkeiten bei Breitbart ab, bei FFD und bei Info-Direkt. Und die Resultate dieser Neuigkeiten sind dann unter Umständen genauso grauenhaft wie das, was wir in diesem aufwühlenden Film sehen.

40 Jahre ist der Film zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Texts alt, und er scheint um keinen Tag gealtert. CANNIBAL HOLOCAUST ist immer noch genauso schockierend und genauso wahr wie damals. Und er gibt auch immer noch Grund zum Fürchten …

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