Eine verwackelte Kamerafahrt über Urwald und braungefärbte Flussstraßen, harmonisch dazu erklingt eine ansprechende musikalische Begleitung. Einige Minuten später dann auch Blicke aus der Nähe: Üppige Vegetation und ein kleiner Auszug aus der Vielfalt des Tierreiches samt der markanten, dort anzutreffenden Akustik. Wieder einige Minuten später und wir sehen schließlich Professor Monroe, bewandert auf dem Gebiet der Anthropologie, wie er zusammen mit drei weiteren Begleitern durch das tropische Gestrüpp und Gehölz zieht - was hier vielleicht wie eine Dokumentation anmutet, gehört zu "Nackt und zerfleischt", dem wohl bekanntesten Vertreter des Kannibalenfilms. Professor Monroe ist im brasilianischen Dschungel nicht etwa auf Erkundungstour, sondern auf der Suche nach vermissten Dokumentarfilmern. Seine drei Begleiter im Detail: Zwei erfahrene Dschungelführer und ein gefangener mutmaßlicher Kannibale.
Die Story ist nun wesentlich in zwei Abschnitte gegliedert: Die erste Hälfte beschreibt die Suche Professor Monroes nach dem verschollenen Filmteam, die zweite hingegen veranschaulicht die Expedition und das Schicksal der Dokumentarfilmer durch deren Filmmaterial, das Monroe tatsächlich aufspürt. Solch einen unlinear aufgebauten Erzählstrang erwartet man bei einem Film mit dem deutschen Titel "Nackt und zerfleischt" nun nicht unbedingt, in dieser Hinsicht schon eine Überraschung. Ähnlich verhält es sich mit der simulierten Wirklichkeitsnähe. Die Kameraarbeit ist alles andere als statisch; semidokumentarisch werden nicht nur Landschaft und Tierreich, sondern ebenso die eigentlichen Expeditionen eingefangen. Das von Monroe aufgespürte Filmmaterial der Dokumentarfilmer wurde zudem mit der Handkamera gedreht - Jahre später arbeitete man beim "Blair Witch Project" ja mit gleichen Mitteln - und künstlich mit kleinen Rissen und Verschmutzungen ausgeschmückt. Dadurch wird der Realismusfaktor natürlich sehr hoch geschraubt.
Ausgesprochen ungewöhnlich und überraschend erscheint weiterhin der gewisse Seriositätsgrad, die Auseinandersetzung mit einem wesentlichen, zeitlosen Thema: Dem manipulativen Sensationsjournalismus. Zum einen wenden die Dokumentarfilmer rücksichtslose, primitive Mittel an - so setzen sie beispielsweise ein ganzes Dorf der Eingeborenen in Brand -, um eine möglichst spannende und aufregende Dokumentation zu kreieren, und zum anderen beabsichtigt ein TV-Sender ursprünglich, das Filmmaterial zusammenzuschneiden und zu senden. Der menschliche Voyeurismus und das keineswegs adäquate Verhalten der vermeintlich zivilisierten Welt werden dabei sekundär ebenfalls angeschnitten. Inhaltlich beweist "Cannibal Holocaust" also, dass er keinesfalls so leer ist, wie vielleicht angenommen.
Und auch eine Schockwirkung versteht der Film durchaus zu erzielen. Während die erste Hälfte in ihrer Gewaltdarstellung noch vergleichsweise gemäßigt in Erscheinung tritt, wirken die letzten Bilder des Filmteams regelrecht surreal verstörend. Der Anteil an exzessiver Gewalt hält sich allerdings entgegen des reißerischen Titels und dem allgemeinen Ruf des Werkes noch in Grenzen. Was jedoch insgesamt einen Schnitt ins eigene Fleisch darstellt und an der Glaubwürdigkeit der Intentionen Ruggero Deodatos berechtigt zweifeln lässt, ist ohne Frage der Tier-Snuff. Eine reine Perversion ist das exzessiv-zelebrierte Schlachten und Ausweiden einer Schildkröte. Selbst letzte Zuckungen des Tieres werden da nicht weggeblendet und regelrecht höhnisch zur Schau gestellt. Dieses Vorgehen erscheint absolut diskrepant, wenn man mit seiner Intention den menschlichen Voyeurismus anzuprangern versucht. Nicht viel anders verhält es sich da mit den in ihrem Auftreten doch sehr ausufernden Vergewaltigungsszenen.
Eine Bewertung fällt daher auch schwer. Die Darsteller sind für Genre-Verhältnisse überzeugend, die Akustik ausgezeichnet und die Bilder passend zur Thematik sehr dokumentarisch und wirkungsschwanger. Eine kritische Aussage ist ebenfalls gegeben, dennoch bleiben einige Szenen moralisch äußerst fragwürdig. Die Tiertötungen sind selbst im Kontext weitgehend überflüssig und dann noch lebendige Tiere dafür zu opfern und in dieser ausschweifenden Form nur für die Kamera abzuschlachten, ist verwerflich und ein deutlich zu hoher Preis für Authentizität.