"Cannibal Holocaust" berichtet, erzähltechnisch recht geschickt, von zwei Expeditionen zu südamerikanischen Eingeborenenstämmen, den Yacumo, den Yanomamo, und den Sawatari (laut meiner Erinnerung... keine Garantie für die richtige Schreibung dieser Namen.) Die Yacumo sind die "zivilisierteste" von diesen ethnischen Gruppierungen, da die anderen beiden Kannibalen sind. Die Expedition von Ethnologie-Professor Munro und einigen Begleitern sucht nach Spuren einer vorhergehenden Expedition (die eine Brücke zwischen den beiden Gipfeln des Kilimandscharo spannen wollte, nein, halt, das war was anderes...) vierer Filmreporter und ihres Führers. Munro und seine Leute können sich profundes Wissen über "primitive" Kulturen, die Kniffe eines erfahrenen Dschungelführers sowie eine gewisse Offenheit gegenüber den Eingeborenen zunutze machen. So dringen sie schließlich bis zu den Kannibalen vor und finden dort die Überreste der vier Journalisten nebst deren glücklicherweise erhaltenem Filmmaterial. Gegen Geschenke erreichen sie, dass sie dieses mitnehmen können, und wieder in New York angekommen, macht sich Munro mit einigen Fernsehbonzen an die Auswertung. Es zeigt sich, dass sich die vier Reporter auf ihrer Reise wie der letzte Dreck benommen haben, und so kommt es schließlich zur großen Endfrage - "...who the real cannibals are".
Wie ich schon auf anderen Filmseiten las und meinen Eindruck bestätigt fühlte, gehört der Film zu denen, die man sich ansieht wie einen Verkehrsunfall (diese Beschreibung geht auf eine derartige Äußerung zu Kubricks "Clockwork Orange" zurück) - man ist angeekelt und kann doch nicht wegsehen. Mit diesem Streifen, der ihm nicht nur mehr Berüchtigtheit als Berühmtheit sowie die Verachtung vieler und die Anerkennung weniger Zuschauer, sondern auch einen kurzen Knastaufenthalt einbrachte, schuf ein Mann mit dem klang- und salbungsvollen Namen Ruggero Deodato einen Klassiker des schmutzig-bösen Kinos, wie es wohl nur ein Italiener konnte. Später sollte die Stabführung filmischer Grausamkeit dann an die Japaner übergehen. "Cannibal Holocaust" ist durch seine weitgehend pseudo-authentische Machart rauh und intensiv wie kaum ein anderer Film - wer "Blair Witch Project" kennt und schätzt, kann sich vielleicht eine Vorstellung von der Stimmung der Handkamera-Szenen machen, die in CH zu sehen sind, abgesehen davon, dass in Deodatos Film eine Unzahl an Grausamkeiten dazukommt, die zur Entstehungszeit des Films beispiellos waren. Der Blick der zwischen Urwaldgehölz und Blätterdickicht hindurchlinsenden Kamera verliert sich in blutigen Gesichtern, Beinstümpfen und offenliegenden Eingeweiden. Wenn ein Spezialeffekt mal nicht so gut geworden ist, sind die Bilder geschickterweise so flüchtig aufgenommen, dass es im Nachhinein doch mehr oder weniger echt wirkt.
Handwerklich und effektetechnisch ist der Film gut gelungen. Die Darsteller leisten solide Arbeit und haben sich nicht vor extremen Szenen gescheut. Robert Kerman als Professor sticht etwas negativ hervor: Er wirkt zu zivilisiert, blass und langweilig. Man möchte nicht glauben, dass er auch in einigen Porno-Produktionen mitgewirkt hat. Die elfenhafte Francesca Ciardi, die nur in wenigen Filmen mitwirkte, ist als schwer einschätzbares Pendant zu den brutal-virilen übrigen Reportern hervorzuheben. Ihr Blick, nachdem die gepfählte Frau gefunden wurde, ist nicht leicht zu vergessen. Riz Ortolani, der in seiner Zusammenarbeit mit dem Schöpfer des Mondo-Genres Gualtiero Jacopetti das Zusammenspiel zwischen brutalen Aufnahmen und traumschöner Musik mustergültig mitgestaltete, hat hier eine mitreißende Musik beigesteuert, ohne den die Wirkung des Films nicht annähernd die gleiche wäre.
Im Vergleich zu seinen vielen Nachfolgern, die die Idee ausbeuteten (ganz im Sinne des Genrenamens "Exploitation") und ein billiges Geschäft daraus machten, ist CH nicht etwa unreflektiertes Kommerzkino. Vielmehr hat er eine Botschaft, nämlich eine harsche Medienkritik, die zwar mit dem Holzhammer daherkommt und fast so plakativ gezeichnet ist wie das ganze Gemetzel in diesem Film - die aber im Rahmen des filmischen Gesamtkonzeptes nicht einfach im Urwaldboden versickert, sondern den Zuschauer durchaus erreicht. Wenn der Reporter Alan Yates eine aufgespießte Frau vorfindet, darüber herzhaft grinst, bis jemand zu ihm sagt, er werde gefilmt und solle doch mal ein betroffenes Gesicht machen, wird mehr über die modernen Medien, ihre Sensationsgier sowie ihre selbstgefällige Pseudomoral ausgesagt, als in jeglicher Selbstbespiegelung der Branche, wie man sie so oft ertragen muss. Fragt sich, wie Deodato sich selbst in diesem Kontext sieht. Heute distanziert er sich von diesem Film, will jedoch angeblich in absehbarer Zeit einen Nachfolger vorlegen. Die amerikanische Firma "Grindhouse" hat eine mustergültige Veröffentlichung des Streifens vorgelegt, distanziert sich jedoch selbst im Prolog von den Inhalten des Films und ordnet sie als Zeitdokument einer "era of irresponsibility" ein. Man sieht, die Kette der fragwürdigen Distanzierungen ist lang und reicht bis zum geneigen Zuschauer selbst.
In einigen Momenten ist der Film auch reizend naiv. Das Zutrauen der Ureinwohner wird in erster Linie dadurch erreicht, dass sich die Expeditionsteilnehmer nackt ausziehen sowie später auch mal in eine herzhafte Portion rohes (Menschen-??)Fleisch beißen. Etwas seltsam wirkt vor allem die Szene, in der Professor Munro sich im Fluss wäscht und aus nicht recht klaren Gründen von einigen jungen Urwald-Damen fröhlich befummelt wird. Nicht reizend naiv, sondern ekelhaft sind die Szenen, in denen zappelnde Tiere vor einer gierig draufhaltenden Kamera abgestochen, geköpft oder ausgeweidet werden. Gerade diese Darstellungen hatten Vorbildwirkung auf die Nachfolgeprodukte. Es gibt neuerdings eine Version des Films ohne Tiertötungs-Sequenzen, aber diese Szenen sind nun mal für den Film gedreht worden und gehören hinein, man mag noch so angewidert sein wie Fay Daniels, eine junge Frau der ersten Expedition, die auf den Anblick einer geköpften und zerhackten Schildkröte hin erst mal kotzen geht. Auch das zeigt dieser Film. Man muss nur in diesem Kontext auch einmal sagen, dass auch im Nachmittagsprogramm zu sehende Dokumentationssendungen nicht vor derartigen Aufnahmen Halt machen, wenn in einem Urwalddorf mal wieder Fleisch hergestellt wird. Wer weiß schon, ob diese Szenen ohne Kamera auch genau in dieser Form stattgefunden hätten?
Das macht die Darstellungen des Films nicht besser. Die Tierschlachtungen dienen vor allem dazu, reale Gewalt zu zeigen. Auch ein zu Recht gefeierter Regisseur wie Francis Ford Coppola hat sich nicht gescheut, in "Apocalypse Now" eine Kuh bei lebendigem Leib vor seiner Kameralinse zerhacken zu lassen. Mit diesen unschönen Tatsachen der Filmgeschichte muss man zurechtkommen. Sie halten mich jedenfalls davon ab, dem Film 10 Punkte zu geben.
Ein erschreckendes, intensives Erlebnis ist er in jedem Fall und wird es wohl für einige Zeit auch bleiben.