Mahlzeit!
Kannibalismus ist umstritten, seine Existenz nachgewiesen nur ritueller Natur, oder als Mittel benutzt um Primitive so richtig primitiv ausschauen zu lassen, um deren Ausrottung zu rechtfertigen. Da wäre es doch eine Sensation, echte Kannibalen vor die Linse zu kriegen. Und so machen sich vier Reporter auf die Suche nach Kannibalen im Amazonasgebiet und kehren nicht mehr zurück. Eine Folgeexpedition unter der Leitung eines angesehenen Anthropologen soll die Ereignisse aufklären und die vier Journalisten ausfindig machen. Was der Anthropologe findet ist ein Kannibalenstamm, Leichen und die Aufnahmen der Reporter. Zurück in New York werden diese Aufnahmen ausgewertet...so weit so gut.
Ruggero Deodato legt mit Cannibal Holocaust sicherlich einen der besseren Kannibalenfilme vor. Besser, weil nicht nur peinlich, und weil mit einer interessanten Story versehen, die durchaus Spannung aufkommen lässt: Warum mussten die vier Reporter sterben? Warum nicht die Folgeexpedition? Welchen Fehler haben die Reporter begangen, dass sie im Kochtopf landen mussten (na ja nicht wirklich, denn die Eingeborenen sind natürlich sooo primitiv, dass sie die Weißen als Sushi, also roh verspeisen). War es ein unglücklicher Zufall wie der Tod des Captain Cook auf Hawaii? Die Auswertung des Filmmaterials demonstriert dann aber, wer die eigentlichen Primitiven waren, nämlich das sensationshungrige Filmteam. Um an Aufsehen erregende Aufnahmen zu gelangen dringen sie brutal in das Leben der Einheimischen ein, brandschatzen, vergewaltigen und töten, nur um dann mit gespielt betroffener Miene die eigenen Gräueltaten als das Werk der Primitiven darzustellen. Klar, dass das sich rächt.
Kaum zu glauben, Deodato serviert mit der Hauptspeise ein bisschen Zivilisationskritik als Beilage. Das ist zu begrüßen, aber wer soll das ernst nehmen, wenn (S)exploitation, Gore und Tier-Snuff im Vordergrund des Films stehen. Soll hier etwa der nach Gewalt und Sex lechzende Konsument auf Korn genommen werden, während zur selben Zeit seine Lust befriedigt wird? Der besagte Konsument darf sich immerhin erfreuen, vergewaltigte Indios, Schildkröten von Innen, bei lebendigem Leib geköpfte Affen und jede Menge zerhackte und aufgemampfte Menschen auf die Mattscheibe zu bekommen. Die Effekte sind zu einem großen Teil sehr realistisch und hart, wenn nicht sowieso echt, wie bei den ekelhaften Tier-Snuff Szenen. Letztere wurden sowohl vom Regisseur als auch von Fans immer wieder damit legitimiert, dass die Tiere für die Indios ohnehin als Abendbrot herhalten mussten. Aber mal ehrlich, nur weil im Irak sowieso Menschen zerfetzt werden, ist es meiner Meinung noch lange kein Grund, sabbernd die Bilder von deren Körperteilen anzusehen. Trotz allem ist der Film nicht völlig unbrauchbar, da er erstens spannend und unterhaltsam ist, und zweitens durch die kritischen Töne etwas Wind aus den Segeln nimmt. Drittens ist der Film ganz nett aufgemacht, nämlich wie ein Dokumentarfilm gespickt mit Naturaufnahmen. Dafür gibt es 6 von 10 Punkten.
Zu empfehlen für: Leute, die schon immer wissen wollten, wie eine Schildkröte von Innen aussieht/ Hardcore-Dschungelcamp-Fans/ Hannibal Lecter.
Keineswegs zum empfehlen für: Überlebende von Flugzeugabstürzen in den Anden/ Ethnologen/ Potenzielle Südamerika-Urlauber/ alle, die vor dem Film noch nichts zum Essen hatten/ Südamerikaner, die jemanden im Bekanntenkreis haben, der schon mal gepfählt wurde.
Guten Appetit!