Das ist er, Deodatos klassischer Kannibalen - Sicko, bei dem sich die Geister scheiden. Fällt mir schon schwer, überhaupt eine Kritik über diesen Film zu schreiben.
Die Handlung dürfte einschlägig bekannt sein, weswegen ich mich damit nicht lange aufhalte.
Sicherlich trägt „Cannibal Holocaust“ eine schwere Bürde mit sich herum. Auch wenn er nicht der Genre-Begründer ist, was viele vielleicht glauben, eilt Deodatos zweiter Ausflug in die menschliche Matschepampe des öfteren der Ruf voraus, durch sein Aufkommen Wegbereiter für die (nächste?) große Kannibalenwelle Anfang der 80er zu sein, von denen die meisten (wie auch „Nackt und Zerfleischt“ selbst) schnell von Deutschlands Bildfläche verschwanden.
Was „Cannibal Holocaust“ definitiv von den Filmen eines Umberto Lenzi oder eines Bruno Mattei unterscheidet, ist die Tatsache, dass dieser in der Tat einen dokumentarischen Touch aufweist und mit kritischen Untertönen sogar versucht, den harten Kontrast der Zivilisation und des barbarischen Urwaldlebens gegen die Tatsache zu stellen, dass die wahren Monster doch die sind, von denen man es nicht erwartet. So werden die Kannibalenvölker in diesem Film fast schon als eine personifizierte Unschuld dargestellt, die von den Schrecken der zivilisierten Menschen heimgesucht werden – nicht umgekehrt. So entfaltet sich Cannibal Holocaust durchaus als doppelbödigeres Werk, als man zunächst vermutet hätte, wenn die DVD aus der reißerischen Hülle genommen und in den Player gelegt wird.
Doch bevor ich hier zuviel huldige, drehe ich die Medaille doch schnell lieber auf die Kehrseite, denn der nachdenkliche Zuschauer merkt nach diesen ersten Thesen doch sehr schnell, dass das nur eine Halbwahrheit ist – Kritik hin oder her, „Cannibal Holocaust“ ist durchweg ein hochderbes, tabubrechendes Schlachtfest noch und nöcher. Gnadenlos fängt die (technisch professionelle) Kamera jede auch noch so widerwärtige Orgie ein; so wird man Zeuge von moralisch indiskutablen Tiermeucheleien, Vergewaltigungen, Tötungen und Schlachtungen unterster Kanone. Hätte Deodato es wirklich ernst gemeint, hätte er sich viel von diesem Scheiss sparen können. Doch um die Schockwirkung ja nicht zu verfehlen, schreckt er nicht davor zurück, sogar echte Tiere vor laufender Kamera zu metzgern. Noch bevor man sich fragt, was der ganze Schund soll, ertappt man sich dabei, im Laufe des Films daran gewöhnt zu sein, und so schaut man bei der Tötung der Schildkröte schon längst nicht mehr so angewidert zu, wie man es noch bei den ausblutenden Ameisenbären getan hat. Deodato wollte schlichtweg schockieren (ergo Kohle machen), und dabei war ihm jedes Mittel recht – und seine Schockwirkung verfehlt der Streifen sicherlich nicht, dafür werden die äquivalenten Szenen viel zu deutlich und exzessiv hervorgehoben.
Wie dem auch sei. Jeder Gorehound, der von Horrorsplatter mittlerweile gelangweilt ist und noch keinen Blick auf das Kannibalengenre geworfen hat, kann einen Blick riskieren. Ortolanis Filmmusik ist wider Erwarten in der Tat klasse, und die Kameraarbeit ist innovativ und gründlich. Dennoch hüte ich mich davor, dem Film mehr als 4 Punkte zu geben. Nicht, weil ich mich nicht traue, Farbe zu bekennen, sondern, weil ich mein Gehirn nicht so sehr abschalten kann, um den Film entweder als Gorehound oder als moralsicher Befürworter zu genießen. Fürs Genre ist es Sicherlich der Beste, da man entgegen der restlichen Streifen sicher nicht lachen kann – aber letztlich braucht das Ding keine Sau.
Überlegt euch vorher genau, wie viel ihr euch zumuten wollt. Der Film wird mit Sicherheit hängen bleiben.