„Internet ist nur für Spacken!“
Der elfte Fall des Kriminalhauptkommissars Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und der fünfte der Oberkommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz) wurde im Frühjahr 2018 in Hamburg gedreht und im November desselben Jahres erstausgestrahlt. Die Drehbuchautoren sind Benjamin Hessler und Florian Öller, die Regie übernahm Serienregisseurin Samira Radsi, die kurz zuvor mit dem „Tatort: Schlangengrube“ innerhalb der Reihe debütiert hatte.
Hamburg-Neugraben, zu Teilen ländliches, bürgerliches Randgebiet im Süden, zu Teilen Migrantenhochburg, wird von einer Einbruchsserie heimgesucht. Widerstand bildet sich, die Bevölkerung will das Gesetz in eigene Hände nehmen. Julia Grosz und Thorsten Falke sollen vor Ort Präsenz zeigen und die Situation beruhigen, können jedoch nicht verhindern, dass eines Nachts ein Einbrecher (Tilman Pörzgen, „Abschussfahrt“) von Hausbesitzer Kranzbühler (Jörg Pose, „Einer trage des anderen Last…“) erschossen wird. Dass man gegen den Notwehr beteuernden Schützen zu ermitteln beginnt, bringt die Bürgerwehr erst recht auf Zinne…
Schnell stellt sich heraus, dass der Tote, der vorher beim Vögeln mit seiner Freundin (Michelle Barthel, „Der zehnte Sommer“) im Auto gezeigt wurde, mitnichten in Notwehr erschossen wurde. Kranzbühler hatte sich von den markigen Worten der Bürgerwehr beeinflussen lassen und wollte ein Zeichen setzen. Sichtlich irritiert und erst im Nachhinein die Tragweite seiner Tat erkennend, lässt er sich von seinem Bruder (Andreas Lust, „Schwarzfahrer“) helfen, der ihn deckt. Jedoch: Es gab einen zweiten Einbrecher, die Freundin des Erschossenen. Auch auf diese wurde gefeuert. Verletzt versteckt sie sich im Wald, auf der Flucht sowohl vor der Bürgerwehr, die in ihr eine unliebsame Zeugin sehen, als auch vor der Polizei.
Falkes und Grosz‘ Fall orientiert sich stark an realen Fällen, in denen in Hamburg bzw. im Hamburger Umland Hausbesitzer junge Einbrecher erschossen, z.B. einen fliehenden in den Rücken. Wahr ist auch, dass gewisse Gegenden stark von Diebesbanden frequentiert werden und sich die Anwohner mehr Schutz wünschen. Wohin es führen kann, wenn sich diese alleingelassen fühlen, illustriert dieser „Tatort“, in der die Bürger zur Selbstjustiz greifen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes übers Ziel hinausschießen. Parallel zu ihren handfesten Aktivitäten betreibt man ein soziales Netzwerk im World Wide Web, in dem man sich gegenseitig aufputscht und die Polizei verhöhnt – was Konsequenzen in der nichtvirtuellen Welt nach sich zieht, beispielsweise wenn Falkes Sohn auf der Straße bedroht wird. Jenes Bürgerforum wird mit seinen Beiträgen und Likes auf die Kamerabilder gelegt, wie man es auch aus anderen zeitgenössischen TV-Produktionen kennt. Damit sprechen die Autoren diesem und ähnlichen Phänomenen Relevanz zu, statt sie als Internetgequatsche abzutun und damit zu verharmlosen – was Falke anzunehmen schwerfällt, wie sein obiges Zitat beweist.
Dennoch werden die „Wutbürger“ nicht pauschal verteufelt, in vielerlei Hinsicht bringt man Verständnis für sie auf. Dieses für die Diebestouren der jungen Bulgaren zu entwickeln, dürfte den Zuschauerinnen und Zuschauern wesentlich schwerer fallen, dafür schlägt man sich jedoch auf ihre Seite, wenn es um Leib und Leben geht. Wie sich Maya verletzt durchs Unterholz schlägt, transportiert diese besondere juvenile Mischung aus Schwermut und Kampfeswille. Die Kamera fängt dabei bemerkenswerte Bilder einer eher untypischen Gegend der Hansestadt ein. Mit dem Verzicht aufs Whodunit? und starker Fokussierung auf die Bürgerwehr inszenierte man „Treibjagd“ eher in Thriller- denn gewohnter TV-Krimi-Manier und landet schließlich im tragischen Drama, wenn am Ende ein weiteres Opfer hinzukommt und gleich mehrere Leben verpfuscht sind. Ein Fatalismus, der in seiner Konsequenz überrascht und nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Woran es diesem über weite Strecken gut gelungenem „Tatort“ mangelt, sind nachhaltige Lösungsangebote an die einbruchsgeplagten Stadtbewohner. Dafür überzeugt er mit seiner differenzierten Darstellung beider bzw. inkl. Polizei aller drei Parteien – was mehr ist, als man von vielen sich Stereotypen bedienender Produktionen erwarten darf.