Macht macht müde Männer munter
„Vice“ erzählt von Dick Cheney, dem Vizepräsidenten unter George Bush Jr., seinen bescheidenen, wenig verheißungsvollen Beginnen bis zum Ziel als die wohl mächtigste „zweite Geige“ aller Zeiten, vom Trunkenbold zum Puppenspieler, Kriegstreiber, Machtmensch. Adam McKay bleibt seiner erfrischenden Mixtur aus Satire und Faktenhorror treu, schließt stilistisch eng an „The Big Short“ an. Womit ich sehr gut leben kann, was große Freude bereitet. Und große Wut, Verzweiflung, Schockstarre und Fassungslosigkeit. Die spitze, zweistündige Attacke auf Cheney, Bush, die Republikaner und Politiker allgemein, kann teilweise etwas einseitig wirken, als ob Michael Moore auf „The West Wing“ trifft, mit einer gehörigen Portion Alptraum. Das riecht dann fast nach Gehirnwäsche, super einseitig und „in your face“, überspitzt und heftig geballt, gar überfrachtet und überladen. Doch besser zu hart, zu viel, zu forsch, als mutlos und generisch. Das verzeiht man bei einer solchen Flut an Gefühlen, Fakten, Eindrücken und kreativen Kniffen. Man darf übel überspitzen, um hängen zu bleiben und durch zu dringen. „Vice“ bietet frischen Wind, hat dickste Eier und scheut keine Konfrontationen. Einen Oscar wird McKay damit wohl so schnell nicht gewinnen. Dafür ist das zu gewagt, zu polarisierend, zu deutlich und zu schmerzhaft für viele alteingesessene Amis. Doch viele Herzen wird er damit gewinnen und Menschen weltweit aufrütteln. Das ist mehr wert als jeder Goldjunge.
„Vice“ ist ein Schnellschussgewehr in Filmform. Das Script ist scharf, die Darsteller sind voll im Element, der Schnitt ist dynamisch und der Humor schwarz, entlarvend, böse und politisch oft genug (und passend zum Thema und den Figuren) unkorrekt. Im alten Hollywood mag das nicht gut ankommen. Im rechten politischen Lager noch viel weniger. Respektlos und lügnerisch, extrem und linksliberal wird dort geschrien. Doch für jeden einigermaßen normaldenken Menschen ist das hier mehr als nur frisch, frech, frivol. McKay hat sich einen ganz eigenen, unverkennbaren Stil angeeignet, der rockt, aufrüttelt und erzürnt. Alle Seiten, aus verschiedensten Gründen. Voller Energie und voller Courage und Wahrheiten, die viel zu lange verschwiegen wurden. Klar, deutlich, krachend und bissig. „Vice“ ist einer der besten, freshsten Filme des Jahres. Selbst für Politikmuffel. Vielleicht gerade für die. Wie sich diese Männer um das Gesetz, über einen Staat und über Normalbürger stellen, was für Nichtsnutze sie eigentlich sind und wie sehr Macht ohnehin schon nicht gerade freundliche Menschen anzieht, ist schwer anzusehen und dennoch höllisch unterhaltsam. Und die Verbindungen vom IS bis zu Trump sind natürlich nochmal bedrückender, warnender und aktueller, als es diese universelle Geschichte eh schon ist. Amerikanisch und menschlich. Intim und international. Leise aber tödlich. Adam McKay macht sich mächtige Feinde. Hör bitte nie auf!
Fazit: aggressiver, kompetenter und extrem kurzweiliger Wutball gegen Dick Cheney, die Rechten und Konservativen, Politik allgemein. Manchmal etwas sehr vollgepackt mit Kritik, Emotionen, Tempo und unfassbaren Fakten. Doch insgesamt eine clevere, extrem unterhaltsame Breitseite gegen machtgeile Monster, Egoisten, Arschlöcher. Wer „The Big Short“ mochte und sich für Politik interessiert, hat einen neuen Lieblingsfilm. Eine „Biografie“ wie keine andere. Entwaffnend. Ehrlich. Mehr als kritisch. Woran glaubt ihr eigentlich?