Review
von Leimbacher-Mario
Früher Bowser, jetzt Browser
Viele mögen „Ralph Reicht‘s“ - ich liebe ihn! Ich bin wirklich ein riesiger Fan des Originals und liege dort mit meiner Zuneigung weit über dem Schnitt. Obwohl er natürlich auch von der Allgemeinheit hoch angesehen wird, steht er im allgemeinen Bewusstsein jetzt nicht auf einer Stufe mit „Toy Story“ oder „Coco“. Bei mir schon. Ich kann dieser liebenswerten Retro-Videospielwelt und nahezu allen Figuren, insbesondere Ralph und Vanellope, extrem viel abgewinnen und könnte immer wieder in sie abtauchen, ohne Abnutzungserscheinungen. Kein Wunder also, dass „Ralph Breaks The Internet“ zu den heisserwartesten Filmen meines Jahres zählte. Der deutsche Titel ist blöd und dass die Synchronsprecher aus dem Vorgänger zum Teil geändert wurden, ist sehr ärgerlich und schade. Allgemein rate ich allen Erwachsenen hier besonders zur Originalsprache. Doch ansonsten kann sich dieses fulminante Sequel sehen lassen. Selbst wenn der Retro-Charme einer vergangenen Videospielära auf Grund der Geschichte natürlich etwas verloren geht... Dafür werden nun andere Schwerpunkte gesetzt, die zum Großteil mit der Internetkultur, Disney selbst und dem unschlagbaren Duo Ralph+Vanellope zu tun haben - womit ich sehr gut leben kann. In „Chaos im Netz“ geht das Lenkrad am Automaten von Sugar Rush kaputt und Ralph und Vanellope versuchen nun im neu an die Arcade Halle angeschlossenen „Internet“, genauer gesagt auf eBay, ein rares Ersatzteil aufzutreiben. Und dabei wird das World Wide Web von Google bis Snapchat gehörig unter Beschlag genommen, denn unser einstiger Videospielschurke ist noch immer ganz gut darin (auch unabsichtlich) Dinge kaputt zu machen...
Wer das Original liebt, wird Teil 2 mögen. So kann man es hier für die meisten Zuschauer wohl zusammen fassen. Wunderschön ist, dass sich fast ausschließlich auf die Freundschaft zwischen R und V konzentriert wird. Da gibt es wirklich einige herzliche und süße Szenen, die jedes Herz erweichen dürften, ohne zu kitschig zu sein. Vanellope gehört der Film! Allgemein ist das Ding sehr wenig gezuckert, ziemlich erwachsen, dunkel und kritisch. Das hätte ich in dieser Ausprägung nicht erwartet. Selbst wenn man das Thema Internet natürlich nie komplett weich waschen kann geschweige denn sollte. Doch dass vom Darkweb über anonymen Hass in YouTube-Kommentaren bis hin zu aggressiven Pop-Ups oder kurzlebigen Trends derart viel offen und ehrlich und oft mit vernichtendem Urteil angesprochen wird, ist erstaunlich und lobenswert. Das erinnert mal an den Emoji-Rotz, nur in hundert mal eleganter und schlauer, mal an „Alles steht Kopf“, doch meistens wirkt das frisch, clever und sehr unterhaltsam. Hier haben die Eltern im Kino vielleicht sogar eine noch weitaus bessere Zeit als ihre Sprösslinge, die gerade von einem grimmigen letzten Akt leicht überfordert werden könnten. Die Welt ist bunt, meta und wunderschick, umso mehr man mit der Netzkultur verstrickt ist, desto mehr gibt es zu entdecken, und die Beziehung der ungleichen Freunde, zwischen dem Zerstörer und der Raserin, hat ihr Herz genau am richtigen Fleck. Inklusive tränenreichem Ende und einer außergewöhnlichen und für Vanellope sehr typischen Musicalnummer! Und als wäre das alles nicht genug, gibt es da auch noch eine gewisse „Oh My Disney“-Szene bzw. allgemein die Einbindung von Disney Property in den ohnehin schon voll gestopften Ritt... und spätestens da springt das Fanherz dann im Dreieck. Denn wenn man die Disneyprinzessinnen im Kuschelsweater alle zusammen auf der Couch chillen sieht, von Vanellope lernend und ihr ebenso nützliche Tipps gebend, dann ist das nicht weniger als ein wahr gewordener Traum und jetzt schon eine der Szenen des Jahres.
Fazit: wer Ralph und Vanellope ins Herz geschlossen hat, geht glücklich aus dem Kino und Fans des Originals können zufrieden sein. Selbst wenn dessen Brillanz nie ganz erreicht wird. Dennoch: „Ralph Breaks The Internet“ macht Spaß, ist rasend schnell und spricht erstaunlich düstere, erwachsene Themen an, von einer erfolgreichen Freundschaft bis zu den Gefahren und Möglichkeiten des Webs. Gutes Sequel, wenn man die Erwartungen nicht zu hoch hängt. Allein die Szenen auf der „Disney Homepage“ sind das Eintrittsgeld wert, wunderbar augenzwinkernd und alles andere als ausschließlich Werbung und Selbstbeweihräucherung.