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Es irritiert, dass nun ausgerechnet Venom wieder unter das Sony-Reagenzglas verbannt wird, jener Symbiont aus dem Weltall, der nicht nur einen Wirt benötigt, um ganz groß aufzutrumpfen, sondern idealerweise auch ein Gegenstück in Form eines Kontrahenten. Sein ewiger Erzfeind Spider-Man hatte zwar schon vor dem großen MCU-Urknall eine ernstzunehmende Schauspielkarriere, doch als das Universum sich dann ab 2008 exponentiell vergrößerte und Held X mit Held Y wild zu interagieren begann, musste der Weberknecht noch viele Jahre solo durch New York hüpfen, bevor es ihm Sony und Marvel erlaubten, endlich mit den Großen zu spielen. Man sollte also meinen, dass nun auch Venom in diesen für Comic-Fans so paradiesischen Zeiten die ganze Welt offen steht. Doch was das Alien sieht, als es von der Kuppel des Life-Foundation-Wolkenkratzers auf San Francisco hinabschaut, ist eine Miniaturstadt unter einer Glaskuppel, nicht die cineastische Open World, die es eigentlich zum Überleben bräuchte.

Das lange geplante und immer wieder verschobene erste Venom-Abenteuer auf der Kinoleinwand, es steckt voller unsichtbarer Barrieren. Die Röhren und Plexiglaswände in den Labors fungieren als Raumtrenner, mit denen das unkontrollierte Außerirdische in eine kalkulierbare Bahn gegossen werden soll. Die CGI-Künstler sind im Anfangsstadium des Films darum bemüht, eine schleimig-zähflüssige Masse als tastenden Organismus zu modellieren, der nach dem Vorbild natürlicher Lebensformen immer den Weg des geringsten Widerstands sucht. Das Böse, und es wird als solches in diesem Film ohne jede Grauzone explizit ausbuchstabiert, erscheint einmal mehr in Form des skrupellosen Wissenschaftlers im Pelz des Samariters (Riz Ahmed als Carlton Drake). Er ist der Gott, der die Grenzen steckt und somit den natürlichen Fluss des Lebens unterbricht. Und obwohl Venom in seiner Urform als wahllos mordende, allesfressende Kreatur grundsätzlich dunkles Karma verströmt, besteht schon früh kein Zweifel daran, dass er mit Tom Hardys Hilfe zum coolen Antihelden stilisiert werden soll, der dem wahren Monster am Ende, in welcher Form auch immer, in den Arsch tritt.

Vom Corporate Design Marvels ist indes lange Zeit nichts zu spüren. Wir sind es nach einem Jahrzehnt unter der Schirmherrschaft des mächtigen Studios nicht mehr gewohnt, eine Comicverfilmung zu sehen, die sich so sehr selbst genügt, die wenigstens bis zum einsetzenden Abspann in keiner Weise die dominante Ideologie der 2010er Jahre verkörpert, dass da draußen noch etwas Größeres sein muss als das, was man gerade sieht. Ruben Fleischer inszeniert die Ankunft der Kreatur, ihren Ausbruch und die Eskalation geradewegs nach den Gesetzen 25 Jahre alter Videothekenware. Auf merkwürdige Weise fühlt man sich an erste einsame Gehversuche des moderneren Comicfilms erinnert; an „Spawn“ (1997) vielleicht, dessen symbiotischer Anzug mit Venom immerhin viele Beschaffenheiten teilt.

Das kann man soweit noch frei begrüßen oder bedauern. Erzählerisch ist „Venom“ schließlich alles andere als zeitgemäß, umgekehrt könnte man aber auch sagen: Er entbindet von der Pflicht, mit einem einzelnen Film gleich ein komplettes Universum zu inhalieren. Wie eine alte klobige VHS, die für sich alleine prima im Regal steht, ohne dass man unbedingt Platz für die Fortsetzungen freihalten muss – auch wenn Sony sich inzwischen darauf geeinigt hat, dass es nun doch eine Einbettung à la „Spider-Man: Homecoming“ wünscht. Die eingangs erwähnten unsichtbaren Barrieren, sie könnten also zweierlei Funktion erfüllen: Entweder dienen sie als Instrument zum Suspense-Building, indem sie die auf lange Sicht unvermeidliche Zusammenkunft mit Spider-Man und anderen Big Playern des Verlags lustvoll verzögern. Oder sie stecken das Areal ab, damit eine Comicverfilmung endlich wieder eine Comicverfilmung sein darf und nicht bloß ein Trailer für die nächste, noch größere Comicverfilmung.

Im Grunde passt dazu auch die Integration der Titelfigur ins Geschehen. San Francisco selbst ist ein hässlicher blauer Moloch bei Nacht, im Endeffekt ein extrem unvorteilhaft in Szene gesetzter Spielplatz für Zerstörungsorgien. Das Hell's Kitchen beispielsweise, das in der TV-Serie (!) „Daredevil“ in fiebrigen Gelb- und Rottönen pulsiert, wirkt im Vergleich wesentlich cineastischer. Die fahle Optik, die in manchen Einstellungen an TV-Produktionen der 00er Jahre erinnert, macht trotz der charismatischen Locations also nicht wirklich viel her, doch in Verbindung mit der stetig fließenden CGI-Geschwulst, als die Venom in Erscheinung tritt, wird wieder ein Schuh draus. Während die Entwicklung der Computeranimation langfristig darauf ausgelegt ist, sich möglichst natürlich in die Umgebung zu schmiegen, ist „Venom“ ein Rückfall in alte Post-Terminator-2-Zeiten, als Spezialeffekte aus dem Computer die Pop-Out-Highlights für ihren Film bedeuteten und der eigentliche Grund für den Kinobesuch waren. Die teerschwarze Oberfläche der Kreatur funkelt im Schein der Straßenlaternen und in den Reflektionen der gläsernen Sets wie wild, während sich die sehnigen Verbindungsteile in dickflüssigen Tränen immerzu in Bewegung befinden. Das Haifischgrinsen mit schleimüberzogenen Nadeln zieht sich gemäß der Comicvorlage über den halben Schädel, das weiße Augenpaar ähnelt in Sachen Offenheit fast schon einem Motorradvisier und kräuselt sich an den Rändern wie die Maske des „Watchmen“-Charakters Rorschach. Ohne Frage, Eddie Brock im Venom-Modus ist der visuelle Blickfang des Streifens. Eingebunden in ausladende Action-Sequenzen füllt er das Bild mit wilden Klecksen, die besonders im von Effekten berstenden finalen Akt glatt aus dem Farbkasten von Jackson Pollock stammen könnten. Auch hier gilt wieder: Das ist sicherlich alles nicht sehr nahrhaft und trotz des prinzipiell gelungenen Creature Designs schon gar nicht das Optimum, das man aus der Figur herausholen kann, doch wer sich nach Filmen in der Machart der späten 90er und frühen 00er Jahre sehnt, wird sich mit dieser Art des regressiven Filmemachens sehr gut arrangieren können.

Kaum Zweifel bestehen allerdings daran, dass das Drehbuch zur mittelschweren Katastrophe geraten ist, gerade in Bezug auf die Motivationen der Charaktere und ihr daraus folgendes Verhalten. Dabei fängt alles so gut an: In der verhältnismäßig ruhigen ersten Stunde bekommt Tom Hardy viel Zeit, seinen Reporter Eddie Brock einzugrooven. Bevor er in Kontakt mit Venom gerät, hat er ihn längst eingelaufen wie ein bequemes Paar Schuhe. Marotten werden gepflegt, Routinen verfolgt und wenn es drauf ankommt, lässt er die Brillanz und den Wahnsinn aufblitzen, den er braucht, um Brock nicht nur zu einem interessanten Menschen zu machen, sondern auch zu einem interessanten Journalisten. Dann allerdings beginnen die Probleme. Nachdem Brock sich mit dem Villain angelegt hat und daraufhin Job und Haus verliert, fällt dem Drehbuch nichts Besseres ein, als zu zeigen, wie sich seine Freundin (Michelle Williams als Anne Weying) von ihm abwendet... anstatt in einer schweren Zeit zu ihm zu stehen. Das ist fatal, weil sie bei den folgenden Ereignissen weiterhin eine sehr zentrale Rolle als Helferin und Love Interest spielt, der man aber am liebsten sämtliche Sympathien verwehren möchte.

Als Brock schließlich beginnt, mit seinem Symbionten zu sprechen, deutet sich an, welch ungenutztes Potenzial in diesem Film steckt. Gelegentlich löst sich Venom ganz wie in den Comic-Panels von seinem Wirt und blickt ihm als eingefallene Maske, als eine Art unterdrückte dunkle Persönlichkeit ins Gesicht. Bei dem röhrenförmigen Hals aus glitschigen Sehnen, die in einem Gesicht enden, möchte man auch an „The Abyss“ denken (und somit wieder an die überholten Zeiten der CGI-Revolution). Die Pose selbst wiederum lässt Hamlet wieder auferstehen, wie er sich einen Totenschädel auf Augenhöhe hält und ihn nach existenziellen Dingen befragt. Es gab viele großartige schizophrene Zwiegespräche in der Geschichte des Films, vom Triple-A-Movie (Gollum in „Der Herr der Ringe – Die Zwei Türme“) bis in die B-Movie-Niederungen („Elmer“). An solche Highlights kommen die Unterhaltungen zwischen Brock und seiner grunzenden inneren Stimme jedoch nicht einmal ansatzweise heran. Für ein wenig Slapstick im Handpuppen-Stil reicht es vielleicht gerade noch; Hardy beweist zumindest körperliches Geschick und sorgt mit präzisem Timing dafür, dass der Zuschauer spürt, wie bockig sich so ein Alien-Symbiont lenkt (wäre als Videospiel-Adaption anfangs sicher kein großes Vergnügen). Ach, würden die Dialoge mit dieser Physical Comedy doch nur mithalten können. Anstatt bissiger Pointen oder gar abgründiger Reflektion über das Menschsein werden am laufenden Band inhaltsleere Sprüche serviert, die vor allem den dunklen Besatzer völlig entzaubern. Da bezeichnet er sich selbst als Loser auf seinem Planeten (nur um den Gegner damit zu stärken und den Endkampf noch spektakulärer erscheinen zu lassen), oder er lobt auch mal einfach aus dem Nichts die Ex-Freundin („ich mag sie“ - nun, wir eher nicht, sorry).

Man kann wirklich seinen Spaß haben mit „Venom“, weil er in seiner Machart so völlig aus der Art schlägt, dass man ihn schon einem anderen Jahrzehnt zuschreiben möchte. Wer immerzu meckert, wie gleichförmig alle modernen Comicverfilmungen aussehen und wo denn bitte die alten Zeiten abgeblieben sind: Da, bitte. Zeitmaschine. Gratis dazu gibt es aber die schmerzliche Erinnerung, dass früher eben vielleicht doch nicht alles besser war. Die Figuren verhalten sich irrational, die Inszenierung fühlt sich flach an, die Hauptattraktion ragt wie ein 3D-Bild aus der ebenen Fläche. Man hat auch das Gefühl, die richtig freakigen Einfälle wurden vielleicht sogar unter Verschluss gehalten – eine Vermutung, die Hardy mit seinem Statement über 30 entfernte Minuten mit Puppeteer-Tricks und anderem coolen Zeugs bestätigt. Es gibt irgendwann noch ein Lee-Cameo und eine After-Credits-Scene, was auf einen Schlag doch wieder das Marvel-Continuity-Feeling erzeugt (es folgt sogar noch eine zweite ganz am Ende, die sich aber eher wie billige Promotion für weitere Abenteuer aus dem MCU anfühlt). Dies beiseite gestellt, ist „Venom“ aus der Art geschlagene Videounterhaltung aus längst vergangenen Zeiten. Irgendwie charmant, aber voller Defizite.
(4.5/10)

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