Vorsicht vor Blumen!
Hatte Umerto Lenzi es mit den Orchideen, treibt hier Guiliani Carnimeo die Lilie mit ihrem Geheimnis um. Blumen und Blut. Na dann.
Carnimeos einziger Giallo tischt uns alles auf, was in einen solchen Film eben reingehört. Dass das auch heftig schiefgehen kann, zeigen Filme wie „Nackt für den Killer", der als Film lediglich Schauwerte aneinander reiht und sich in Sleaze und Blut, nicht aber in Sinn und Verstand ergeht und über weite Strecken einfach nur nervt.
Nun, Carnimeo muss sich diesen Vorwurf kaum gefallen lassen. Zwar gibt es auch hier jede Menge nackter Haut, ohne dass es dem Film zuträglich sein würde, aber dafür weist „Das Geheimnis der blutigen Lilie" auch einige schön fotografierte Sequenzen auf, die man bei einem Giallo eben auch erwarten darf, denn schließlich bedienten sich diese Filme den immer gleichen Inhalten und mussten demnach ihre Daseinsberechtigung mit außergewöhnlichen Momenten rechtfertigen. Dem wird hier auch Rechnung getragen und bereits der erste Mord im Fahrstuhl ist durchaus interessant gestaltet, so dass trotz des Unausweichlichen eine der Ästhetik verpflichtete Spannung aufgebaut wird.
Spätestens wenn dann die Leiche gefunden wird und eine junge Frau die Sache mit „Ich habe ein Vorsprechen und muss los" kommentiert, dann weiß man, dass man in der von der Wirklichkeit entkoppelten Welt italienischen Genrekinos angekommen ist, in der nachvollziehbare Figurenhandlungen ebenso selten sind wie durchgängig bekleidete Frauen. Carnimeo weiß genau, was von seinem Film erwartet wird und so baut er auch reichlich Nacktheit ein, die hier exzessiv von den weiblichen Darstellerinnen, allem voran natürlich Edwige Fenech, ausgelebt wird. Dabei erscheinen die Frauen naiv und vollkommen empathielos, wenn sie freudig in die Wohnung ziehen, in der dann einer zwingenden Filmlogik folgend Opfer Nummer zwei ermordet wurde. Natürlich aber erst, nachdem sich deren „Vorsprechen" als durchgeknallter Nacktringkampf mit einem zahlenden Mann herausgestellt hat, der versucht, die junge schwarze Frau zu „zähmen". Hier gehen also sexuelle Exploitation und Rassismus Hand in Hand und sämtliche Klischees einer wilden Schwarzen werden mit Genuss bedient.
Neben dieser Fragwürdigkeit bietet der Film dann das Übliche, das aber durchgehend mit Lust an der Inszenierung dargeboten wird und in einem recht spannend gestalteten Finale mündet, das mit einem stimmungsvoll beleuchteten Heizungskeller und einem finalen Twist endet, der allerdings einen Mörder präsentiert, desses Motiv etwas beliebig erscheint, so dass auch andere Auflösungen möglich gewesen wären ohne wesentlich schlechter zu sein.
Die gelegten falschen Fährten sind teilweise ganz interessant gestaltet und auch George Hilton als Architekt im Dunstkreis der jungen Frauen gehört zum Kreis der dringend Verdächtigen, was insofern ganz interessant ist, als dass er meist der Saubermann war, der sich dann aber doch als finsterer Geselle entpuppte. Hier spielt Carnimeos Film den Ball nun auf das andere Tor, was als nette Variation für Genreerfahrene gesehen werden kann.
Edwige Fenech spielt hier dafür nicht ihre interessanteste Rolle, die auffallend eindimensional gehalten ist und für ihren Namen und die damit verbundene Brust-Garantie eingekauft wurde und so langsam vermischt sich das Mitgefühl für ihre Figuren mit einem Mitgefühl für die Schauspielerin, die ihre Position aber mit Fassung zu tragen scheint. Ich frage mich, ob sie ihre Brüste ebenso versichert hatte wie Farah Fawcett ihre Locken, denn schließlich zahlten sie die Miete und füllten den Teller, auch wenn sich Fenech als Frau des Produzenten Lucio Martino darüber wohl keine Sorgen machen musste.
Stelvio Massi, der als Kameramann den größten Teil seiner Erfahrung mit dem Drehen von Western gesammelt hatte und sich später selbst als Regisseur dem Krimi- und Actionfilm, also dem italienischen Poliziottesco, zuwandte, liefert hier eine Arbeit ab, die zwar niemals an die bildliche Qualität von Argentos Filmen heranreicht, aber durchaus auf dem Level der etwas sachlicheren Martino-Giallos anzusiedeln ist, die aber ja allesamt meisterhaft bebildert waren. Das Bild wird hier also nie zum reinen Selbstzweck und trotzdem sieht der Film stellenweise unverschämt gut aus.
Die Arbeit von Bruno Nicolai erweist sich als routinierte Vertonung eines Genrefilms, untermauert aber die Stimmung, für die man funktionierende Gialli eben so schätzt. Zudem ist das Hauptthema überaus gelungen und gehört auf jeden Sampler zum Subgenre.
Fazit
„Das Geheimnis der blutigen Lilie" erweist sich als wirklich prototypischer Giallo, der eine ausgewogene Mischung der üblichen Zutaten bietet und hier und da sichtbare Qualitäten im Bereich der Inszenierung aufweist. Der Plot ist gewohnt beliebig, die Polizei ist gewohnt inkompetent und die Frauen sind gewohnt unbekleidet. Aber optisch gelingen hier einige denkwürdige Momente, die den Liebhaber des Subgenres durchaus zufriedenstellen können und Bruno Nicolai taucht das Ganze in zeitgenössische Stimmung. Somit stellt Carnimeos Ausflug in den Giallo einen im besten Sinne durchschnittlichen Film dar, der für Genrefreunde zwar keine Empfehlung der A-Liste sein dürfte, aber durchaus einen der oberen Plätze der B-Liste für sich in Anspruch nehmen kann. Es gibt bessere. Es gibt aber auch deutlich schwächere. Bei alledem muss ich eingestehen, dass nach zwei Wochen voller Gialli bei mir vielleicht einige Abnutzungserscheinungen eintreten und ich den Film anders bewerten würde, wäre es nicht Giallo Nummer 20.
Allen, die dem Subgenre etwas Lebenszeit widmen möchten, sei dieser Film wärmstens empfohlen.