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In den späten 1960er Jahren hat der ägyptische Student Ashraf Marwan (Marwan Kenzari) eine glänzende Karriere vor sich: nach der Heirat einer Tochter von Staatschef Gamal Abdel Nasser hat er als Regierungsmitarbeiter Zugang zu den höchsten Kreisen in Kairo - nur die wenig vertrauensvolle, zurückhaltende Behandlung durch seinen Schwiegervater kränkt den jungen Mann, der - dem Jet-Set nicht abgeneigt - finanziell meist klamm über die Runden kommen muß.
Nach Nassers Tod 1970 verbleibt Marwan auch unter dessen Nachfolger Anwar as-Sadat (Sasson Gabay) in seiner Position und beschließt, seinen Zugang zu geheimen Planungen des ägyptischen Militärs, das unbedingt die wenige Jahre zuvor im 6-Tage-Krieg verlorene Sinai-Halbinsel zurückerobern will, zu Geld zu machen, indem er Aufmarschpläne und Kartenmaterial den Israelis anbietet. Ein konspirativer Anruf aus einer Telefonzelle führt bald zu einem Kontakt mit dem israelischen Führungsoffizier Danny aka Alex (Toby Kebbell), der die Unterlagen an die Mossad-Zentrale weiterleitet. Dort ist sich dessen Chef Zvi Zamir (Ori Pfeffer) mit seinen Agenten aber überhaupt nicht sicher, was sie von Marwan halten sollen: einerseits sind die übergebenen Dokumente zweifelsfrei echt und von erheblicher Relevanz, andererseits scheint es völlig abwegig, daß der Schwiegersohn des mächtigen, langjährigen Israel-Gegners Nasser solch brisante Unterlagen dem Mossad zum Kauf anbietet. Warum tut Marwan dies, was sind seine Beweggründe? Ist es nur das Geld, das die Israelis vereinbarungsgemäß in einer diskreten Tasche übergeben, oder steckt doch mehr dahinter?

Die Frage nach dem Motiv des Ägypters zieht sich wie ein roter Faden durch die israelische Netflix-Produktion Der Ägyptische Spion, der Israel rettete - doch um es vorwegzunehmen: auch der auf einer Buchvorlage basierende Film, im Original mit The Angel betitelt, liefert darauf keine eindeutige Antwort. Seinen Verrat an den militärischen Planungen der arabischen Welt begründet Marwan das eine oder andere Mal mit dem Verhindern eines riesigen Blutbades, was den Zuschauer allerdings nicht wirklich überzeugen kann. Dafür darf er sich an einem weitgehend authentisch ins Bild gesetzten klassischen Agenten-thriller erfreuen, in dem der mit zunehmend höherem persönlichen Risiko agierende Spion oftmals Mühe hat, die Fassade gegenüber seinem Umfeld  aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die mißtrauischen Mossad-Agenten von seiner Ehrlichkeit zu überzeugen.

Während der Niederländer Marwan Kenzari seine Titelrolle als eher zaudernder, die Tragweite seiner Handlungen nicht immer überblickender Spion angelegt hat, war der reale Ashraf Marwan eher eine schillernde Figur, die - und hier stimmen Film und historische Tatsachen überein - zunächst tatsächlich seitens des Mossad um ihr Leben fürchten mußte, da ein zweimalig als sicher angekündigter ägyptischer Waffengang jeweils im letzten Moment vom eigenwilligen Sadat verschoben wurde und das dadurch umsonst in Alarmbereitschaft versetzte israelische Militär somit düpierte. Die dritte eindringliche Warnung, am Vorabend des dann tatsächlich ausgeführten Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 wurde dem verzweifelt um Glaubwürdigkeit ringenden Marwan dann schon fast nicht mehr geglaubt - gleichnishaft in der Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf dargelegt, die Marwan seinem kleinen Sohn als Gute-Nacht-Geschichte vorliest, während er realisiert, wie sehr er selbst der Hirtenjunge in realitas ist.
Danach jedoch wird der von manchen Quellen auch als Doppelspion geführte historische Marwan, der Sadats vollstes Vertrauen genießt, zu dessen wichtigstem Verbindungsmann in arabische Nachbarstaaten wie Libyen und Saudi-Arabien. Später zog er sich dann nach London zurück, wo er als inzwischen sehr wohlhabender Geschäftsmann auch Waffendeals einfädelte. Erst im Jahre 2003 wurde er enttarnt und starb unter bis heute ungeklärten Umständen 2007 bei einem Sturz von seinem Balkon.
Von diesem, durchaus drehbuchtauglichen späteren Leben des Spions ist im Film allerdings nicht die Rede - dieser schließt mit s/w-Bildern des historischen Camp-David-Abkommens von 1978/79, das beiden Ländern immerhin einen bis heute andauernden Frieden brachte.

Um den spürbar um Konsens bemühten Agententhriller etwas aufzupeppen, läßt Regisseur Ariel Vromen seinen Hauptdarsteller auch einmal in die schillernde Welt der Swinging Sixties in London eintauchen, wo er die Bekanntschaft des blonden Jet-Set-Mädels Diana Ellis (Hannah Ware) macht, die vorzugsweise Prominente auf ihren Bumsparties heimlich filmt. Dass der zuhause sehr auf Familienmensch machende Marwan sich hier und da ein außereheliches Abenteuer erlaubt, steht allerdings in starkem Kontrast zu dessen sonstigem Auftreten im Film.
Aus dem Umstand, daß der arabisch-israelische Konflikt nie vertieft wird, die beiden ägyptischen Staatschefs wohlwollend neutral und der Staat Israel überhaupt nur durch eine Handvoll Mossad-Leute dargestellt wird, ergibt sich ein verhältnismäßig friedlicher Rückblick auf die seinerzeitigen, immerhin in einen Krieg mündenden Ereignisse, die sich mehr oder weniger nur auf den ambivalenten Charakter des Spions fokussieren. Dessen einziger erkennbarer diplomatischer Geniestreich übrigens, der immerhin auch die Spannung versprechende Anfangssequenz mit PLO-Terroristen, die eine El Al-Maschine abschießen wollen, umfasst, wird in enttäuschend kurzen 2 Minuten abgehandelt - schade, denn mehr solcher Begebenheiten, egal ob nun erfunden oder real, hätten dem ohnehin öfter zwischen Dokumentation und Fiktion hin- und herspringenden Streifen gut getan.

Einige historische Ungenauigkeiten (wie ein nicht ganz zeitgenössisches Auto bzw. Flugzeug) bis hin zu offensichtlichen Fehlern (die falsche ägyptische Flagge mit dem heutigen Adler statt dem seinerzeitigen Falken, bärtigen ägyptischen Militärs, die traditionell stets glattrasiert sind, einem erst später veröffentlichten Popsong von KC and the Sunshine oder anläßlich eines Besuches bei Gaddafi dessen unvermeidliche weibliche Leibgarde, welche erst viel später in den 1980er Jahren entstand) tun der akkurat abgefilmten Agentenstory keinen Abbruch und über den von ägyptischen Zuschauern kritisierten pseudo-ägyptischen Kauderwelsch, den die mehrheitlich israelischen Darsteller im Original sprechen, kann man sich im deutschsprachigen Raum dank einer vollständigen Synchro auch hinwegsetzen.
Fazit: Der Ägyptische Spion, der Israel rettete ist als semi-dokumentarischer Streifen mit nur 6 näher beleuchteten Lebensjahren des Spions (1967 - 1973) als Biopic zwar deutlich zu kurz, funktioniert als Geheimagentenfilm aber ganz leidlich. 5,51 Punkte.

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