Review

Mary Queen of Scots (2018) von Josie Rourke
The Favourite (2018) von Yorgos Lanthimos


Ungefähr zeitgleich kamen gerade [Achtung: Spoiler!] zwei Historienfilme in die Kinos, die streng genommen wenig miteinander zu tun haben: Die britische Debütantin Josie Rourke bringt Maria Stuart (1542-1587) und Elisabeth I. (1533-1603) wieder einmal auf die große Leinwand, der Grieche Yorgos Lanthimos, der seit 2014/15 in englischer Sprache dreht, widmet sich hingegen – mit teils identischen Nebendarstellern wie Joe Alwyn – Maria Stuarts Ururgroßtochter Anne Stuart (1665-1714), die nach 17 Totgeburten (bzw. verstorbenen Säuglingen) wie die jungfräuliche Königin Elisabeth I. kinder- und nachkommenlos geblieben ist. Während Josie Rourke als Filmemacherin einen quasi feministischen Ansatz wählt, um ein recht konventionelles, freilich üppiges Historiendrama abzulieferen, findet Lanthimos mit Anleihen bei Peter Greenaway, Sally Potter und Stanley Kubrick einen Weg, seinen manieristischen, einstmals recht minimalistischen Stil in einem prunkvollen Setting zu verankern, in welches er sich ganz harmonisch einfügt.

Maria Stuart zog nach langem Geistern durch die Literatur- und Theatergeschichte schon früh das Interesse der Filmemacher auf sich: Thomas A. Edisons & Alfred Clarks "The Execution of Mary, Queen of Scots" (1895) stand am Anfang, Josie Rourkes "Mary Queen of Scots" ist momentan der jüngste Beitrag. Auch Elisabeth I., mit der Maria Stuarts Schicksal eng verbunden war, wurde von Filmschaffenden in ikonische Filmbilder übertragen: Mit Carl Froehlichs antibritischem NS-Propagandafilm "Das Herz der Königin" (1940) gesellte sich sich das Bild der eiskalten Intrigantin zu Elisabeths Image, das mit den Verkörperungen durch Bette Davis ("The Private Lives of Elizabeth and Essex" (1939), "The Virgin Queen" (1955)) eine auch später immer wieder akzentuierte Tragik aufwies. Maria Stuart hingegen avancierte durch ihre Hinrichtung zum (nicht selten als gänzlich schuldlos geltenden) Opfer, dem in Literatur und Film naturgemäß allerlei Mitleid und Sympathie zuteil wurde: Opfer adeln einen bekanntlich, auch die unfreiwilligen. Das war schon in Schillers "Maria Stuart" (1800) so – dem etwa zehn andere Stücke seit 1593 vorangegangen waren –, wenngleich sich hier Maria Stuarts moralische, edelmütige Größe erst kurz vor der Hinrichtung entfaltet, wohingegen Elisabeth zur verlierenden Gewinnerin gerät, zur siegreichen, aber dennoch tragisch scheiternden, weil schuldbeladenen Rivalin.
Josie Rourke, die Stuart mit der sanften, durch sympathische Rollen bekannten Saoirse Ronan besetzen und Elisabeth I. von Margot Robbie verkörpern ließ, welche zuletzt als Tonya Harding oder Harley Quinn eher biestige Seiten ausleben konnte, bedient diese Klischees überraschenderweise kaum. Hier ist es ein trotz aller Berechnung auf beiden Seiten beinahe innig-freundschaftliches, geschwisterliches Verhältnis, das beide Frauen miteinander verbindet – auch weil die Jahre der Gefangenschaft Maria Stuarts im Grunde ausgespart werden. Und dennoch ist "Mary Queen of Scots" von Schwarz-Weiß-Malerei keinesfalls frei: Denn die Frauen ähneln sich auch darin, dass sie beide in gewisser Weise Opfer sind: Opfer der sie umgebenden Männer, die für Protestantismus oder Katholizismus, für England oder Schottland oder aber schlichtweg für sich selbst Ränke schmieden.

Dass die theatererfahrene Filmregie-Debütantin Josie Rourke die Schicksale beider Frauen nach Beau Willimons Dreh- und John Guys Sachbuch als anrührende Tragödien schildert, die nicht zuletzt durch patriarchalische Muster – welche auch unter oder vielmehr neben den zwei Königinnen wirken – hervorgerufen worden sind, verleiht dem Film eine interessante Note. Das gerne auf die Rivalität zweier Frauen zusammengeschrumpfte Kapitel aus der Weltgeschichte, das mancher Dramatiker gar zur Dreiecksgeschichte ausbaute, gerät hier wieder komplexer, zeigt Botschafter, Kleriker, Ehemänner und Halbbrüder als Interessengruppen, die allesamt Einfluss nehmen und die Frauen in Lagen drängen, in welche sie sich nie begeben wollten.
Das ist – auch weil es sexuelle Nötigung zu sehen gibt – in Zeiten, in denen #MeToo dem Feminismus neue Aufmerksamkeit sicherte und etwa die Frauenquote unter Hollywoods Blockbuster-Filmschaffenden in der Kritik steht,[1] sicher ein aktueller Ansatz; und wenn Rourke berichtet, dass sie etwa Cunnilingus und eine Periode gegen Bedenken der Produzent(inn)en durch- und ins Bild setzen musste,[2] dann ist der Wunsch nach einem feministisch geprägten Ansatz auch durchaus verständlich.
Allerdings besitzt das Ergebnis einen faden Beigeschmack: Frauen, so scheint es, sind von Natur aus sanftmütig und versöhnlich, Männer hingegen fanatisch, soldatisch & martialisch. Das muss auch immer wieder ausformuliert werden, etwa in Maria Stuarts Hinweis auf Heinrich VIII. Gibt es im Film einen durchweg sanften Mann wie David Rizzio, dann ist es zugleich ein Mann, der in Frauengewänder schlüpft, sich als Schwester unter Maria Stuarts Hofdamen mischen darf und eine Liebesnacht mit Maria Stuarts Gatten Henry Darnley (in dessen Hochzeitsnacht) verbringt: Also ein Mann mit weiblicher Seite, der dann später (in der vielleicht unerquicklichsten Szene des Films) unter 56 Dolchstichen der männlichen Männer sein Leben lassen muss. Und wenn Elisabeth I. über die Aufgabe ihres Gefühlslebens und ihr standesgemäßes Funktionieren spricht, dann schreibt sie sich selbst explizit männliche Züge zu. Schlechte Männlichkeit und gute Weiblichkeit sind hier am Werke – darunter leiden die Frauen und die Schwulen gleichermaßen. Zu diesem Zweck werden – was freilich die meisten, wenn nicht naturgemäß sogar alle Historienfilme tun – Unklarheiten in der Geschichtsschreibung ignoriert: Nie niedergeschriebene Gedankengänge, eine erfundene Begegnung beider Königinnen und eindeutige Schuldzuweisungen beim ungeklärten Mord an Henry Darnley lenken den Film in die gewünschte Richtung. Und immer wieder verzeifeln die Männer daran, als angeblich vernünftige Männer den angeblichen Launen der Frauen gehorchen zu müssen, um sodann ihren Intrigen nachzugehen. (Damit dürfte der Film Antifeminist(inn)en eher in die Arme spielen als den Feminist(inn)en.)
Und so geht der spannende Aspekt – dass nämlich die Königinnen durchaus empfindlich von den Interessen umgebender Männer beeinflusst werden – etwas unter in einem erstaunlich traditionellen Bild der sanften Weiblichkeit und der gewalttätigen Männlichkeit, das in den letzten Jahren (auch aus feministischer Richtung) kritisiert worden war; man denke etwa an Diane Ducrets "Femmes de Dictateur" (2011) über (titelgebende) Diktatorenfrauen. "Mary Queen of Scots" ist ein überdeutlich auf den aktuellen Zeitgeist ausgerichteter Film, was duch einen weitgehend gelungenen Soundtrack, durch starke Hauptdarstellerinnen, ein paar hübsche Bildkompositionen – bei einer insgesamt leider doch recht konventionellen Inszenierung – nicht ganz ausgebügelt werden kann. Gewiss: das erfundene Geheimtreffen zwischen Maria Stuart und Elisabeth I. ist raffiniert und spannungsreich in Szene gesetzt worden, die dramaturgischen Höhepunkte fallen durchaus anrührend aus. Es bleibt aber jederzeit der Eindruck eines ideologisch leicht unbeholfenen Modefilms, der sehr viel mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit vermittelt.

Mit Gegenwartsbezug lässt sich auch "The Favourite" betrachten, der jüngste Streich von Yorgos Lanthimos – den manch eine(r) bereits auf die Politik eines Trump bezogen hat. Hatte Lanthimos zuletzt mit dem Thriller-Format eine undankbare Basis für seinen absurd-satirischen Stil genutzt, so nutzt er nun – erstmals ohne eigene Mitwirkung am Drehbuch – den barocken Historienfilm wie einst die Dystopie recht gelungen für sein Anliegen.
Nicht Maria Stuart, sondern Ururgroßtochter Anne Stuart ist Zentrum des grotesken Biopics: zwischen ihren historisch verbürgten, wenngleich ziemlich frei aufgegriffenen Beziehungen zu Sarah Churchill (1660-1744) und deren Cousine Abigail Hill bzw. Masham (1670-1734). Mit diesen drei weiblichen Hauptrollen (und drei recht bedeutenden männlichen Nebenrollen) zeichnet "The Favourite" ein wesentlich ausgewogeneres Bild der Geschlechter: Königin Anne ist ein launisches, gelegentlich jähzorniges und erschreckend desinteressiertes Staatsoberhaupt, das mit ihren willkürlichen Launen allen Mitmenschen das Leben schwer macht und die Eifersucht ihrer Favourites genießt, zugleich aber auch Opfer ihrer Favourites und einiger Intriganten (und gesundheitlicher Schicksalsschläge) ist. Sarah Churchill manipuliert und lenkt die Königin, um ihre eigenen Wünsche bezüglich der Zukunft Englands umsetzen zu lassen (für welche sie auch ihren Mann, den Duke of Marl­bo­rough, im Krieg zu verlieren bereit ist). Abigail Hill, eine zur Küchenmagd herabgesunkene Lady, verschafft sich hingegen nach ihrer Ankunft im Königshaus die Gunst Annes, um wieder aufzusteigen und z.B. den eleganten Marsham zu heiraten, was aus ihr wieder eine Lady machen würde. Zu diesem Zwecke paktiert sie mit dem Tory Robert Harley, welcher jene Grundstückssteuererhöhungen verhindern will, mit denen die von Churchill (und ihrem Verbündeten Godolphin) gewünschte Weiterführung des Krieges finanziert werden soll. Und während Harley seine Intrigen spinnt, kämpfen Churchill und Hill/Marsham immer unverhohlen aggressiver um die Gunst der Königin, mit der sie sich wechselseitig auch das Bett teilen (was eben nicht verbürgt ist). Drohungen, Sticheleien, physische Gewalt, Gift, Verleumdungen und Erpressung sind alsbald an der Tagesordnung, um die Rivalin zu besiegen und eine Königin für sich zu gewinnen, die inmitten von Enten- & Hummer-Rennen, Kaninchen und Kuchen die Staatsgeschäfte weitestgehend vergisst (und auch kaum durchschaut). Keine der Figuren ist unschuldig, ihre Anliegen sind jedoch verständlich: Abigail, die nach ihrem Fall mit sexueller Ausbeutung, mit Schlamm, Scheiße und körperlicher Züchtigung Bekanntschaft gemacht hat, will verständlicherweise wieder in ihren gehobenen Lebenstil zurück; Sarah verfolgt nicht zuletzt politische Ziele; die Königin selbst scheint leidgeplagt und (ähnlich Georg III. in "The Madness of King George" (1994)) nicht ganz zurechnungsfähig und findet Gefallen am immer intensiveren Buhlen ihrer Favourites. Und dennoch verhalten sich die Figuren selbst innerhalb des ohnehin zweifelhaften, dekadenten Lebens am Hofe ziemlich verwerflich und teilweise geradezu niederträchtig.
Ein bisschen wie in Patrice Lecontes – am Hof von Louis XVI. angesiedelten – "Ridicule" (1966), vor allem aber wie Greenaway mit seinem barocken "The Draughtsman's Contract" (1982) entfaltet Lanthimos ein Spiel der Dekadenz und der Intrigen, welches die Männer wie die Frauen gleichermaßen spielen. Wie bei Greenaway verstehen es auch hier die Frauen, sich über die Männer lustig zu machen: Sarah treibt ihren Kontrahenten Harley mit schlagfertigen Provokationen zur Weißglut, Abigail haut einem allzu stürmischen Frauenheld vergnügt ihr Knie ins Gemächt – ist aber grundsätzlich dazu bereit, ihre körperlichen Reize zu verkaufen: Wo sich eine Maria Stuart in Josie Rourkes Historienfilm noch dem erpresserischen künftigen zweiten Ehemann beugen und sich zwangsweise von ihm begatten lassen muss, um ihre Macht halbwegs zu wahren, da verkauft eine Abigail ihre Fut, wie es im Film recht drastisch heißt, gleich dreimal, um ihre Ziele zu verwirklichen. (Wobei das nicht ganz wörtlich zu nehmen ist: Bei Königin Anne lässt sie ihre Zunge spielen, wohingegen sie ihrem Gatten Marsham in der Hochzeitsnacht schlicht einen abwichst; womit der Film sich quasi eine kuriose Hochzeitsnacht-Szene mit Rourkes Historienfilm teilt.) Lanthimos' Frauen sind ebensowenig wie die Männer Unschuldslämmer (und seinen Film kann man eben eher auf die Möglichkeit freiwilligen, berechnenden Hochschlafens raffinierter Karrieristinnen beziehen und nicht auf die nötigende Besetzungscouch eines Weinstein, die Josie Rourke im Hinterkopf gehabt haben mag); sie müssen lediglich nicht ins Schlachtfeld ziehen, sondern bekämpfen sich etwas unsichtbarer mit Gift und Intrigen oder allenfalls mit geschleuderten Büchern und Ohrfeigen.
Anders als bei Greenaway verlieren die Frauen hier aber ebenfalls das Spiel: Sarah unterliegt im Ringen um die Gunst und muss – noch dazu von einer Narbe entstellt, die sie nicht zuletzt Abigail verdankt – das Feld verlassen, Abigail verfällt nach Erreichung ihrer Ziele in eine lustlose Gewöhnung, die ihre Dienste für die Königin zu einer unerquicklichen Last geraten lassen; und die gichtgeplagte Königin Anne leidet am Ende noch an den Folgen eines Schlaganfalls und am Verschwinden des freundschaftlichen Werbens und Buhlens ihrer Favourite(s).

"The Favourite" ist vom ersten Logo bis zum Ende des Abspanns ein manieristischer, perfekt stilisierter Barock-Prunkfilm, eigenwillig in Weitwinkelbildern eingefangen – welche die barocke Ästhetik ähnlich desavouieren wie einige Anchronismen à la "Marie Antoinette" (2006) –, der dem bloßgestellten dekadenten Lebensstil freilich viel verdankt (und für die Bilder von Schlamm, Scheiße, Armut und Hurenhäusern nur wenig übrig hat; ein paar barocke Vanitas-Motive gibt es aber wie bei Greenaway dennoch: alle drei Hauptfiguren dürfen sich einmal in Großaufnahme erbrechen[3]). Darin mag man Heuchelei vermuten (wobei diese Prunk-Besessenheit nicht typisch für Lanthimos' Schaffen ist, wenngleich der barocke Queen-Anne-Style mit seinen stilisierten Formen die ideale Spielwiese für Lanthimos' Manierismus); allerdings geht es dem Film weniger darum, das barocke Luxusleben gegen die Armut oder das Leid auf den Schlachtfeldern auszuspielen, sondern darum, die Egoismen im politischen Geschäft – die sich auch heute noch antreffen lassen – ausdrucksstark zu bebildern. Wie Scorseses "The Wolf of Wall Street" (2013) bildet der Film – trotz fast leitmotivischer Verhandlung von Zuckerbrot- und Peitsche-Taktiken – eine nicht allzu erkenntnisreiche Polemik, die aber ausgesprochen lustvoll, unterhaltsam und schön geraten ist. Und darüber hinaus funktioniert er als spannendes Gegenstück zu Rourkes zeitgleich entstandenem Historien-Biopic, welches weniger von einem Wesensunterschied zwischen sanften Frauen und aggressiven Männern ausgeht, sondern vielmehr andere Möglichkeiten und Wege bei nahezu identischer Feindseligkeit, Eigennützigkeit und Niderträchtigkeit der Geschlechter annimmt.
6,5/10 für den formal konventionelleren und ideologisch etwas simplifizierten "Mary Queen of Scots", 7,5/10 für den originellen und ausgewogeneren "The Favourite".


1.) https://www.huffingtonpost.com/entry/in-2016-female-directors-made-up-just-7-percent-of-top-grossing-films_us_5877cba7e4b06df924cb5ed5?guccounter=1 (30.01.2019). Vgl. auch: https://womenintvfilm.sdsu.edu/wp-content/uploads/2017/01/2016_Celluloid_Ceiling_Report.pdf (30.01.2019), https://womeninfilm.org/ffi/ (30.01.2019). Im Independent-Bereich zeichnet sich der Trend allerdings eher nicht ab: https://womenintvfilm.sdsu.edu/files/2016%20Independent_Women_Report.pdf (30.01.2019). Gerade mit Blick auf die letzten zwei, drei Dekaden scheint die Zahl der Regisseurinnen in Europa und Amerika insgesamt eher zu steigen, wobei kleinere Rückläufigkeiten in den jüngsten Jahren (auch in US-amerikanischen Top-100-Titeln) angesichts der erhobenen Werte eher natürliche Schwankungen inmitten eines langsamen Wachstums sein dürften. Man benötigt halt einen langen Atem für gesellschaftliche Veränderungen.
2.) https://www.theguardian.com/film/2019/jan/02/josie-rourke-interview-mary-queen-of-scots-2019-arts-preview (30.01.2019).
3.) Und das Bein der gichtkranken Königin mag man in diesem Zusammenhang auch erwähnen. Zumal es auch ein Verweis auf Albert Serras "La mort de Louis XIV" (2016) sein mag, in dem Jean-Pierre Leaud als ähnlich inaktiver König zum träge dahinsterbenden Körper mutiert.

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