"...und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt - er war in seiner Jugend."
Theodor Storm: Immensee
Diese sentimalen Worte Storms fielen mir ein, als ich Jonah Hills Film "Mid90s" sah. Nicht aus Prinzip, sondern vielmehr, weil Hill es tatsächlich gelingt, die eigenen Erinnerungen so zu bebildern und zu erzählen, dass der Film eine Reise in die eigene Vergangenheit ist, wenn man in seiner frühen Jugend mit dem Skateboard in der Hand in seiner Heimatstadt rumlungerte und sich gegenseitig in einer verschworenen Clique aus der Langeweile half. Der Traum vom Wegkommen oder die betäubte Akzeptanz, dass man seiner Existenz womöglich nie entrinnen kann und die Eltern einem das Bild des eigenen Endes bereits vorleben.
Neben dem Inhalt packte mich der Film jedoch bereits in den ersten Momenten. Nach wenigen Sekunden konnte man den komponierten Teil des Soundtracks zuordnen. Das klingt nicht nur nach Nine Inch Nails, Trent Reznor selbst hat sich hier erneut als Filmkomponist, wenngleich zurückhaltend, verewigt. Da ich seit der „The Downward Spiral“ von 1994 ein Fan bin, begann für mich die Zeitreise bereits bei der ersten typischen Tonfolge in den Opening credits. NIN, Doom und dann mit den Kumpels und dem Skateboard in die Stadt, sich pöbelnd gegen die ewige Vertreibung durch Erwachsene wehren und dazu gab’s die ersten Biere und Zigaretten.
Da der Film in Los Angeles spielt, war ich einigermaßen verblüfft, wie viele Parallelen zwischen einer Jugend in den USA und in Deutschland zu dieser Zeit zu erkennen sind. Die Themen und Probleme der Figuren sind eben die gleichen. Der Soundtrack und die Mode ist wohlbekannt, Situationen, schöne wie weniger schöne, ebenso und auf dramatische Anreicherungen wird ganz erfrischend verzichtet. In anderen Fällen hätte man noch Bandenkriminalität oder Konflikte wegen harter Drogen eingefügt, da sie zeitlich gepasst hätten. Hill verzichtet auf diese Reißbrettgestaltung und konstruiert seinen Film lebensnah und unaufgeregt.
Dies liegt auch am konzeptionellen Ansatz Hills', der Musik beispielsweise nie laut einblendet, um wie oftmals auch ja die dargestellte Zeit erfahrbar zu machen. Die Lieder laufen innerhalb der Szenen ganz einfach und immer passend im Hintergrund oder werden unaufdringlich eingespielt. Die Inszenierung bleibt also sehr zurückhaltend und lässt den Figuren den Vortritt.
Die Darsteller sind dabei ausnahmslos gut gewählt und gerade Sonny Suljic meistert angesichts seines Alters die Hauptrolle wirklich beachtlich. Die Frustration über Mutter oder Bruder, die Unsicherheit gegenüber älteren und damit ja quasi automatisch cooleren Jungs und den Mädchen, die überschäumende Freude über den ersten gestandenen Ollie - man nimmt ihm alles ab und wieder werden Erinnerungen wach.
Fazit
"Mid90s" ist tatsächlich ein sehr kleiner und überaus gelungener Film, der seine Figuren allesamt fast schon liebevoll behandelt. So sympathische Typen, ungeachtet der mitunter zelebrierten Selbstzerstörung, habe ich lange nicht mehr in so hoher Dichte in einem Film erlebt. Insofern ist der Film eigentlich Pflichtprogramm für alle, die sich an Skateboards, Cypress Hill und das immer stärker werdende Gefühl, sein Leben selbstbestimmt gestalten zu wollen, erinnern können. "Kids" von 1995 hielt uns unser Selbst in übersteigerter, extremster Form vor und war mehr so etwas wie eine Freakshow für uns Milchgesichter.
"Mid90s" hingegen trifft den Nagel auf den Kopf, wenn man eine durchschnittliche Jugend erlebt hat. Für mich ist dieser Film daher ohne Sentimentalität gar nicht zu bewerten.