Review
von Leimbacher-Mario
Vater wider Widerwillen
Felix van Groeningen hat in Belgien ein paar echte Bretter abgeliefert, z.B. der überragend starke „The Broken Circle“ ist da zu nennen, sodass seine Reise irgendwann unweigerlich nach Hollywood gehen musste. Nun ist er mit „Beautiful Boy“ dort angekommen, macht ein Drogendrama über einen verzweifelten Vater und dessen anhängigen Sohn. Doch wo viele Regisseure versagen und ihre Kraft und ihr Können nicht in bzw. durch den schönen Schein der Traumfabrik drücken können, gelingt dem gebürtigen Belgier das recht rare Kunststück und er schafft es, nahezu perfekt an seine europäischen Vorzeigefilme anzuknüpfen. Thematisch, stilistisch und qualitativ. Darüber freue ich mich riesig! Und das macht für mich „Beautiful Boy“ auch zum besseren Film gegenüber dem thematisch mehr als ähnlichen „Ben Is Back“, der auch gut ist, jedoch nie die Wucht und die Wut von van Groeningens Werk erreicht.
„Beautiful Boy“ ist ein wunderschöner Film. Von seinen atmenden Bildern. Von seinem Thema her ist er ein unglaublich wichtiger Film, egal wie abgedroschen junger „Drogenjunkie“ klingen mag, hier hat es mehr Gravitas, Eier und Durchschlagskraft als sonst oft. Und schauspielerisch ist das vom Wunderkind Chalamet und Chamäleon Steve Carell mehr als überzeugend und ergreifend gespielt. Vor allem die Ehrlichkeit und Hilflosigkeit und Verzweiflung des liebenden Vaters ist zum Greifen nah, frei von Kitsch, vorhersehbarem Ende oder Klischees. Obwohl ich Letzteres etwas einschränken muss, da es schon etwas komisch aufstösst, wenn Dinge wie „die Einstiegsdroge Marihuana“, „das gebeutelte Scheidungskind“ oder „der düstere Metal-Fan“ mit einfließen. Nicht unbedingt um Schlüsse zu ziehen und nicht als Gründe dargestellt, dass der Junge der Drogensucht verfällt, aber das sind dann eben doch heftige und schon oft gesehene Stereotypen. Das ändert jedoch genauso wenig an meinem Gesamteindruck wie der geniale, aber sich manchmal etwas in den Vordergrund drängende Score und Soundtrack - „Beautiful Boy“ ist harte, ehrliche, bodenständige und niederschmetternde Kost, die es sich lohnt zu schauen. Und sei es nur einmal. Antworten und Lösungen gibt es keine - doch das muss es ja auch nicht. Denn das Leben hält diese oft genauso wenig parat.
Fazit: extrem starkes Schauspielerkino, betäubend schöne Bilder und ein packendes, realistisch und ungeschönt angegangenes Thema - insbesondere glaube ich, wenn man Vater ist (was ich noch nicht bin). Kein Film, den man liebt oder mehrfach guckt, aber einer, der dahin geht, wo es weh tut und den man in vielfacher Hinsicht bewundert. Allein wegen Chalamet und Carell in Paraderollen, die vor unterschwelligen Gefühlen fast platzen und sich dennoch nie cheesy anfühlen.