Ein wilder Haufen brennender Sattel
Wenn die Coens in den wilden Westen rufen, dann zögert kein Filmfan lange. Wenn es sich um eine Anthologie handelt, gilt das für mich als Fan dieser kurzweiligen Kunstform insbesondere. Diesmal muss man dafür den Netflixknopf auf seiner Fernbedienung drücken (hat den eigentlich noch wer?!), doch auch das geht klar. Schade ist es aber natürlich trotzdem, diese staubig-pfiffige Kurzfilmstaffelei nicht auf der ganz großen Leinwand genießen zu können. Aber guter Film bleibt guter Film. Und das ist "The Ballad of Buster Scruggs" zweifelsfrei. Für meinen Geschmack sogar einer der besten, dem man 2018 über den Weg laufen kann.
Dunkler Humor und blutige Gewaltausbrüche, große Namen und eingängige Melodien, grandiose Landschaften und überraschende Kniffe, geschliffene Dialoge und kauzige Figuren - alles am Start, was man an dem legendären Regieduo lieben gelernt hat. Man merkt, dass sich Zeit gelassen wurde und die sollte man sich für diese sechs Kurzgeschichten ebenfalls nehmen... es lohnt sich!
THE BALAD OF BUSTER SCRUGGS
9,5/10
Das Highlight geht voraus - ein singender, süß aussehender aber (zurecht) ziemlich gefürchteter Outlaw, schießt sich Richtung seines Endes... Absolut grandios. Schnell, witzig, originell. Es wird sich verschmitzt zur Legende geschossen und geträllert, als gäbe es kein morgen mehr. Ein Start nach Maß!
NEAR ALGODONES
8,5/10
James Franco als Bankräuber am Galgen... zweimal! Actionreich, düster, sogar ein Stück romantisch. Cooles Riff auf die alte Geschichte, dass jeder bekommt, was er verdient. Auch wenn ihm viel zu spät klar wird, wie schön das Leben sein kann. Der Bratpfannenschutzanzug ist genial!
MEAL TICKET
7,5/10
Ein Wanderschausteller (Liam Neeson!) und seine arm- und beinlose Geschichtenerzählerattraktion reisen durch die eiskalten Karpaten und die Einnahmen werden nicht mehr... Bitterböse, etwas langsam aber lohnenswert. Hätte man kürzen können, es wird etwas viel geredet und wiederholt, dann wäre der finale Tiefschlag vielleicht noch besser gekommen. Dennoch: eisig und gemein!
ALL GOLD CANYON
7,5/10
Ein alter Goldgräber gräbt sich an einem idyllischen Fluss Richtung Reichtum... Die definitiv schönste Landschaft und Natur der Kollektion. Simpel aber effektiv. Geduld zahlt sich aus. Da haben die Schmetterlinge und Eulen was zu gucken!
THE GAL WHO GOT RATTLED
7/10
In einer Wagenkolonne verliert eine junge Frau ihren Bruder und sitzt nun auf einem Haufen Schulden, da dieser mit seinem Vermögen begraben wird, hat dafür aber einen neuen Verehrer... Wieder wird der Humor pechschwarz. Und die Action überraschend rabiat. Auch hier hätte man aber locker die Schere ansetzen und straffen dürfen. Selbst wenn dann vielleicht der Schock und die Empathie nicht ganz so tief gesessen hätten. Hier würde man besonders gerne wissen, wie es weiter geht...
THE MORTAL REMAINS
7,5/10
Die surrealste und metaphorischste Episode: ein Wagen mit fünf unterschiedlichen Insassen fährt in die Nacht... Geschwätzig, atmosphärisch, schaurig. Mit Augenzwinkern. Wie immer. Sogar etwas philosophisch. Gut geschrieben. Solide Episode, wobei die Insassen jetzt nicht gerade die interessantesten Figuren in der Prärie waren...
Fazit: es war einmal im wilden, wilden Westen... der Coens! Ihre Anthologie-Ballade ist abwechslungsreich, lässig, quirlig und wunderschön, setzt dem Mythos des einst unendlich freien Landes eine augenzwinkernde Krone auf. Ein feiner Western. Oder besser gesagt gleich sechs davon. Jahreshighlight!