Nicht nur die dritte Folge der Netflix-Serie „The Toys That Made Us“, sondern auch die 95-minütige Dokumentation „Power of Grayskull“ nahmen sich ungefähr zeitgleich des Phänomens He-Man an, der als Actionfigur wahnsinnige Erfolge und bittere Pleiten feierte.
Weitestgehend chronologisch gehen die doku- und populärkulturerfahrenen Regisseure Randall Lobb und Robert McCallum bei ihrer Erkundung dieser Spielzeughistorie vor. In den 1980ern, als der „Star Wars“-Hype die Spielzeugregale fest im Griff hatte, wollte auch Mattel gern ein Stück vom Actionfigurkuchen abhaben. Eine „Conan“-Lizenz sollte es eigentlich bringen – bis die Spielzeughersteller den blutigen R-Rated-Film von John Milius sahen und wenig überzeugt davon waren, dass dies mit kinderfreundliche Plastikfiguren zusammenpasste. Der Einfluss der damaligen Muskelfixierung schlug sich aber in den Designs der Actionfiguren nieder, die später als „Masters of the Universe“ bekannt werden sollten. Designer Mark Taylor zeichnete Figurenentwürfe in Anlehnung an die Fantasywelten von Comic-Künstler Franz Fazetta und „Conan“-Autor Robert E. Howard, die Prototypen von Roger Sweet waren Actionfiguren aus Mattels Big-Jim-Reihe, denen man mit Modelliermasse noch wesentlich dickere Muckis und Oberkörper verpasste. Der barbarenhafte Held sollte dann auch ganz programmatisch He-Man heißen, die Spielzeugreihe wurde „Masters of the Universe“, nachdem auch ähnliche Namen wie „Lords of Power“ in der Verlosung waren.
Flankiert von einer Comicreihe und einem Cartoon im Kinderfernsehen, um die Marke und die Geschichte dahinter bekannt zu machen, wurden die „Masters of the Universe“ zum einer der erfolgreichsten Toy-Lines der 1980er, übernahmen sich aber irgendwann: Zu viele und teilweise zu absurde Neukreationen schreckten Kunden ab, die Überbelieferung der Händler sorgte für verstopfte Regale, der Kinofilm „Masters of the Universe“, der den Verkauf ankurbeln sollte, wurde zum Flop. Doch die Marke starb nicht ganz: Es gab mehr oder weniger erfolgreiche Reboot-Versuche (die auch mal mehr, mal weniger albern gerieten), später kämpften sich He-Man und seine Crew als Sammlerfiguren für Ältere (oft die inzwischen erwachsenen Kinder der 1980er) ihre Nische zurück.
„Power of Grayskull“ lässt dabei vor allem die Designer und Marketingspezialisten von damals zu Wort kommen, die manchmal improvisierten, etwa als Marketingchef Mark Ellis die Idee eines begleitenden Comics spontan in ein Meeting rief, da die Händler nicht wussten, wie den Kindern die Geschichte hinter den Spielzeugen beigebracht werden sollte. He-Mans Haustier Battle Cat war eigentlich ein Tiger aus der Big-Jim-Toyline, den man anders anmalte und aufgrund der unterschiedlichen Größenverhältnisse beider Reihen kurzerhand zum Reittier erklärte. Die Beteiligten beschreiben lebhaft, wie eine Mischung aus kluger Planung, glücklichen Zufällen und geschickter Improvisation zu einer Erfolgsformel wurden.
Dabei offenbaren sie auch einige sehr reflektierte Gedanken, gerade zur titelgebenden Power von Grayskull, mit der sich Prinz Adam zum He-Man verwandelt. Genau dieser Machtgedanke gefiel der jungen Zielgruppe: Man brüllt einfach „Bei der Macht von Grayskull, ich habe die Kraft“, ist nun ein Superheld und muss auf niemanden mehr hören, vor allem nicht auf die Eltern, zumindest in der eigenen Phantasie. Gleichzeitig offenbarte sich in den Machtphantasien auch großes Emanzipationspotential: Auch Mädchen mochten die Spielzeuge, vor allem durch die Einführung von He-Mans Schwester She-Ra. Deren Spielzeuge gingen nicht nur gut weg, ihr Cartoon war eigentlich sogar noch besser als jener von He-Man, da die Macher mehr Freiheiten hatten, nicht immer nur auf Happy Endings nach Schablone und aufgesetzte Moral bauen mussten.
Ein großer Teil der Dokumentation dreht sich auch um das „Masters of the Universe“-Filmprojekt, über das unter anderem Hauptdarsteller Dolph Lundgren, Filmschurke Frank Langella und Kampfchoreograph Anthony De Longis sprechen – mit überraschender Wärme. Alle sind sich der Mängel des Films bewusst, doch gerade Langella zeigt sich sehr stolz auf seine Skeletor-Performance, während Lundgren den Film als ungewöhnliches Unikat darstellt, das trotz seiner Schwächen Interesse hervorruft. Schon in der Cannon-Doku „Electric Boogaloo“ war er ja auf diese Rolle angesprochen worden, doch kaum mehr als der Satz, dass er es ungewöhnlich fand ein Spielzeug zu spielen, schaffte in es in jenen Film. In „Power of Grayskull“ darf er diesen Gedanken weiter ausführen und Vergleiche zum heutigen Kino ziehen: Während es derzeit Usus ist Superhelden oder Spielzeugcharaktere zu spielen, war dies 1987 ein absolutes Novum. Die Geldprobleme der Produktionsfirma Cannon kommen in „Power of Grayskull“ allerdings eher am Rande vor, etwa wenn erwähnt wird, dass das Shooting für den Endkampf drastisch verkürzt wurde und die Szene dann nur ein Fünftel so lang wie ursprünglich geplant gedreht wurde, außerdem weniger aufwändig und elaboriert.
Etwas kurz kommt dagegen alles, was mit dem Verlustgeschäft und den Reboots zu tun hat. Letztere mögen zwar in Sachen Bedeutung und kommerzieller Erfolg nur ein Nachgedanke zur der bekannten Toy-Line sein, aber hätten gerade als unbekanntere Auswüchse vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Auch die Gründe des Scheiterns werden vielleicht etwas schnell abgefrühstückt. Da würde man gern darüber erfahren, wie ein Megaerfolg in Rekordzeit zum Ladenhüter wurde. Aber genau da liegt auch das Problem von „Power of Grayskull“: Es ist ein liebevoller Einblick in eine Welt zwischen anregender Fantasie und knallhartem Business, gibt nette Einblicke, aber geht manchmal nicht genug in die Tiefe. Es ist ein braver Blick zurück, der sich kritische Beobachtungen erlaubt, aber selten zu tief bohrt, der schöne Anekdoten erzählt und mit seiner chronologischen Struktur nicht viel falsch macht, dadurch aber auch etwas bieder wirkt.
Nett für alle Fans von He-Man und Co., aber auch für alle, die das Thema interessiert, ist das Ergebnis durchaus geworden und wer das Thema etwas ausführlicher behandelt sehen will als in den rund 40 Minuten der entsprechenden „The Toys That Made“-Folge, der wird hier auch fündig. Für die definitive Geschichtsschreibung zu He-Man und seinen Masters of the Universe, welche der Untertitel verspricht, wäre dann aber vielleicht doch etwas mehr Pfeffer und Tiefe nötig gewesen.