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S. Craig Zahler, erst Black-Metal-Drummer und -Sänger, später Autor harter Westernromane und des Drehbuchs zu „The Incident“ (sowie diverser nie gedrehter Projekte), hatte mit dem derben B-Western „Bone Tomahawk“ sein Regiedebüt gegeben und sich auch mit seinen späteren Arbeiten zu einem Bewahrer des klassischen Genrekinos entwickelt. Mit „Dragged Across Concrete“ nimmt er sich den Copthriller der alten Schule vor.
Zur alten Schule gehören auch die Cops Brett Ridgeman (Mel Gibson) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn), die bei einer Festnahme übertriebene Gewalt anwenden, die Rechte der Verdächtigen missachten und dabei gefilmt werden, weshalb sie für einige Wochen suspendiert werden. Ridgeman ist der alte Hase, der wegen mehrerer derartiger Vorfälle nicht befördert wurde, sein jüngerer Partner tritt zumindest ansatzweise in seine Fußstapfen. Wie das Genre des Polizeifilms selbst erscheinen sie gewissermaßen als Auslaufmodell, gibt es – von Ausnahmen wie „Brooklyn’s Finest“ oder „Sinners and Saints“ mal abgesehen – den Copthriller derzeit doch eher als komödiantisch überhöhtes Buddy Cop Movie der Marke „Ride Along“ oder als TV-Serie.
Dem Serienkosmos einer realistischen Bestandsaufnahme der schwarzen Bevölkerung wie „The Wire“ könnte auch Henry Johns (Tory Kittles) entstammen: Frisch aus dem Gefängnis entlassen muss er feststellen, dass seine Mutter sich prostituiert und trotzdem kaum Geld für sich und Henrys behinderten jüngeren Bruder Ethan (Myles Truitt) hat. Da kommt das Angebot von Henrys Kumpel Biscuit (Michael Jai White) für einen zwielichtigen Job gerade richtig. Gleichzeitig stellt dies eine Parallele zum Leben von Ridgeman da, der mit seiner an MS erkrankten Frau Melanie (Laurie Holden), einer Ex-Polizistin, und seiner Tochter Sara (Jordyn Ashley Olson) in einer ebenfalls heruntergekommenen Gegend lebt, aus der er schnell wegziehen will.

Die Situation treibt Ridgeman zu verzweifelten Maßnahmen. Er sucht nach einem Gangster, den er ausnehmen kann. Seine Wahl fällt auf Lorentz Vogelmann (Thomas Kretschmann), der augenscheinlich einen großen Coup plant. Lurasetti, der bald heiraten möchte, unterstützt seinen Partner bei der illegalen Aktion…
Geschichten über verzweifelte bis zwielichtige Cops, die selbst zu Verbrechern werden, sind ein archetypischer Genrestoff, wobei „Dragged Across Concrete“ schon nach seiner Premiere beim Filmfest von Venedig eine kleine Kontroverse auslöste, da manche Kritiker dem Film rechte bis rassistische Tendenzen unterstellten, die durch das Casting von Gibson und Vaughn nicht unbedingt entkräftet wurden. Tatsächlich dreht sich „Dragged Across Concrete“ um rassistische Figuren: Ridgemans Frau meint selbst, dass die Wohngegend sie gegen ihren Willen zur Rassistin machen würde (womit sie das Problem den Schwarzen anlastet) und ist von der rassistischen Angst getrieben, dass aus den schwarzen Mobbern ihrer Tochter bald Vergewaltiger werden könnten. Ridgemans Ex-Kollege Calvert (Don Johnson) hat es zum Chief Lieutenant gebracht, weil er nach den Regeln spielt, echauffiert sich aber darüber, dass Medien doch tatsächlich über Rechtsverletzungen der Polizei berichten, selbst wenn diese Resultate bringen und wünscht sich ein Zeitalter vor den allgegenwärtigen Aufnahmegeräten zurück. Drogendealer verkaufen in dieser Weltsicht nur auf Schulhöfen und Spielplätzen; dass es auch willige Konsumenten aller Alters- und Gesellschaftsschichten geben könnte, kommt in natürlich nicht vor. Vor allem sind es natürlich Ridgeman und Lurasetti selbst, die sich auf einem Kreuzzug gegen die moderne Welt befinden.
Es bleibt jedoch die Frage, ob Zahler mit seinen Figuren auch sympathisiert, zumal der Drehbuchautor und Regisseur zugibt gern zu provozieren, sich politisch aber nicht gern verorten möchte. Ridgeman und Lurasetti sind die zentralen Figuren des Films, auch wenn anderen Charakteren ebenfalls viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, sie werden ausgearbeitet und ihre Motivation für ihre Taten ausgearbeitet. Bei Ridgeman ist es Hilfe für die Familie, bei Lurasetti der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit vor dem geplanten Heiratsantrag – ein immer wieder aufkommender Subplot, der auch für emotionale Momente zwischen den harten Männern sorgt, zumal Lurasetti die Freundin ob es Coups vernachlässigt. Andrerseits wirken die beiden Cops manchmal auch regelrecht komisch als aus der Zeit gefallene Dinosaurier, die sich gegen alles auflehnen, das nicht ihrem Weltbild entspricht – schon allein die Erwähnung Lurasettis, dass seine Freundin im Biosupermarkt eingekauft habe, bringt Ridgeman zu der giftigen Frage, ob es denn so scheiße wie erwartet gewesen wäre. Es liegt auch kritisches Potential in der Zeichnung der beiden, das sich gegen Ende deutlich zeigt. *SPOILER* Nach dem großen Abräumen sind nur noch Ridgeman und Henry übrig, formen eine Art schwarz-weißes Buddyduo wider Willen, das erst die letzten Gegner tötet und dann gemeinsam Pläne für die Aufbewahrung der Beute umsetzt. Dieses bitterböse Bild der Völkerverständigung der anderen Art funktioniert, wird jedoch durch Ridgeman torpediert, der sein Misstrauen einem Schwarzen aus der Unterschicht gegenüber nicht abschalten kann, was ihn sein Leben kostet. Henry hingegen erweist mehr Größe und versorgt Ridgemans Familie mit einem Teil der Beute. *SPOILER ENDE*

Vor allem ist „Dragged Across Concrete” aber trotz solcher Lesarten immer noch ein Genrefilm. Einer, in dem Gibsons Ridgeman eine in Verbitterung gealterte Version seiner „Lethal Weapon“-Rolle sein könnte – Riggs‘ Eigenwilligkeit und kalkulierte Regelbrüche wären dann mit dem Alter ins hässliche Extrem umgeschlagen. Vor allem ist „Dragged Across Concrete” ist die Ausdehnung einer Standardsituation des Copthrillers auf große Teile der Spielfilmlänge: Jener des Stakeouts. Ridgemans und Lurasettis Handlungsstrang bewegt sich nach ihrer Einführung eigentlich nur noch in und um das Auto, in dem sie den deutschen Verbrecher Vogelmann und seine Helfer beobachten. Dabei bleibt Zahler dem Slow-Burn-Ansatz seiner Vorgängerfilme treu, weitet diesen sogar noch aus, bis sich „Dragged Across Concrete” seinem Titel entsprechend tatsächlich etwas dahinzieht: Ob man wirklich jede Pinkelpause, jedes Verzehren eines Eiersalat-Sandwiches mit anschließender Diskussion übers Furzen im Auto und jede wiederholte Nachfrage Ridgemans, ob Lurasetti noch dabei sei, wirklich hätte bebildern müssen, ist fraglich. Vom Pacing erinnert an das Werk eines anderen Genre-Mavericks, an Quentin Tarantinos „The Hateful 8“, der seinen Zuschauern ebenfalls einen entschleunigten Dreistünder vorsetzte. Doch trotz der Entschleunigung, der ähnlichen harten Gewaltspitzen und des Spiels mit Genretraditionen ist der Tonfall von „Dragged Across Concrete” ein anderer: Keine coolen Sprüche, keine Selbstironie, sondern eine rabenschwarze, zynische Bestandsaufnahme eines Dog-Eat-Dog-Amerikas.
Dieses Kaleidoskop umfasst eben nicht nur die Cops, sondern auch Vogelmann und Henry, die in drei verschiedenen Handlungssträngen auftreten, die natürlich zusammenlaufen müssen. Hinzu kommen weitere Nebenfiguren, die oft ebenfalls ausführlich eingeführt werden – in einem Falle sogar nur, um dann bald wieder auf brutalste Weise abtreten zu müssen. Das irritiert zuerst, gehört aber zu Zahlers Programm: Auch jene Figuren, die in einem Genrefilm normalerweise sang- und klanglos dahingemetzelt werden, haben ein Leben und eine Vergangenheit – nur eben keine Zukunft mehr. Manches spart Zahler bewusst aus, ein besonderes schweres Massaker etwa, aber wenn es zu Härten kommt, vor allem bei einem Kopfschuss und bei einer Episode, die sich um einen verschluckten Schlüssel dreht, dann ist „Dragged Across Concrete” ähnlich derbe wie Zahlers vorige Werke. Das umfasst nicht nur explizit Gezeigtes, sondern auch psychologische Härten, etwa beim erniedrigenden Umgang mit einer Geisel.

Insofern ist „Dragged Across Concrete” auch kein Film fürs Actionpublikum, denn hier wird sich in erster Linie belauert und ausgebootet, wenn verschiedene Parteien gegeneinander spielen. Hin und wieder sprechen auch die Waffen bei kurzen, eher auf Realismus getrimmten Schusswechseln, bei denen Gegner taktil gerammt, aus der Ferne mit dem Scharfschützengewehr aufs Korn genommen oder durch Blendgranaten vor dem Angriff betäubt werden. Damit orientiert sich Zahler eher am geerdeten Actionthriller der Marke Michael Mann oder Kathryn Bigelow, legt aber nie sein Hauptaugenmerk auf die Schauwerte. Es geht hier um das langsame Tempo, denn an dem Punkt, bei dem bei anderen Filmen der Showdown eingeleitet wird, geht „Dragged Across Concrete” noch eine ganze Stunde. Zahlers Copthriller ist ein Film, der gewissermaßen Arbeit und Geduldsprobe für den Zuschauer ist, diese Anstrengung aber durchaus belohnt.
Eine große Leistung ist erneut Zahlers Schauspielführung, der auch für dieses Projekt eine ganze Reihe bekannter Namen und Gesichter zusammentrommelte. Mel Gibson ist stark wie lange nicht als verbitterter Wüterich, während Vince Vaughn etwas abfällt, ist seine Rolle doch zu sehr eine Summe bekannter Italoamerikanerklischees. Dabei hatte Zahler ihn zuvor in „Brawl in Cell Block 99“ zu einer seiner Höchstleistungen geführt. Aus früheren Zahler-Werken sind einige Akteure dabei, meist in kleinen Rollen: Don Johnson als Vorgesetzter, Jennifer Carpenter als Bankkassiererin, Fred Melamed als ihr Chef und Udo Kier als zwielichtige deutsche Halbweltgröße, von der Ridgeman den Tipp bezüglich Vogelmann bekommt. Sie hinterlassen allesamt ihre Duftmarken, ebenso Laurie Holden als Ridgemans Ehefrau. Mehr Screentime dagegen bekommt Thomas Kretschmann als wahrhaft eiskalter und berechnender Schurke, für den Mord und Verstümmelung nur zwei Werkzeuge aus der Toolbox des Verbrechens sind – eine Performance, die so viel Antipathie erzeugt, dass man auf den Moment hofft, in dem dieser Typ von seinem Karma eingeholt wird. Demgegenüber stehen Michael Jai White als weniger charakterisierter und Tory Kittles als genauer in den Blick genommener Kleingangster: Die vielleicht menschlichsten Figuren des Films, aller Kriminalität zum Trotz. Einfach zwei Glücksritter der illegalen Art, denen viel zu spät dämmert auf was sie sich da eingelassen haben und die eigentlich gewaltlos ein Ding drehen wollten, bald aber unvorbereitet mitten im Geschehen sind. Kittles und White spielen dabei toll auf und werden zu den heimlichen Hauptrollen des Films, auch wenn Gibson und Vaughn mehr Screentime haben.

So ist ein abschließendes Urteil über „Dragged Across Concrete“ nicht ganz einfach: Es ist ein toll besetzter und fast durchweg stark gespielter Copthriller, getragen von der Handschrift und künstlerischen Vision eines erkennbaren Filmemachers. Allerdings bedeutet diese Vision auch gewisse Längen und eine gewisse Zähigkeit, die fordert, die sperrig ist, manchmal auf positive Weise gewagt, manchmal aber auch etwas redundant erscheint. Doch diese Quasi-Ausdehnung eines Stakeouts auf Spielfilmlänge (und zwar eine von zweieinhalb Stunden) ist definitiv ein Unikum und schon deshalb sehenswert, wenn auch nicht ganz so souverän wie „Bone Tomahawk“.

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